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Retourkutsche. Kendran Brooks
Читать онлайн.Название Retourkutsche
Год выпуска 0
isbn 9783847686842
Автор произведения Kendran Brooks
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Manuel lächelte bitter.
»Letzten Dezember hat eine Armeeeinheit Arturo Beltrán Leyva nahe Mexiko City aufgespürt und erschossen. Arturo war der Boss der Bosse des Beltrán-Leyva Kartells. Bei der wilden Schießerei kam aber auch ein junger Soldat ums Leben. Diesem gab die Regierung eine Woche später ein Staatsbegräbnis. Dadurch wurde sein Name landesweit bekannt. Nur Zwei Tage später drangen Bewaffnete in das Haus der Mutter dieses Soldaten ein, töteten sie selbst, zwei seiner Geschwister und eine zufällig anwesende Tante. Jedes Jahr werden hier im Norden von Mexiko mehrere tausend Menschen getötet, darunter ein Dutzend Journalisten. Mittlerweile wird in den Zeitungen und am Radio und im Fernsehen über die Erfolge der Polizei und der Armee gegen die Drogenkriminalität oft gar nicht mehr berichtet, aus lauter Angst, sich den Zorn eines der Kartelle zuzuziehen. Teile der Polizei und der Armee werden von den Kartellen geschmiert und verraten ihre loyalen Kollegen. Erst kürzlich musste der Polizeichef von Juárez seinen Posten wegen Bestechlichkeit räumen. Zwei Wochen später hat man ihn an der Grenze zur USA mit einer Lieferung Drogen erwischt. Ehemalige Drogenfahnder der mexikanischen Polizei haben sich vor Jahren dem Golf-Kartell angeschlossen. In der Zwischenzeit hat sich dieses einst mächtigste Syndikat von ganz Mexiko in das Zetas und das Beltrán-Leyva Kartell aufgeteilt. Die Zetas treten dabei besonders brutal in Erscheinung, kennen auch keinerlei Skrupel gegen völlig unbeteiligte Menschen. Sie töten, was ihnen in die Quere kommt, ohne jedes Gewissen.«
»Und wie sind die Kartelle hier in Juárez organisiert? Du sprachst von Jugendbanden?«
»Für das Juárez-Kartell streiten sich immer noch die Los Aztecas. Sie sollen über fünftausend Mitglieder zählen. Die anderen Kartelle bedienen sich wahlweise der Mexides und der Artistas Asesinos, zwei weitere große Gruppierungen und erbitterte Feinde der Los Aztecas. Aber es gibt auch noch andere, kleinere Banden. Du findest hier in Juárez an jeder Ecke Kontakt zu einem Sicario, einem Auftragsmörder. Wenn dein Opfer nicht besonders prominent und darum auch nicht von Leibwächtern beschützt wird und seine Ermordung kaum Aufsehen erregt, so kostet dich ein Mord nicht mehr als siebzig US-Dollar.«
Henry konnte über diese Aussagen nur den Kopf schütteln.
»Kennst du die Menge oder den Wert an Drogen, die von Mexiko aus in die USA geschafft werden? Von welchen Größenordnungen sprechen wir bei diesem Geschäft?«
»Janet Napolitano, die US-Heimatschutzministerin, meinte vor noch nicht langer Zeit in einem Interview, dass neunzig Prozent des Kokains aus Mittelamerika über Mexiko in die USA geschleust wird. Hinzu kommen tausende von Tonnen an Amphetaminen. Marihuana spielt mittlerweile eher eine Nebenrolle, auch wenn die Mengen gigantisch sind. Wie man sich erzählt, erreichten die Drogenlieferungen aus Mexiko in die USA letztes Jahr einen Wert von mehr als dreißig Milliarden Dollar. Der Straßenwert dürfte bei über einhundert Milliarden liegen. Nur etwa ein Drittel der dreißig Milliarden sollen als Bargeld zurück nach Mexiko geflossen sein, zwei Drittel jedoch in Form von Waffen und Kriegsmaterial. Denn damit bezahlen die mexikanischen Kartelle ihre Lieferanten aus Mittelamerika. Der Anbau von Kokain liegt dort meistens in den Händen von Terror-Organisationen wie zum Beispiel den FARC in Kolumbien.«
Henry dachte über die Erklärungen von Manuel gründlich nach. Sein Freund ließ ihm die Zeit, saß stumm am Tisch und wartete ab.
»Du sagst, das Juárez-Kartell habe in letzter Zeit an Einfluss verloren, das Sinaloa-Kartell dagegen gewonnen?«
Manuel nickte.
»Doch die Los Aztecas, die größte lokale Jugendbande, unterstützt immer noch das Juárez-Kartell?«
Wiederum nickte der Mexikaner.
»Kannst du für mich herausfinden, wo das Juárez-Kartell sein Hauptquartier hat? Ich meine, wo es seine Buchhaltung führt?«
Manuel starrte seinen britischen Freund nachdenklich an.
