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sind nur einmal klein, Kurt. Die Firma steht in drei Jahren auch noch. Wenn jemand Verständnis dafür hatte, dann sein Vater.

      Ich habe vor lauter Geschäftsmeetings und Unternehmensführung schon einen Sohn kaum aufwachsen sehen. Meine zweite Chance vermassle ich ganz sicher nicht, hatte er gesagt und sich eisern Zeit für Patrick genommen. Ach, Jonathan, du guter, erfolgreicher Jonathan, kein bisschen eifersüchtig bist du gewesen! Dabei hätte dir das keiner verdenken können.

      Du hattest die Mutter, die sich lieber um ihre beauty als um ihren Sohn kümmerte und den Vater, der rund um die Uhr arbeitete. Gemeinsam hatte diese Kombination ein ewig streitendes Ehe- und Elternpaar ergeben, das geschieden wurde, als du elf warst. Das große Los zog Patrick, der kleine Bruder, von allen geliebt, betütert und umsorgt. Statt ihn zu trietzen liebtest du mit.

      „Setzt euch ruhig auf die Rückbank, ihr Turteltäubchen“, sagte Jonathan, als sie bei seinem Wagen angekommen waren, „da könnt ihr Händchenhalten und ein bisschen plaudern und ich kann in Ruhe fahren.“ Schwungvoll öffnete er die Tür und verbeugte sich. „Kommt Sophie auch“, fragte Patrick. „Ist der Papst katholisch?“, fragte Jonathan zurück, „selbstverständlich.“

      Die ohnehin nicht besonders weite Fahrt verging wie im Flug und Mutter und Sohn genossen die Zeit zu zweit. Es ist gut, dass ich gekommen bin, dachte Patrick, als der Wagen anhielt. Wie konnte ich nur daran zweifeln?

      2 Ein Geschenk voller Leben

      Das Essen war großartig, die Gespräche unterhaltsam, die Gäste angenehm. Drei befreundete Ehepaare waren gekommen, Vaters rechte Hand aus der Firma, die beiden besten Freundinnen seiner Mutter und ein Fotograf, mit dem sie seit Jahren zusammenarbeitete. Dazu Jonathan und seine Sophie und er.

      Die Tafel im Nebenraum war mit Blumen geschmückt und man sah ihr an, dass sie festliche Anlässe gewöhnt war. Er plauderte mit seinen Eltern, mit Jonathan und fand Sophie sympathischer als er befürchtet hatte. Er freute sich für seinen Halbbruder, denn die beiden hatten eine ebenso respekt- wie humor- und liebevolle Art miteinander umzugehen. Vielleicht wurde er ja bald zu einer Hochzeit eingeladen?

      Dann aber bitte in den Semesterferien, regte sich sein schlechtes Gewissen. Als der Nachtisch serviert wurde, betraten zwei Männer mit Koffern unauffällig den Raum und waren dankbar, vorerst nicht beachtet zu werden. In einer Nische neben der Tür begannen sie zu hantieren. Was die beiden wohl vorhatten? Die Antwort ließ noch eine Weile auf sich warten.

      Denn zunächst schlug Jonathan mit seinem Löffel dezent an sein Weinglas. Seine Rede war kurz, galant, und schließlich stand Paul Weber, die Seele der Firma, auf und überreichte „der verehrten Frau Geburtstagsjubilarin“ einen Blumenstrauß und ein Kuvert „mit den besten Wünschen der Belegschaft“.

      Natürlich applaudierte er genau wie alle anderen, obwohl er es irgendwie peinlich fand, dass die Mitarbeiter die Frau ihres Chefs beschenkten. Denn er war sicher, sie hatten es allesamt nötiger als seine Eltern. Sein Lächeln geriet deshalb ein wenig schief, als seine Mutter das Kuvert öffnete. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und umarmte abwechselnd Jonathan und den bis über beide Ohren rot gewordenen Paul Weber.

      „Sagen Sie allen, das ist das schönste Geschenk, das ich mir vorstellen kann!“, brachte sie gerührt hervor. Da war offensichtlich jemand kreativer gewesen als er, der Handtuchhalter ohne H und E und R und auch ohne Z. Selbstverständlich wurde ein Foto mit Blumen, Kuvert, Weber, Jonathan, dem Geburtstagskind und Papa Chef gemacht. Zur Erinnerung und für die homepage und die Mitarbeiterzeitschrift. Dankbar registrierte er, dass niemand ihn bat, sich dazu zu stellen. Was wohl in dem Umschlag steckte?

      Er zügelte seine Neugier, denn er war sicher, er würde es später erfahren. Als alle wieder auf ihren Plätzen saßen und einigermaßen Ruhe eingekehrt war, hörte er leise Musik vom anderen Ende des Raumes. Daher die beiden Männer mit den schwarzen Koffern. Ein Geiger und ein Cellist, beide stilvoll im schwarzen Frack, spielten zunächst dezent eine gefällige Melodie, steigerten allmählich die Lautstärke und gingen schließlich in ein Geburtstagsständchen über.

