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Lichter aus und Kerzen an. Victor Dahms
Читать онлайн.Название Lichter aus und Kerzen an
Год выпуска 0
isbn 9783738005509
Автор произведения Victor Dahms
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich überschlage jetzt schon mal den Wert der Einnahmen und Ausgaben. Also auf der Habenseite wahrscheinlich 458 plus 140 plus zweimal 24,80 an Waren plus 370 cash inklusive Gutschein, macht nach dem Riesen Adam zusammen satte 10127,60 Euro.
Meine Oma ist total leicht zu bedienen. Ich kritzle ihr mit Buntstiften eine Bild, da muss irgendwo ein Herz mit Rot oder Rosa drauf sein und dann freut sie sich. Das kostet mich nix. Nicht mal Porto. Meine Mutter schickt ihr immer so ein Gesundheitsgesöff und paar Zimtsterne, da legt sie mein Bild dazu und wünscht ihr auf einer der mit dem Mund gemalten Karten, die wir immer zugeschickt kriegen aber nie bezahlen müssen, „besinnliche Feiertage“ und auch, dass das schöne Bild ihr Enkel Egon extra für sie gemalt hätte, obwohl er doch so viel fürs Gymnasium büffeln muss, sonst tät ich ihr schon selber schreiben.
Ich hab meine Mutter mal gefragt, warum sie „besinnliche Feiertage“ schreibt. „Das tue ich, weil deine Großmutter eine feinfühlige Dame ist. Sie merkt, dass wir dann keinen Besuch von ihr wünschen. Weihnachten ist nämlich das Fest der Besinnung und der Nächstenliebe, und darum sehen dein Vater und ich es auch gar nicht so gern, wenn du an den Feiertagen zu einer Party gehst, wo schrecklich laute Musik alles zudröhnt und keine Besinnung aufkommen lassen kann. Du solltest lieber mit deiner Schwester in die Mitternachtsmesse gehen. Weihnachten ist nämlich ein Familienfest.“
Und so labert sie weiter. Ich frag sie sowieso nichts mehr. Sie blickt’s eh nicht. Außerdem bin ich sogar schon dreimal mit in der Messe gewesen. Aber jedemal hatte der Pope vonre die gleiche Story drauf, tatsächlich wortwörtlich. Die hat mich schon beim erstenmal gelangweilt. Was gehen mich Obdachlose aus Ägypten oder Bethlehem an?
Ich hab meine eigenen Probleme: Was soll ich Saskia schenken? Wir treffen uns am 23. In der Disco. Sie schenkt mir Ferreroküsschen und Rasierwasser. Was kriegen meine Eltern? Ich brauch die Knete für mich selbst, denn genau genommen hab ich ja nur 150 in bar. Damit kannst du heute keine großen Sprünge machen, Mann. Blöd, wenn ich dafür irgendwas für andere kaufen müsste. Dann könnte man meinetwegen das ganze Brimborium sein lassen. Mein Vater hat schon öfter gesagt, dass wir im nächsten Jahr mal um die Feiertage nach Fuerteventura in die Sonne fahren, da könnte man auch ganz gut feiern. Aber meine Momm will Weihnachten Schnee, obwohl jedesmal draußen nur eine graue Matschpampe herrscht.
Ich will auch zu Hause bleiben wegen der Party, die Silvester bei Bastian steigt. Dem brauche ich überhaupt nichts zu schenken, bloß Saskia und meinen Eltern. Aber was? Ich nehme mir immer vor, Sachen aufzuheben, die ich nicht brauchen kann. Aber dann tue ich’s doch nicht oder kann sie im Dezember nicht mehr finden. So um Ostern, wenn ich aufräume, entdecke ich dann plötzlich einen Farbkalender oder einen Füller. Dann ist es zu spät, denn Ostern schenken wir uns nichts.
Wenn mir bald nichts einfällt, kauf ich für meine Freundin eben wieder eine Pickelcreme. Meiner Mutter könnte ich zur Not die Ferreroküsschen weiterreichen und meinem Alten das Rasierwasser einwickeln. Dann müsste ich nur die Pickelcreme bezahlen und hätte praktisch mit einem einzigen Kauf sieben Leute beschenkt. Weihnachten ist eigentlich doch ein schönes Fest. Es ist nur blöd, wenn ich nicht das kriege, was ich mir wünsche.
Egon Dahms
Süßer die Glocken nie klingen oder Der Lärm der stillen Nächte
Ein Dialog zwischen Victor Dahms und Wendelin Renner
R: Das Gebimmel morgens in aller Herrgottsfrühe ist Ruhestörung, Lärmbelästigung.
