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die Speedwell spurlos verschwunden war, vergingen Tage und Wochen, ohne dass etwas Erwähnenswertes geschehen wäre. Eine trügerische Ruhe legte sich über den kleinen Küsten-Ort. Schließlich berichtet Farrel, dass Ende November 1884 einige Einwohner von Lost Haven über Schlafstörungen klagten. Zudem breitete sich eine zunehmend depressive Stimmung unter den Menschen aus. »Es scheint mir, als seien alle unfähig geworden, sich über die bescheidenen aber guten Dinge unseres gewohnten Lebens zu freuen«, schreibt Farrel.

      Zunächst schien niemand diese Merkwürdigkeiten in Verbindung mit der Speedwell zu bringen.

      Kurz nach der Wintersonnenwende gab es dann den ersten Bericht über eine geisterhafte Erscheinung. Es war die Witwe Marodith. Sie habe einen Geist gesehen, wie er nachts am Fußende ihre Bettes gestanden und sie angestarrt habe. Sie habe einen solchen Schreck bekommen, dass sie aus ihrem Bett gefallen sei, berichtet Farrel. Niemand glaubte ihr. Doch der Geist erschien wieder. Marodith fürchtete, es handle sich um den Geist ihres verstorbenen Mannes. Er sei aus dem Jenseits zurückgekehrt, um sich nun an ihr zu rächen, weil sie verschwiegen hatte, dass sie, als sie noch eine junge Frau war, ihrem Ehemann untreu gewesen war. Man wollte die arme Frau schon für verrückt erklären, als drei weitere Poltergeistphänomene die Runde machten.

      Ein Hafenarbeiter, der direkt an seinem Arbeitsplatz wohnte, wollte um Mitternacht seltsame Gestalten über das Wasser der Bucht schweben gesehen haben. Sie hätten sich an den Fischerbooten zu schaffen gemacht, indem sie diese wild hin und her stießen.

      Ein Mr. Harper, der Barbier des Dorfes, berichtete, dass er eines Nachts merkwürdige Geräusche in seinem Geschäft gehört hätte. Seine Wohnung befand sich im gleichen Haus eine Etage darüber. Als er die Treppe hinunterging, um nach dem Rechten zu sehen, hätte er seine Rasiermesser durch die Luft fliegen sehen. Nur durch reines Glück, wie er Arthur Farrel erzählte, sei er mit dem Leben davon gekommen.

      Emily Miller war eine junge Frau, die eine kleine Pension in Lost Haven betrieb. Sie wurde in einer Nacht aus ihrem Bett gerissen, als sämtliche Türen in ihrem Haus mit einem ohrenbetäubenden Lärm auf und zu schlugen. Schreiend sei sie ins Freie gerannt und beschwor, von draußen eine unheimliche feinstoffliche Erscheinung an einem der Fenster gesehen zu haben. Ein Anblick, der ihr für den Rest ihres Lebens schwere Schlafstörungen bereiten sollte.

      Waren der Hafenarbeiter, Mr. Harper und Emily Miller noch mit dem Schrecken davongekommen, nahm das Schicksal mit der Witwe Marodith eine traurige Wendung: Immer öfter erschien ihr der Geist in ihrem Schlafzimmer. Sie fühlte sich bedroht, fürchtete gar um ihr Leben, weil sie überzeugt war, dass der Geist ihres Mannes ihr nach dem Leben trachtete. Sie hielt es eines Tages nicht mehr aus und stürzte sich aus dem Fenster des ersten Stockwerks ihres Hauses.

      Es vergingen ein paar Monate, und die Einwohner von Lost Haven hofften stillschweigend, dass die merkwürdigen Geistererscheinungen ein Ende gefunden hatten. Doch sie sollten sich irren.

      Allein bis einschließlich 1889 verzeichnete Arthur Farrel über neunzig weitere Poltergeistphänomene. Dabei unterschieden sich die Darstellungen erheblich voneinander. Die Berichte reichten von merkwürdigen Geräuschen wie Flüstern, sich bewegenden Gegenständen bis hin zu Geistern, die vornehmlich in den Wohnhäusern in Erscheinung traten und dabei die Bewohner in Angst und Schrecken versetzten.

      Dabei sollte die Witwe Marodith nicht das einzige Todesopfer gewesen sein, das in Zusammenhang mit den Erscheinungen gebracht wurde. Sechs weitere Personen sollen den Poltergeistern zum Opfer gefallen sein. Drei Fälle davon sind allerdings eher vage beschrieben und stammen nicht aus Farrels Aufzeichnungen. Daher sind jene Todesfälle bei einer halbwegs objektivierten Betrachtung aus der Beweiskette herauszunehmen.

      Die Umstände der anderen drei Todesfälle jedoch sind an Kuriosität wahrlich kaum zu überbieten.

      3

      Den wohl seltsamsten Fall, der allen voran bis heute besonders kontrovers diskutiert und interpretiert wird, schildert der unermüdliche Farrel im Spätsommer 1890. Es war die wohl eindrucksvollste Schilderung einer Poltergeistheimsuchung, die es jemals gegeben hat. Keinem anderen Fall wurde jemals mehr Glauben aber gleichzeitig auch mehr Ablehnung entgegengebracht.