»Willst du den Toro gleich bei den Hörnern packen? Vicente Carrillo Fuentes, der Boss des Juárez Kartells, ist zwar angeschlagen, doch noch längst nicht am Ende.«
Henry antwortete nicht, blickte seinen Freund bloß aufmunternd an. Der fuhr nach ein paar Sekunden in einem nachdenklicheren Tonfall fort.
»Ich müsste mich erst bei ein paar von meinen alten Bekannten umhören. Gibst du mir zwei, drei Tage Zeit dafür, ja?«
»Selbstverständlich, mein Freund. Doch ich hätte noch zwei weitere Bitten an dich.«
»Ja?«
»Könnte ich ein paar Tage bei dir unterkriechen?«
»Sicher. Das ist kein Problem.«
»Und kannst du mich in einen Mexikaner verwandeln?«
*
Spielleidenschaft ist etwas Großartiges, vor allem, wenn sie in der Hauptstadt des Gamblings, in Las Vegas ausgelebt wird. Dorthin hatte es nämlich Toni Scapia mittlerweile verschlagen.
Er hatte eine Suite im Bellagio bezogen, spielte jeden Abend für ein paar tausend Dollar Blackjack, verlor sie stets brav, war darum gern gesehen und wohnte deshalb auch vom dritten Tag an umsonst. Denn ein Casino-Hotel gab einen finanzkräftigen, glücklosen Spieler nicht so leicht aus seinen Fingern frei. Toni gab die Vorstellung eines reichen Müßiggängers, der mit seiner freien Zeit und dem vielen Geld nichts Sinnvolles anzustellen wusste.
Noch bevor er nach Las Vegas abgereist war, hatte er drei verschiedene Privatdetekteien auf die drei leitenden Mitarbeiter von Hecksmith & Born angesetzt. Den Name dieser Anwaltskanzlei hatte er von Jules erfahren. Sie schien auf Firmengründungen spezialisiert zu sein und verwaltete zwei der wegen möglichen Geldwäscherei-Vergehen verdächtigten Briefkastenfirmen. Die Privatdetektive sollten ihm nach zwei Wochen einen ersten Überblick über den Tagesablauf der drei Zielpersonen geben. An diesem Morgen bekam er zum Frühstück die ersten Berichte zugestellt.
Thomas Martin, der Leiter der Kundenbuchhaltung, pflegte enge Kontakte zu drei verschiedenen Edelnutten der Stadt, schien jede von ihnen einmal die Woche über den Mittag zu besuchen. Er lebte mit seiner Frau und den beiden Kindern in einer großzügigen Villa in einem der Neubaugebiete im Norden der immer weiter in die Wüste vordringenden Stadt. Dort hatte er alle Abende und Nächte verbracht, ging mit seiner Frau wohl eher selten aus. Thomas Martin verdiente bestimmt genug, um sich die kleinen Laster mit den Dirnen leisten zu können. Er bot Toni Scapia kaum genügend Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Erpressung.
Der zweite Kandidat war weit vielversprechender.
Alberto Valandera war erst vor zwei Jahren aus New York in die Wüstenmetropole umgezogen. Den Junggesellen ohne feste Freundin sah man fast jede Nacht für ein paar Stunden im MGM, wo er sich die Zeit mit No-Limit Texas Hold’em vertrieb, bei Big Blinds von zweihundert Dollar.
Toni setzte sich noch am selben Abend, als er von dessen Gewohnheit erfuhr, an den Tisch von Valandera. Während den nächsten drei Stunden wurde zwischen den Spielern nette Konversation betrieben und auch viele Chips ausgetauscht. Toni Scapia gab sich dabei alle Mühe, eine möglichst redselige Stimmung aufrechtzuhalten. Bewusst verlor er an diesem Abend ein paar tausend Dollar an seine Tischnachbarn, foldete immer wieder seine Gewinnhände vorzeitig oder bluffte unsinnig. Verlierer sind an Pokertischen nun einmal ganz besonders gerne gesehen, vor allem, wenn sie hartnäckig an der Sache dranbleiben und an eine künftige Glückssträhne glauben. Die sieben Männer und die beiden Frauen verabredeten sich auch für den nächsten Abend auf acht Uhr. Der Kick-Off zum Projekt Alberto Valandera war erfolgt.
Am wenigsten Greifbares ergab die Überwachung der dritten Person. Caspar Jakes war der General Manager der Anwaltskanzlei. Die Aufzeichnungen der Detektei über ihn zeigten vor allem auf, dass er in der letzten beiden Wochen je einmal nach Los Angeles und zweimal nach San Francisco geflogen war. Dorthin konnten ihm die Mitarbeiter der Detektei nicht folgen, denn das vereinbarte Spesenbudget gab die Zusatzkosten für die Flugtickets nicht her.
Toni fand die Flüge allerdings genügend verdächtig. Immerhin lebte die Anwaltskanzlei nicht von normalen Mandanten und trat kaum einmal vor einem Gericht auf, sondern