D: Das Läuten der Glocken begleitet mein ganzes Leben. Das sind Heimatklänge, vertraut, erbaulich.
R: In einer Zeit, als es noch keine Uhren gab, mussten mit diesem höllischen Krach die Bauern zum Gottesdienst gerufen werden. Das Mittelalter ist vorbei, Victor.
D: Nun lass aber mal die Kirche im Dorf, Wendelin …
R: Da gehört sie auch hin, aber nicht in die Stadt, in der es bekanntlich Nachtmenschen wie mich gibt. Als wenn es nicht tagsüber schon laut genug wäre! Ich arbeite nachts und gehe selten vor zwei Uhr ins Bett, da will ich nicht vom Angelusläuten um halb sieben aus dem Schlaf gerissen werden.
D: Für Brauchtum und Religion müssen wir alle Opfer bringen, mein Lieber. Ohne die Glocken gingen wohl noch weniger in den Gottesdienst.
R: Wegen dieser achtzehn reiferen Damen, die am 8. Sonntag nach Trinitatis in die Kirche gehen, soll ich leiden?
D: Wann ist der 8. Sonntag nach Trinitatis? In den Sommerferien! Da sind die Kirchgänger natürlich beim Ballermann auf Mallorca. Aber im Winter ist das Gotteshaus gut besucht. Ich kenne außer dir keinen, der Anstoß nimmt am Geläut.
R: Ein Dr. Kahl hat in einem Brief im „Stern“ geschrieben: „Ich zünde ja auch nicht jeden Morgen einen Kanonenschlag aus Freude darüber, dass es keinen Gott gibt!“ Der Mann hat darauf ein ganzes Paket Kanonenschläge zugeschickt bekommen – anonym, vermutlich von einem Pfarrer.
D: Dennoch leben wir im christlichen Abendland. Glocken gehören zu unserer Kultur.
R: Aber doch nicht so früh am Morgen zu einer unchristlichen Zeit! Brutal setzt sich die Kirche über sensible Naturen hinweg, wie immer!
D: Schlaf doch einfach weiter. Diese Glocken haben viel Geld gekostet. Nimm billigend in Kauf, dass du von der Kirche ab und zu geweckt wirst …
R: Ab und zu?! Jeden Morgen! Mein Tinitus kommt daher! Ich werde Schadenersatz vom Oberkirchenrat fordern!
D: Die Kirchenglocken werden den vom Bundesimmissionsschutzgesetz festgelegten Grenzwert für Lärmbelästigung von 40 Dezibel als Dauerschallpegel in Wohngebieten nicht überschreiten.
R: Ich werde das messen lassen. Ganz bestimmt wird dieser Grenzwert überschritten – katholische und evangelische Glocken läuten ja, wenn auch nicht synchron, um die gleiche Stunde.
D: Eine Klage kannst du dir sparen. In einem Rechtsstreit gegen das Läuten alle fünfzehn Minuten der Dorfkirche im saarländischen Blieskastel-Lautzkirchen hat ein Ehepaar verloren, obwohl ständig über 70 Dezibel gemessen wurden. Die Richter erkannten der Kirche gegenüber der Industrie einen so genannten Lärmbonus zu (Aktenzeichen AZ 8 R 7/91).
R: Einen Bonus? Dann ist es gut.
Fromms Adventslied
Ich lieg in der Matratzengruft
Und trinke Schnaps von früh bis spät.
Ich atme Deinen Körperduft
Der noch aus meinem Plumeau weht
(Odeur privé aus 8x4,
Madame Rochas und Achselschweiß gemengt).
Doch ach, die Hand, die zielbewusst sich hier
An meinem Hosengürtel abwärts zwängt,
Is ist die eigene. Denn du bist fort.
Seit November bist du nicht mehr da gewesen.
Jetzt lieg ich hier und gehe nur noch zum Abort.
Meine Seele fängt allmählich zu verwesen
Und mein Körper für die Wollust an zu büßen.
Seit im Nabel schon die ersten Pilze sprießen
Und sich die Kleider peu-à-peu verfärben
Und gleich mir vermodern und verderben,
Bin ich kein Herr mehr, der noch mit der Mode geht.
Mein Phallus ist das einzige, was mir noch steht.
Zuweilen denk ich, dass es so nicht weiter geht.
Dann aber seh‘ ich voller Hoffen
Deinen Adventskalender an der Wand.
Es stehen alle Türchen