      Er ereignete sich in der 1722 gebauten Kirche von Lost Haven und wurde erzählt von Reverend Sasusa. Ebenezer Sasusa war in jenem Jahr ein 61 Jahre alter Mann, von dem nur bekannt war, dass er 1872 aus Massachusetts nach Lost Haven kam. Er galt als ruhiger und ausgeglichener Mensch, der nicht gerade als Frohnatur bekannt war. Die Einwohner achteten ihren Reverend für seine viel gelobten Sonntagsmessen, die praktisch nie jemand versäumte.

      Auch in diesen schwierigen Jahren war Reverend Sasusa ein wichtiger Pfeiler für seine Gemeinde. Viele fragten sich, ob sie Gott verlassen hätte. Ob Gott gar ganz Lost Haven mit einer Strafe belegt hätte. Doch Sasusa bemühte sich unentwegt, beruhigend auf die Menschen einzuwirken. Er verstand die unerklärlichen Geschehnisse als eine Art Prüfung von Gott, der man sich stellen müsse. Nichts, was Gott tat, war ohne Zweck. Davon war er zutiefst überzeugt. Er betete jeden Tag für Erleuchtung, suchte in der Bibel nach Trost und in Alten Schriften nach Lösungsmöglichkeiten, doch auch er vermochte nicht, den Bann zu brechen. Er klammerte sich an seine Gebete und seinen Glauben.

      So auch eines Abends im September 1890. Es war ein Freitag. Reverend Sasusa saß in seiner kleinen Sakristei der Kirche. Wie schon hunderte Male zuvor bereitete er sich gewissenhaft auf seine Sonntagsmesse vor, auch wenn es ihm in diesen Tagen kaum Freude bereitete. Wusste er doch, dass er wieder auf die Phänomene der letzten Jahre eingehen musste. Dennoch, so berichtete er es Farrel, der alles detailverliebt und lückenlos protokollierte, keimte im Reverend ein kleiner Funken Hoffnung auf. Denn die Geistererscheinungen schienen sich in den letzten Monaten beruhigt zu haben. Vielleicht wäre bald alles überstanden, so dachte er.

      Es war kurz vor Mitternacht, als Sasusa aus dem Kirchenschiff plötzlich einen donnernden Lärm hörte. Es sei so gewesen, als wäre eine der Sitzbänke hochgeworfen worden, um dann berstend auf den Steinboden zu krachen. Starr vor Angst und mit der zermürbenden Sorge, dass die Geister nun auch in das Haus Gottes eingedrungen waren, betete der Reverend das Vaterunser. Doch brachte er es nicht zu Ende. Weitere tumultartige Geräusche drangen auf der anderen Seite der Tür an seine Ohren. Geräusche von Sitzbänken, die auf dem alten und unebenen Steinboden verschoben wurden.

      Welche Macht auch immer in jenem Moment in seiner Kirche am Werke war, sie war wütend.

      Es war eine Prüfung. Dies hatte er seiner Gemeinde jahrelang eingebläut. Und einer Prüfung, insbesondere, wenn sie von Gott gestellt wurde, musste man sich stellen. Der Reverend nahm allen Mut zusammen, erhob sich von seinem Stuhl und näherte sich mit klopfenden Herzen der Tür, währenddessen das Poltern auf der anderen Seite fortdauerte. In dem Moment, in dem er die Türklinke berührte, verstummten mit einem Mal die Geräusche. Ein kurzes Zögern, dann öffnete Sasusa die Tür. Was er dahinter erblickte, ließ ihn zunächst glauben, in einem Alptraum zu leben.

      Der Reverend erblickte etwa drei Dutzend schwebende Sphären, die von einer schwarzen Korona umgeben waren, aber eine menschliche Form besaßen. Erst heute weiß man, dass diese Zahl ziemlich genau derjenigen Zahl an Siedlern entspricht, die auf der Speedwell der Neuen Welt entgegen segelten. Obwohl Sasusa keine Gesichter zu erkennen vermochte, spürte er, dass die Gestalten ihn forschend anstarrten. Einige schienen auf den Sitzbänken Platz genommen zu haben. Andere schwebten mehrere Meter über dem Boden, andere standen direkt neben der Tür und verströmten, so beschwor er es, eine eisige Kälte. Während sich keiner der Geister bewegte, schritt Sasusa wie in Zeitlupe ein Stück in die Halle hinein. Die Geister ließen ihn gewähren, was ihm Hoffnung gab, einen Kontakt zu den Geistern herstellen zu können.

      »Was kann ich tun, um euch zu helfen?«, fragte der Reverend.

      Kein Schrecken hätte ihn nach seiner Frage schlimmer treffen können als jene Tat, welche die Geister ihm in den folgenden Sekunden zumuteten. Lautlos und sehr langsam, so erzählte es Sasusa, hätten sich die schwebenden Sphären auf ihn zubewegt, bis sie ihn regelrecht eingekreist hatten. Sie wollten ihm etwas mitteilen, doch besaßen sie keine Stimme. Man vermutet heute, dass die Geister nur durch die Konzentration ihrer Energien in der Lage waren, dem Reverend eine Botschaft

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