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Traumafabrik. Robert Lorenz
Читать онлайн.Название Traumafabrik
Год выпуска 0
isbn 9783753190501
Автор произведения Robert Lorenz
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
DeMille, damals Ende sechzig, schwant, dass Desmonds Besuch dem „awful script of hers“ gilt. Aber ihr Verdienst reicht noch immer so weit, dass DeMille am Set ein „Hold everything!“ ins Mikrofon durchgibt und seine teuren Dreharbeiten für einen Moment unterbricht. „Thirty million fans have given her the brush“, entgegnet DeMille seinem Assistenten, als der eine platte Ausrede vorschlägt. Ihre Feststellung, „without me, there wouldn’t be any Paramount Studio“, ist vielleicht die einzige Aussage der Desmond im ganzen Film, die ein Fünkchen Wahrheit in sich trägt (sie erinnert zudem an Bette Davis, die nach ihrem Ausstieg bei Warner Bros. gelegentlich auf die Dächer deren Soundstages blickte und sich dachte: „I am responsible for a few of them being built.“ (Davis, Bette: The Lonely Life. An Autobiography, New York 1990 [1962], S. 216)). Bei ihrem letzten Aufeinandertreffen sei Charles Lindbergh gerade in Paris gelandet (1927), scherzt DeMille. Der DeMille-Set bietet heute eine kostbare Momentaufnahme, die einen Einblick in das Filmemachen am Ende der 1940er Jahre in Hollywood gewährt: Man sieht die sperrige Technicolor-Dreistreifenkamera für die Farbaufnahmen, all die Geräte und Kabel, die im Schwarz-Weiß des Films tatsächlich eine industrielle Aura umgibt (später im Film wandeln überdies Schaefer und Gillis in der Zigarettenpause während einer ihrer nächtlichen Skriptsessions durch eine beeindruckende Kulissenstadt).
Als Norma Desmond auf dem Regiestuhl von DeMille ihre Audienz bei dem Regietitanen abwartet, schwebt über ihrem Kopf ein Mikrofon vorüber, das sie voller Verachtung beiseite stößt. Ein alter Beleuchter erkennt sie, stellt sie mit seinem riesigen Scheinwerfer ins Spotlight, das sie wie ein Sonnenbad zu genießen scheint; daraufhin umringen sie bald die älteren Set-Leute und Extras, die sie noch kennen („I thought she was dead.“). Voller Glück über ihre vermeintliche Rückkehr weint sie DeMille gegenüber: „I just want to work again. You don’t know what it means to know that you want me.“ Aber die Anrufe aus dem Paramount-Management, die in der Desmond-Villa zuletzt eingingen und die sie aus Koketterie unbeantwortet ließ, galten nicht ihrem Skript, sondern ihrem alten Fahrzeug, das für eine Produktion als Requisite gemietet werden soll. Aber natürlich sagt ihr das niemand, schon gar nicht Max. Und so verlässt sie das Studiogelände mit der fixen Idee, in Kürze mit DeMille einen Film zu drehen. Eine Armee von Kosmetiker:innen gehen nun im Desmond-Anwesen ein und aus – sie bereitet sich systematisch auf den vermeintlich baldigen Produktionsstart vor, „like an athlete training for the Olympic Games“, „absolutely determined to be ready“.
Nicht nur verzichtet „Sunset Blvd.“ scheinbar en passant auf ein Happy End. Vielmehr wartet der Film mit einem Finale auf, dessen letzte Szenen seither Generationen von Cineast:innen faszinieren. Gillis will aus seinem goldenen Käfig ausbrechen; als er seine Sachen packt und verschwinden will, zurück nach Ohio, da bietet ihm die Desmond alles an, was auch immer er verlange. „I can’t face life without you!“, wimmert sie. Wilder, Brackett und Marshman Jr. nutzen diese Konstellation, um mit ihren Dialogen die ganze Tragödie des Star-Wesens zu sezieren – den Mangel an emotionaler Reife, die Sucht nach Prominenz. Gillis erwidert: „The audience left twenty years ago. Now, face it!“ Und: „Norma, you’re a woman of fifty. Now, grow up!“ Wie als Schlüssel zur Lösung eines Problems, das etliche Hollywoodmenschen aufgerieben, wenn nicht zerstört hat, resümiert Gillis: „There’s nothing tragic about being fifty, not unless you try to be 25!“ Sie wiederum äußert kurz darauf die in diesem Moment geradezu kathartische Feststellung: „You see, this is my life! It always will be! There’s nothing else. Just us and the cameras and those wonderful people out there in the dark.“ Als Gillis mit gepacktem Koffer an der Desmond vorübergeht, flüstert sie mit irrem Blick: „No one ever leaves a star. That’s what makes one a star.“ Und während kurz darauf Joe Gillis’ Leiche im beleuchteten Pool treibt, haucht sie: „Stars are ageless, aren’t they?“, so als wären es ihre letzten Worte. Die in Hollywood allzeit alerten Nachrichtenleute – hier sarkastischerweise von Paramount – treffen ein. Als die Desmond, die auf die Befragung der Kriminalkommissare nicht reagiert, von der Ankunft der Kameras hört, blickt sie auf und denkt, DeMille habe ihren Set vorbereitet. Max stellt sich zwischen das Kamerateam und führt noch ein letztes Mal Regie. „Quiet, everybody! Lights! Are you ready, Norma?“ Im Glauben, ihre Palastszene zu drehen, schreitet sie langsam die Stufen ihrer prachtvollen Treppe hinab.