      Alle stimmten ein, und er konnte nicht anders, er hörte sich selbst ebenfalls mitsingen. Nahtlos in Applaus der Gäste und eines der Lieblingslieder seiner Mutter übergehend, schoben Jonathan und sein Vater ein paar Tische zur Seite. Während er noch überlegte, was das zu bedeuten hatte, forderte sein Vater seine Mutter zum Tanzen auf.

      Okay, er selbst war kein Tänzer, schon gleich gar nicht, wenn es um Walzer ging, aber er genoss den Anblick. Da schwebten seine Eltern, 50 und 62 Jahre alt, eng umschlungen wie zwei frisch Verliebte und glücklich strahlend über eine improvisierte Tanzfläche. Musste Liebe schön sein! Selbst als weitere Paare ebenfalls anfingen zu tanzen, stachen seine Eltern als besonderes Paar hervor.

      Okay, Jonathan und Sophie sahen auch gut aus, aber, pardon an das junge Glück, Herr und Frau Kurt Lenau lagen eindeutig an der Spitze. Unwillkürlich zog er sich weiter in seine Ecke zurück, denn er wollte um jeden Preis vermeiden, dass ihn jemand aufforderte. Er hatte kein Geschenk, er war der am schlechtesten gekleidete Gast des Abends, er wollte nicht auch noch als miesester Tänzer in die Annalen der Feier eingehen. And the loser iiiiiiis: …

      Als die beiden Musiker nach zahlreichen Tanzrunden eine Pause machten und sich alle mit Getränken versorgt und an einem späten Buffet-Imbiss gütlich getan hatten, klatschte sein Vater in die Hände, um für Ruhe zu sorgen. „Meine liebe Sabine, werte Freunde, keine Sorge, wir können bald weiter das Tanzbein schwingen. Ich möchte aber natürlich die Gelegenheit nutzen, mich bei der großartigsten Frau, die ich kenne für mehr als 19 gemeinsame Jahre zu bedanken. 18 Mal durfte ich dir bereits als meine Frau zum Geburtstag gratulieren, und ich hoffe, es kommen noch zahlreiche weitere hinzu. Sabine, du bist meine Liebe, du bist mein Leben, und ich bin kein großer Redner. Deshalb lasse ich etwas anderes für mich sprechen. Ich wünsche dir alles Gute für dein nächstes halbes Jahrhundert!“

      Okay, dachte Patrick, er ist wirklich kein großer Redner, aber er hat sich auch nicht blamiert. Jonathan löschte das Licht und schaltete einen Beamer ein. Ein Bild von einem wunderschönen Blumenbukett an der weißen Wand begrüßten die Gäste mit einem Ah. Besonders als auf raffinierte Weise „Sabines halbes Jahrhundert“ eingeblendet wurde. Mal sehen, was Papa sich da ausgedacht hat. Und schon intonierten die beiden Musiker eines ihrer Lieblingslieder.

      An der Wand tanzten Bilder aus 50 Jahren ebenso elegant wie eben noch die Paare auf der Tanzfläche. Fotos aus ihrer Kindheit, Fotos, die sie selbst aufgenommen hatte. Urlaub, Winter im Garten, Strandszenen, Zeitungsausschnitte diverser Ausstellungen, seine Geburtsanzeige, Familienszenen, Besprechungen im Büro, noch mehr Fotos, die sie gemacht hatte, Patrick staunte mit offenem Mund. Die Auswahl, die Abfolge, die Präsentation, die Musik dazu, alles war so gut durchdacht, so liebevoll präsentiert, nicht nur er hatte am Ende Tränen in den Augen. Das Leben seiner Mutter betrachtet durch die liebenden Augen seines Vaters. In jeder Hinsicht ein Meisterwerk.

      Als das letzte Bild erschien, spielten die Musiker einfach weiter. Jonathan ließ das Licht aus, keiner rührte sich, nichts sollte diesen Moment stören. Was für ein Abend! Sicher war er nicht der einzige, der diesen Gedanken hatte. Es wurde wieder getanzt, Champagner serviert, später Espresso und eine Eisbombe, aber das Licht im Raum blieb gedimmt. Niemand wollte die Erinnerung an diese Hommage an Sabine Lenau verblassen lassen.

      Er wusste nicht, wie spät es war. Sie fuhren mit zwei Taxis nach Hause. Jonathan zog Patrick zu sich und Sophie ins Auto, damit ihre Eltern diesen denkwürdigen Abend zu zweit ausklingen lassen konnten. Sie setzten ihn an seinem Elternhaus ab und verabredeten sich vage auf einen brunch, aber bitte nicht vor 13 Uhr. Geistesgegenwärtig hatte Jonathan ihm seinen Schlüssel zugesteckt, denn gerade als sie vorfuhren, wurde im Schlafzimmer der Eltern das Licht gelöscht.

      Leise öffnete Patrick die Haustür, leise ging er die Treppe hinauf, so leise wie möglich putzte er Zähne und als er in seinem Kinderzimmer ins Bett fiel, hätte ihn nicht einmal die Schlumpf-Bettwäsche gestört, so müde war er. Er träumte von Walzerklängen, Geigen im Frack und dem glücklichen Lachen seiner Eltern.

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