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meinem Kopf analysiere.

      »Kleine, du sprichst hier mit der Erfinderin dieser Fähigkeit. Wenn du verstehst, wie die Energie des Schildes funktioniert, dann kannst du sie auch überwinden, neutralisieren oder übernehmen.«

      »Mhm«, vernehme ich einen Laut, der aus meiner Kehle kommt. »Ich muss wohl noch viel lernen.«

      »Yip, so ist es.«

      »Hast du dir das alles selbst beigebracht?«

      Plötzlich wird Hope ganz still. Ich habe eine Grenze überschritten, ohne mir darüber im Klaren zu sein. Ich bohre nicht nach. Wenn sie bereit ist, mir mehr aus ihrer Vergangenheit zu erzählen, dann wird sie es schon tun.

      »Du hast dir einen wirklich inspirativen Platz zum Schreiben ausgesucht«, knüpft Hope nahtlos an das Thema vor unserem Training an. »Weißt du, wie man dieses Naturphänomen nennt?«, fährt sie fort und macht eine übertrieben weite Geste mit ihren Armen, die die ganze Aussicht einfasst. Ich schüttle zweimal meinen Kopf und lasse meinen Blick über die tausend Laubbäume schweifen, die man von der kleinen Anhöhe aus überblicken kann. Die Natur ist atemberaubend schön.

      Die Welt hat sich binnen weniger Tage in ein zauberhaftes Gemälde verwandelt. Die Blätter leuchten sanft rot, gelb, orange und der Himmel strahlt seit Tagen unendlich tief und azurblau, so als säßen wir in einem lichtdurchfluteten Tintenglas. Ich habe noch nie einen so schönen Himmel gesehen.

      »Vielleicht wurde es nach einem Künstler oder dem Schöpfer höchst persönlich benannt«, spekuliere ich.

      Hope blickt sinnend hinaus. »Eine alte Freundin nannte diese Jahreszeit den Indian Summer«, sagt Hope sanft und malt mit ihren Fingern faszinierende, unsichtbare Symbole in die Luft. Hopes eigene, für sie typische, Zeichensprache.

      Ich überlege, wer diese Freundin wohl war und ob sie noch lebt, wo sie sich jetzt gerade aufhält, ob Hope jetzt doch etwas preisgeben möchte, während mich das Spiel der Farben in seinen Bann zieht. »Der Sommer der Indianer?«

      Hope ist in Gedanken, beginnt, sich ihr langes, schwarzes Haar mit den Fingern durchzukämmen. Die Blätter und Ästchen, die sich darin verfangen haben, zu entfernen. Ich übernehme diese Aufgabe für sie, während ich sie bitte, mir mehr zu erzählen.

      »Hier im Norden lebten einst Indianer. Irokesen nannte man ihren Stamm. Meine Freundin war ein Nachkomme dieses naturverbundenen Völkchens. Sie hat mir erzählt, dass ihre Urgroßväter große Friedensstifter waren. Ein legendärer Häuptling, sein Name war unaussprechlich, klang für mich, wie wenn sich jemand einen Stock in den Hals steckt und dann die Worte Luft und Wasser sagen will.« Ich muss glucksen. »Nun, also der Häuptling hat den Zusammenschluss des Völkerbundes aller Irokesen bewirkt. Ihrer Geschichte zufolge, lebten sie alle in einem Haus, das siebenhundert Meter lang war. Die Leute vom Großen Hügel bewachten das westliche Tor und die Leute vom Feuerstein das östliche. Niemals waren die Eingänge unbewacht«, erzählt Hope mit ihrer Stimme und ihren Fingern und Gesten.

      »Was tust du mit deinen Händen?«, will ich wissen.

      »Das war ihre Art, sich mit uns zu verständigen«, antwortet Hope und ich weiß, sie spricht von ihrer alten Freundin.

      »War sie stumm?«

      »Ich denke, sie hatte sich einfach dazu entschlossen, sich nicht mit Worten, sondern mit Symbolen Ausdruck zu verschaffen. Ich habe viel von ihr gelernt.«

      Hope hält für einen Augenblick inne, fährt sich mit der Hand über das Gesicht, ihre Augen. »Die Winter hier im Norden sind sehr hart. Die Nahrungsspeicher müssen pünktlich randvoll mit Vorräten sein, damit alle die kalte Jahreszeit unversehrt überstehen konnten. Der Indian Summer läutete in ihrer Tradition die Jagdsaison ein. Die roten Farben waren als Zeichen der Götter zu verstehen und bedeuteten ihnen, dass es an der Zeit war, Vorbereitungen zu treffen, bevor der Winter über das Land hereinbricht. Die Jagdsaison war eröffnet.«

      Ich kämme Hopes Haare der Länge nach mit meinen Fingern durch und lausche ihrer weichen, melodischen Stimme, verfolge die subtilen, einzigartigen Bewegungen ihrer Finger. Sie ist eine wundervolle Geschichtenerzählerin.