Das gigantische Moment von „Sunset Blvd.“ liegt freilich nicht in der Story, sondern der Wirklichkeitsnähe des Films: darin, dass seine Darsteller:innen ihren Figuren so ähnlich sind, natürlich zuvorderst in deren Tragik. Zwar war Gloria Swanson im Unterschied zu ihrem Filmcharakter nicht ganz von der Leinwand verschwunden (sie hatte noch in einer Handvoll Tonfilme mitgespielt, wirkte überdies im Fernsehen, Theater und Radio); aber natürlich entsprach sie in vielem der exzentrischen Desmond: Swansons Debütfilm datiert aus dem Jahr 1915 – da war sie wie die Desmond gerade mal 16 Jahre alt, und Desmond wie Swanson arbeiteten für die Paramount. Wie ihr Alter Ego in „Sunset Blvd.“ erlebte sie ihre Hochphase in den Roaring Twenties. Der Weimarer Filmkritiker Ernst Blass schrieb über sie einst: „[…] sprühend, voll glückhafter Schärfen, ein weiblicher Figaro, voll spielender Genialität“ (Blass, Ernst: „in kino veritas. Essays und Kritiken zum Film. Berlin 1924–1933, Berlin 2019, S. 215 [1929 in der Illustrierten Filmzeitung]); „the all-time prototype image of A Movie Star“ (Rogers St. Johns, Adela: The Honeycomb, New York 1969, S. 155) nannte sie die Hollywoodkolumnistin Adela Rogers St. Johns.
Swanson war einer der ersten Filmsuperstars überhaupt, emanzipiert und hedonistisch. Sie verschliss unzählige Ehemänner und Liebhaber, mit ihren prahlerischen Ausgaben definierte sie die Grenzen neureicher Extravaganz. Wie Desmond besaß auch Swanson ein Anwesen von zu damaliger Zeit phänomenalem Ausmaß, das eine 24-Zimmer-Villa mit fünf Badezimmern, einem Fahrstuhl und einer 300-Quadratmeterterrasse umfasste, einst erbaut von dem Einwegrasierklingenerfinder King Gillette (und das nur wenige Schritte vom Sunset Boulevard entfernt lag). Ihr ausschweifender Lebensstil war legendär, von dutzenden Pelzmänteln, horrend teuren Juwelen- und Unterwäschekäufen erzählte man sich, zudem unterhielt sie angeblich einen ganzen Rolls-Royce-Fuhrpark nebst einem Lancia mit Sitzbezügen aus Leopardenfell (wie bei Norma Desmond) – und wenn Swanson einem ihrer Liebhaber im Zorn eins überbriet, dann geschah dies mit einer Magnumflasche Champagner.
Die Realitätsbezüge seines Films treibt Wilder in einer Szene auf die Spitze, als sich in Desmonds Villa einige ihrer Bekannten aus alten Tagen zu einer verrauchten Bridge-Partie einfinden. Die Frau und die beiden Männer, die Gillis „the waxworks“ nennt, sind in Wirklichkeit Titanen der Stummfilmära: Da ist das schwedische Ex-Model Anna Q. Nilsson (1888–1974), 1914 zur schönsten Schauspielerin der Welt gekürt und 1919 als „the ideal American girl“ etikettiert (Ernst Blass titulierte sie als „die eigentliche Schöpferin der Lichtspielkunst“, die „menschlich und unabweisbar durch die Leinwand hindurch“ dringen und „Menschen aufleuchten und vergehen lassen“ könne) (Blass 2019, S. 214 [1929 in der Illustrierten Filmzeitung]); dann H. B. Warner (1875–1958), einst unter der Regie von DeMille in „The King of Kings“ (1927) in der Rolle von Jesus Christus in die Filmhistorie eingegangen; und schließlich der für seine Alkoholeskapaden berüchtigte, aber als genialer Filmemacher unvergessliche Buster Keaton (1895–1966).
Die Härte und die Ironie, die etliche der Beteiligten gegen sich selbst aufbringen, verleihen „Sunset Blvd.“ einen gewaltigen Charakter. Aber sie alle werden übertroffen von Erich v. Stroheim, dem Darsteller des Butlers. Im Wien der kaiserlich-königlichen Donaumonarchie im Jahr 1885 zur Welt gekommen, wanderte v. Stroheim in die USA aus, wurde Schauspieler, drehte 1918 seinen ersten Film und avancierte in den 1920er Jahren zu einem der bekanntesten Filmemacher:innen Hollywoods. Weil er jedoch regelmäßig die Produktionskosten explodieren ließ, in Hollywoodgefilden bald als „$troheim“ firmierte, wollte irgendwann kein Studio mehr mit ihm zusammenarbeiten. Möglicherweise war Stroheim, den Freunde – ungeachtet seines bloß erfundenen Adelstitels – nur „Von“ nannten, aber auch einfach ein Sündenbock Fehlentscheidungen der Studios, jedenfalls: Seine Regiekarriere