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Flüchtlingsdrama eines Drillings. Isa Louise Reichenbach
Читать онлайн.Название Flüchtlingsdrama eines Drillings
Год выпуска 0
isbn 9783737586252
Автор произведения Isa Louise Reichenbach
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die werdende Mutter war von dem Geschehen so erschüttert, dass sie nicht mehr in Peenemünde bleiben wollte. Aufgrund der Schwangerschaft konnte sie einen Versetzungsantrag in die Nähe ihres in Schlesien stationierten Ehemannes stellen, der umgehend genehmigt wurde. Kinder waren zu dieser Zeit sehr erwünscht.
Sie reiste sofort zu ihrer Schwiegermutter nach Bernstadt in Schlesien, die dort als gelernte Köchin die Gaststätte Schützenhaus betrieb. Das Schützenhaus war ein großes altes Gebäude mit dicken Mauern, hinter denen es mächtig kalt war. Die Septembertage waren schon ziemlich kühl geworden und die junge, schwangere Frau fror in dem Haus sehr. Mit ihrem Ehemann stand sie dank der gut funktionierende Feldpost in Verbindung. So wusste Claire auch, dass ihr Mann nicht sehr weit entfernt, im Ort Rogau-Rosenau, bei der Fliegereinheit stationiert war. Edwin bildete dort andere Soldaten aus.
Eine Weile die Kälte bei der Schwiegermutter hingenommen, entschloss sie sich, ihren Mann, den künftigen Vater, aufzusuchen, der sich sehr über ihr Kommen freute. Er suchte und fand sofort ein Zimmer in einem Hotel.
„Da bekam ich ein wunderschönes Zimmer“, erzählte sie später, „und alle waren sehr freundlich“.
Das war eine gute Ankunft in Zobten am Berge, wie der Ort hieß.
Die Zeit der Schwangerschaft ging voran und der Körper kam in Form. In dem Hotel konnte sie auf Dauer nicht bleiben und mit einem bald ankommenden Kind überhaupt nicht. Also machte sie sich auf die Suche nach einem Zimmer zur Untermiete. Schnell fand sie ein sehr schönes Quartier bei einer Frau Schmidt in der Bergstraße.
Das Anwesen von Frau Schmidt war so gebaut, dass die Vorderfront mit zwei Fenstern versehen war. Statt einer Türe ins Haus gab es einen kleinen Torbogen, durch den man in einen Innenhof kam, in dem wunderschöne Blumen und kleine Bäume angepflanzt waren. An den Wänden rankte wilder Wein mit seiner lebendig-dunkelroten Farbe. Für eine werdende Mutter eine Oase der Ruhe – mitten im Krieg, den es hier nicht gab.
Es kam ein sehr kalter Winter 1944. Doch in ihrem Zimmer war es warm und gemütlich. Der kleine Ofen verbrannte die Kohlen sehr gut und erzeugte eine wohlige Wärme.
Claire hatte zwar einen schlesischen Mann geheiratet, aber sie wusste von der Heimat ihres Mannes noch gar nichts.
Zobten am Berge war hübsch und von kleinen Hügeln umgeben. Größere Häuser wie in Stettin gab es dort nicht, auch keine Busse und Straßenbahnen. Edwin schilderte, dass die Menschen in Schlesien sich untereinander schon Glaubenskämpfe vor dem Krieg geliefert hatten. Die schlesischen Gebiete waren zumeist von katholischen Gläubigen besiedelt, den evangelischen Glauben, dem meine Mutter angehörte, kannte man kaum. Die evangelischen und die katholischen Leute durften nicht miteinander sprechen. Die beiden Pastoren beschimpften sich wegen der Glaubenszugehörigkeit. Sie forderten die Leute sogar mal auf, sich gegeneinander aufzulehnen. Das uferte aus und die Leute gingen mit Stöcken aufeinander los. Das Volk wurde vom Virus des Kleinkrieges infiziert und kämpfte einen sinnlosen Kampf. Alle waren sich irgendwie fremd und vermuteten hinter jedem anderen etwas Schlechtes. So war kein vernünftiges Miteinander möglich. Ein geheimnisumwittertes, gespanntes Verhältnis hatte sich unter den Menschen breitgemacht. Der Fleischer grüßte den Bäcker von nebenan nicht mehr, obwohl sie jahrelang befreundet waren – nun trennten sie die Parteibücher. Es tobte selbst in der Zeit des Zweiten Weltkrieges auch noch ein zwischenmenschlicher Kleinkrieg.
In diesem Klima des Miteinanders hatte die Mutter Meta versucht, das Gasthaus, das ihr als Witwe ihres verstorbenen Mannes gehörte, zu führen. Das war ein Speiselokal mit etlichen Stammgästen, denn sie liebte ihren Beruf als Köchin sehr.
Von diesen Geschehnissen wusste die werdende Mutter Claire gar nichts. Ihr Leben in der Großstadt war schon damals angenehmer.
Die Geburt der Zwillinge und das Trauma des Todes
Es war der 25. Februar 1944, als die Geburt bei der jungen Frau begann.