      »Du weißt zu allem und jedem etwas zu erzählen. Ich hätte auch gern so ein Superhirn wie du. Woher weißt du nur so viel?«, will ich wissen.

      Hope schaut mich über die Schulter an, ihre Augen funkeln amüsiert. Sie legt ihren Kopf schief. »Das ist einfach zu erklären. Ich bin eben hochintelligent«, lacht sie und dann: »Spaß beiseite, ich hatte das Glück, in einer privilegierten Familie aufzuwachsen. Wie alle Kinder loyaler Familien sollte ich später auf einer Universität der Gesandten studieren, um dann einmal zur Elite zu gehören. Also zu denen, die mehr wissen dürfen als alle anderen. Schon als ich ganz klein war, hat mir mein Vater das Lesen beigebracht. Er meinte, sie können uns alles nehmen, aber nicht das, was wir wissen. Ich hatte damals keine Ahnung, wen er damit meinte.«

      »Wenn dich die Vollstrecker erwischen und löschen, dann nehmen sie dir auch das«, sage ich ernst und denke an die gelöschten Jungs, die, unweit von hier, in unserem Lager versuchen ins Leben zurückzufinden.

      »Sie haben mich aber nie erwischt.« Ich erinnere Hope nicht daran, dass sie von einer Drohne abgeschossen wurde und fast getötet wurde. Als wir uns nach acht Wochen, nach der Zeit im Atombunker, wieder gesehen haben, war ich erstaunt darüber, wie gut es ihr ging. Von ihrer Verletzung war nichts mehr zu sehen und Hope hat auch nie mehr darüber gesprochen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte so gut wie sie die schrecklichen Erinnerungen verdrängen und nur hoffnungsvoll nach vorne blicken.

      Manchmal?

      Ständig, um genau zu sein.

      »Diese Privilegierten, von denen du sprichst? Gehörten dazu auch solche Menschen wie Halo und Fischer und der Professor?«

      »Ja und meine Todfeindin Kristen und Adam auch«, ergänzt Hope.

      Ich nicke stumm und zupfe ein Blatt aus einer ihrer Strähnen. Niemals hätte ich Adam im gleichen Atemzug mit Kristen erwähnt. Todfeindin, hat sie gesagt. Hope trifft den Nagel auf den Kopf. Die beiden können sich nicht ausstehen. Sind wie Hund und Katz.

      »Was ist dann geschehen?«

      »Diesen Teil meiner Vergangenheit kennst du bereits. Meine Mutter war ein Symbiont. Die Vollstrecker kamen sie holen und wir haben sie nie mehr gesehen. Sie haben uns gesagt, dass sie tot sei. Meinen Vater haben sie in Frieden gelassen, solange er treu den Interessen der Gesandten diente. Ich denke, er hat sich davor gefürchtet, sie würden ihm nach seiner Frau auch seine Kinder wegnehmen, wenn er nicht nach ihren Regeln mitspielte. Er ist ein Jahr später, nachdem meine Mutter fort war, gestorben.«

      »Der Fluch der Symbionten«, sage ich leise. Hope sagt dazu nichts, fährt mit ihrer Erzählung fort.

      »Adam ist nach dem Tod meines Vaters in seine Fußstapfen getreten und als es offensichtlich war, dass ich symbiontische Fähigkeiten von meiner Mutter geerbt habe, bin ich geflohen und habe mich lange versteckt.«

      »Du hast mal erzählt, dass du andere Symbionten gefunden hast. Andere Mädchen, Frauen, die wie wir sind? Hast du dort das Indianermädchen getroffen? War sie auch ein Symbiont, so wie du und ich?«

      Hope neigt ihren Kopf und blickt mich traurig an. »Anscheinend verfügen wir über eine Art inneren Magneten. Wir Symbionten ziehen uns an und finden uns. Egal wo auf der Welt. Wir beide haben uns ja auch gefunden.«

      »Magst du mir von den anderen Symbionten erzählen?«, frage ich jetzt ganz vorsichtig, weil ich spüre, wie schwer es Hope fällt, darüber zu sprechen.

      »Sie sind alle tot, so wie meine Mum.« Ich schlucke einen Kloß aus Metall die Kehle runter. Verstumme. Streiche weiter stoisch durch Hopes Mähne.

      »Es war ein Tag wie heute. Keine Wolke konnte dem Himmel etwas anhaben. Ich hatte seit Wochen keine Vollstrecker mehr gesehen, dann hörte ich Motorengeräusche. Ich versteckte mich unter meinem Schild und wartete wachsam ab. Zwei Motorräder preschten hinter der Hügelkuppe hervor und hinterließen eine Spur von Verwüstung auf der Wiese. Ganze Büschel Gras und

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