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Bettes gegen eine Art Pedal. Ein metallisches Klacken hallte im Zimmer. Danach schoben sie das Bett mit der Leiche in Richtung Tür.

      Das Bild. Es stimmte exakt mit dem Bild in meinem Kopf überein. Auch wenn ich bereits zuvor davon überzeugt war, dass der Tod des Mannes auf diese Weise eintreten würde, erschrak ich.

      Kurz bevor das Bett aus dem Zimmer geschoben worden war, zog der Arzt die Bettdecke über den Kopf des Mannes. Dann schlug die Tür ins Schloss. Wieder war es still. Totenstill.

      Cindy starrte auf den Boden. Es schien, als hätte sie nicht mitbekommen, dass Bett und Leiche nicht mehr im Raum waren. Ihr Gesicht war bleich. Die Hände zitterten. Ich erkannte leichtes Kopfschütteln, als verneinte sie den Tod des Mannes.

      Ich wunderte mich, dass man Cindy – in diesem Augenblick sah sie wie ein vierzehnjähriges Mädchen aus – sich selbst überließ. Immerhin hatte sie einen Patienten verloren und auch wenn ich das nicht hundertprozentig beurteilen konnte, hatte ich das Gefühl, dass sie unter Schock stand. Sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte. Der mit ihr sprach. Der sie aus dieser Lethargie riss. Aber da war niemand.

      Außer mir.

      »Hey, Cindy«, sagte ich leise, dennoch schienen die Worte sie zu erschrecken. Sie starrte kurz in meine Richtung, dann wieder auf ihre Hände. »Seine Zeit war abgelaufen. Sie konnten nichts mehr tun.«

      Cindy schüttelte den Kopf. Ich wusste nicht, ob sie meine Aussage verneinte oder bestätigte, ob sie mir überhaupt zugehört hatte, oder ob meine Worte abprallten, wie Kieselsteine von Panzerglas. Ich vermutete Letzteres.

      »Cindy?«, fragte ich daher. »Hören Sie mir zu?«

      Jetzt blickte sie in meine Augen. Direkt in mich hinein. Ihre Pupillen waren riesig, ließen nur noch Platz für einen schmalen, hellblauen Ring. Dann nickte sie, langsam, als hätte sie beschämt etwas zugegeben, das sie zuvor geleugnet hatte.

      »Kommen Sie. Setzen Sie sich auf das Bett«, bot ich an und streckte meine rechte Hand nach ihr aus. Immer noch blickte sie mich an. Sie machte einen Schritt auf mich zu, schüttelte dann aber den Kopf und ging langsam am Fußende des Bettes vorbei. Kurz bevor sie das Zimmer verließ, blieb sie stehen und drehte sich zu mir. Ihre Augen schimmerten hinter einem Vorhang aus Tränen. Ihre Lippen zitterten, als versuchte sie, etwas zu sagen. Aber sie schaffte es nicht.

      »Wenn es bei mir um Leben oder Tod geht«, sagte ich, »dann hoffe ich, dass Sie in der Nähe sind. Weil ich weiß, dass Sie mich zurückholen würden. Sie sind eine gute Krankenschwester.«

      Tränen rannen über ihre Wangen. Sie zeigte auf das Nachtkästchen.

      »Das … Päckchen«, sagte sie. Dann verließ sie das Zimmer.

      Ich blickte ihr nach. Auch, nachdem die Tür schon in das Schloss geknallt war. Ich empfand Mitgefühl. Zuerst wusste ich nicht, warum Cindys Zustand mich so sehr berührte. Nach und nach wurde es mir aber bewusst. Ich kannte dieses Gefühl. Es schlummerte in mir wie eine nicht verheilte Wunde und ich war davon überzeugt: Es war noch nicht lange her, dass auch ich um das Leben eines Menschen gekämpft hatte.

      Und verlor.

      8

      Das Päckchen lag seit drei Minuten auf meiner Brust und bettelte darum, geöffnet zu werden. Ich starrte es an und wunderte mich über das Bauchgefühl, besser die Finger von dem braunen Packpapier zu lassen.

       Tu dieses verfluchte Päckchen wieder in den Nachttisch, Jack. Und dann vergiss, dass es existiert.

      Nachdem an eine Flucht im Moment nicht zu denken war und ich mich nach wie vor weigerte, die Augen auch nur für eine Sekunde zu schließen, pfiff ich auf dieses Gefühl und riss das Papier seitlich auf.

      Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht einen Stapel geheimer Unterlagen, wichtige Informationen, die hochrangige Politiker in Bedrängnis gebracht hätten. Keine Ahnung. Aber damit hatte ich nicht gerechnet. Denn was ich aus dem Papier schälte, lieferte anstatt einer Antwort eine neue Frage: Wie um alles in der Welt kam ich in Besitz dieses Buches?