In dem kleinen Ort Zobten gab es nur ein kleines Krankenhaus, das die werdenden Eltern eilig aufsuchten. Allerdings war nur eine Hebamme im Krankenhaus und der Arzt selbst erkrankt. Dieses Krankenhaus war erzkatholisch und diese Menschen waren es gewöhnt, den evangelischen Glauben und seine Menschen abzulehnen oder zu bekämpfen. So geriet die junge Frau in dem katholischen Krankenhaus zwischen die Fronten menschlicher Zwietracht und Intoleranz. Die Nonnen sprachen kaum mit ihr und überließen sie mehr sich selbst.
Die Geburt verlief über viele Stunden. Es war in der Nacht gegen 3 Uhr, als das Mädchen das Licht der Welt erblickte. Mit seinen 6 Pfund sah es recht kräftig aus und krähte fröhlich in die neue Umgebung. Die Eltern gaben ihr den Namen Barbara und waren sehr glücklich und stolz. Die Mutter hatte jedoch weiterhin sehr starke Schmerzen. Man muss dazu sagen, dass es in Kriegszeiten damals keine medizinische Vorsorge gab und die Menschen mit den damit verbundenen Überraschungen fertig zu werden hatten. Als die Hebamme noch mal nachfühlte, lächelte sie und sagte:
„Ich traue meinen Augen kaum, da ist ja noch ein Köpfchen … Es kommt also ein zweites!“
Es war bereits in den Morgenstunden, als ein weiteres Mädchen in dieses Leben hineingepresst wurde! Die Eltern gaben ihr den Namen Sieglinde. So waren Barbara und Sieglinde auf der Welt – schöne und gesunde Mädchen. Die Eltern freuten sich und glaubten, ihr Glück sei vollkommen. Sie ahnten nicht, dass die beiden Mädchen den Hauch des Todes mitgebracht hatten ...
Die Zwillinge wurden in kleine Bettchen gelegt und konnten sich – genauso wie ihre Mutter – nach der anstrengenden Geburt erst mal ausschlafen.
Frau Badusche, Claires Nachbarin, erzählte im ganzen Ort, dass so schöne Zwillinge geboren wurden. So kamen die Leute ins Krankenhaus, um die Babys zu besichtigen und etwas Freude in diesen finsteren Kriegszeiten einzufangen. Die Kälte des Februars 1944 wurde von den Besuchern in den dicken Mänteln nicht gespürt! Es gab noch keine verschlossenen Glashäuser, in denen die Babys geschützt vor Wind und Wetter ihre ersten Tage erleben konnten, und auch die Heizung des Krankenhauses gab nicht viel her. So herrschte Durchzug und niemand beachtete das. Außerdem waren weder Fenster noch Türen dicht, sodass die Kälte im Krankenhaus den beiden sehr zu schaffen machte. Das Hin und Her der vielen Menschen an den Bettchen, die Kälte, die sie von draußen mitbrachten – all das machte die Mutter und die Kinder krank. Die Mutter, die die beste Versorgung an der Brust für ihre Kinder übernehmen wollte, konnte das nicht. Sie bekam eine Grippe und hohes Fieber. Man reichte ihr keine Medikamente, sondern überließ sie dem Krankheitsfortgang. Das Personal der Abteilung – verirrt in der Vorstellung, evangelische Familien seien wertloser als katholische – machte sich rar in der Pflege. Es gab nur das Nötigste, jedoch keine freundliche Zuwendung.
In diesen Zeiten wurde mit Wasser verdünnte Milch den Babys gereicht, deren Mütter nicht stillen konnten. Das gab natürlich Verdauungsstörungen. So vertrugen auch die beiden kleinen Mädchen, Barbara und Sieglinde, die künstliche Ernährung nicht so recht. Hinzukommend hatten sie sich erkältet, vielleicht auch bei der Mutter angesteckt.
Der junge Arzt, der ansonsten den Dienst im Krankenhaus versehen hatte, war selber erkrankt. Ein alter, längst pensionierter Arzt erklärte, dass er sich damit nicht auskennt. So signalisierte er, dass er damit nichts zu tun haben will. Aus diesem Grund entließ man nach wenigen Tagen die an Fieber erkrankte Mutter mit den kranken Zwillingen aus dem Krankenhaus.
Die kleine Wohnung war wenigstens gemütlich. Dennoch war auch hier kaum ausreichende Wärme zu erzielen, da der Winter 1944 seine Temperaturen um die 20 Grad Minus hergab. Die Öfen waren klein und nicht ausgerüstet, so viel Heizmaterial aufzunehmen. Nichtsdestotrotz hofften die jungen Eltern, dass sie den Kindern dort helfen konnten, gesund zu werden.
Glücklicherweise war trotz der schlimmen Kriegszeit noch die Telegrafie möglich. So konnte man Claires Mutter, die Oma der Zwillinge, eilig aus Stettin herbeirufen. Der Opa war bei der Bahn als Wagenmeister tätig, daher konnte die Reise von Stettin nach Zobten am Berge in Schlesien sofort arrangiert werden.
Die Oma war selbst Mutter von drei Töchtern. Doch das Leben in der Stadt war einfacher