      Es hatte einen schwarzen Kartoneinband, in dessen Mitte in silbernen Lettern das Wort Tagebuch stand. Ich hielt es in den Händen und vermutlich war es nur Einbildung, dass dieses Buch Wärme ausstrahlte. Nein, keine Wärme. Hitze, als hätte es auf einem Heizkörper gelegen, oder wäre gerade eben aus einem dieser Öfen geholt worden, in denen man üblicherweise Pizza bäckt. Dazu kam dieses stetig wachsende Gefühl, dass von diesem Buch Gefahr ausginge. Als befände sich in seinem Inneren eine Bombe, die beim Öffnen explodierte. Aber da war nichts. Es war nur ein Buch. Ein Tagebuch wie es Millionen auf der Welt gab.

      Ich schlug den Einband auf. Eine gemalte Blume strahlte mich an. Ein Stängel in grellem Grün und Blütenblätter in leuchtendem Rot. In der Mitte eines Blütenblattes stand in geschwungenen Buchstaben Dieses Tagebuch gehört. Auf einer punktierten Linie darunter war in krakeligen Großbuchstaben PATRICIA WHITE geschrieben.

      Patricia White. Ein Mädchen. Nach der unsicheren Schriftführung – die Buchstaben trafen nur in sehr wenigen Fällen die Linie – musste es sich um ein junges Mädchen handeln, gerade mal in der Schule.

      Wieder diese Frage: Wieso hatte ich das Buch dieses Mädchens in meinem Besitz? Oder in meinem Besitz gehabt? Wie kam ich dazu? Und warum hatte ich nach wie vor dieses verdammte Gefühl, dass es besser gewesen wäre, dieses Buch zu verstecken? Zu vergessen? Oder es – und dieser Gedanke erschrak mich – zu verbrennen.

      Das Buch zog mich an wie die Erde ihre Bewohner. Dennoch strebte jede Faser meines Körpers danach, dieses Buch zu schließen und es nie wieder zu öffnen. Und niemals herausfinden, was es damit auf sich hatte? Nein. Ich musste es lesen, musste umblättern, musste wissen, was in diesem Buch stand und warum ich es an Sandra Berington geschickt hatte.

      Die nächste Seite war mit Schreibschrift vollgeschrieben. Die Worte waren schwer lesbar. Jedes einzelne wanderte von links nach rechts unter die hellblau gestrichelte Linie.

       Liebes Tagebuch,

      ich hab dich heute von meiner Mom zum Geburtstag geschenkt bekommen. Sie meint, ich soll in dich meine Geheimnisse schreiben. Also Sachen, die ich niemandem sage, nur dir. Aber ich habe doch keine Geheimnisse. Also werde ich mich heute mal vorstellen, weil meine Mom sagt, man macht das so, wenn man ein neues Tagebuch anfängt. Meine Mom weiß das. Sie hat nämlich selbst ein Tagebuch gehabt, als kleines Mädchen.

      Ich heiße Patricia. Ich habe blonde Locken und meine Mom sagt, man nennt sie Spirallocken, weil sie wie viele kleine Spiralen aussehen. Ich habe blaue Augen und ab und zu darf ich mich schminken. Dabei hilft mir aber meine Mom, weil ich das alleine nicht so schön kann. Ich sehe dann aus wie eine Prinzessin, meint meine Mom. Aber ich finde, ich sehe aus wie Madonna. Du weißt schon, diese coole Pop-Sängerin, die so wirklich cool tanzen und singen kann.

      Ich bin acht Jahre alt. Wenn ich groß bin, möchte ich auch ein Pop-Star werden. Ich bin nämlich eine wirklich gute Tänzerin. Ich gehe zwei Mal in der Woche in die Ballettschule zu Misses Myer. Dort lerne ich, wie man richtig gut tanzt. Misses Myer meint, aus mir wird einmal eine Primaballerina. Aber ich weiß, dass ich eine Pop-Tänzerin werde. Wie Madonna. Das wird sehr schön.

      Nein. Jetzt habe ich geschwindelt. Ich werde keine Tänzerin werden. Ich sitze nämlich im Rollstuhl. Es war ein Unfall. Vor drei Monaten hat mich ein Auto angefahren. In die Ballettschule bin ich nur vor dem Unfall gegangen. Das geht jetzt nicht mehr. Ich habe nämlich kein Gefühl in den Beinen. Das hört sich komisch an, ist aber so. Einmal habe ich heißen Kakao umgeschüttet und alles ist auf meine nackten Schenkel gespritzt. Ich habe nichts gespürt. Gar nichts. Meine Mom hat sich fast die Hand verbrannt, weil sie versucht hat, den Becher zu fangen. Aber ich habe nichts gespürt. Komisch, oder? Ich glaube, ich kann mir sogar mit einem Messer in den Schenkel stechen, ohne dass ich etwas spüre. Aber das habe ich noch nicht ausprobiert. Mom sagt, ich darf das auch nicht ausprobieren, weil ich dann nicht spüre, wenn das Blut aus meinem Körper rinnt. Und ohne Blut kann ich nicht leben,

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