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Der Vorfall. Urs Triviall
Читать онлайн.Название Der Vorfall
Год выпуска 0
isbn 9783753190815
Автор произведения Urs Triviall
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Moment, Moment!“ rief ich neugierig geworden, „mischen sich nicht auch Geister früherer Jahrhunderte ein?“
„Natürlich, mehr oder weniger. Im Grunde aber haben sie alle mit ihrer Zeit zu tun, mit ihren Vergehen und Verbrechen. Waren die Kreuzzüge eine Errungenschaft? War die Ausrottung der Indianer nötig? Waren die Kolonialkriege etwas Positives? Haben die Römer die germanische Zivilisation zerstört? Fragen über Fragen. Alle Diskutanten geben aus ihrer Sicht plausible Erklärungen und Rechtfertigungen ab, oft völlig konträr. Aber sie brüllen sich nicht nieder, sie hören sich andere Meinungen an und respektieren sie.“
„Also geht es - sozusagen Gott sei Dank - nicht nur um Verbrechen, sondern auch um Vernunft und Fortschritt.“
„Vom Menschen erfundene Kategorien! Wahrscheinlich zu kurz gegriffen.“
„Reden Marx und Engels auch mit?“
„Natürlich! Auch Hegel, Nietzsche und die alle. Mann, ich muss Schluß machen. Tschüss! Bis demnächst, mein Lieber.“
Aus. Stille. Ich fand es schon recht rätselhaft, dass Petra ihre Anrufe so abrupt abzubrechen pflegte. Ihre Gedanken gingen, wie mir schien, irgendwie kunterbunt durcheinander. Und ihre Seele war also auch noch existent. Je mehr ich darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher wurden mir die Anrufe wieder. Aber ich hatte wahrhaftig soeben mit einer menschlichen Stimme telefoniert, so haasträubend unfassbare Dinge sie mir auch gesagt haben mochte.
Die Sieger des Zweiten Weltkrieges hatten sich also mit Hitler versöhnt. So konnte man das auslegen. Weil seine Kriegsverbrechen im Jenseits belanglos waren. Weil ja die Erde ohnehin nur ein Fliegendreck ist. Warum dann aber dieses plötzliche Interesse? Wegen China? Immerhin ein Milliarden-Volk, und auf dem wirtschaftlichen Vormarsch an die Weltspitze. Überhaupt auf vielen Gebieten schon führend auf der Erde. Gerade hatte ich gelesen, dass in China 80 Prozent der Haushalte glasfaserverkabelt sind, in Deutschland gerade einmal 3,3 Prozent. So etwas beeindruckt offenbar auch im Jenseits. In China kommt solch Neuerung wahrscheinlich deshalb so schnell voran, weil sie vom Staat einfach durchgeführt und vor allem auch bezahlt wird.
Ich erinnerte mich, dass ich gar nicht begeistert war, als neulich ein Werber am Gartentor stand und stolz verkündete, mein Haus würde alsbald glasfaserverkabelt, ich müsste nur noch zustimmen. Im Moment sei es kostenlos für mich, danach würde es sehr teuer. Beim genaueren Beschäftigen mit dem Angebot stellte sich heraus, dass nach Verlegung des Kabels in mein Haus alle bislang existierenden und vor allem funktionienden Anschlüsse hinfällig wären und die gesamte Anlage neu eingerichtet werden müsste – selbstverständlich auf meine Kosten. Es fiel mir nicht schwer abzusagen. Indessen, ist solch Zögern gar die Ursache dafür, dass dies und jenes bei uns nicht so schnell vorankommt, wie es könnte?
Welch belanglose Frage im Grunde! Immerhin konnte sie mein anhaltendes Fieber ein wenig mindern. Doch just, als ich glaubte, mein seelisches Gleichgewicht einigermaßen wieder gewonnen zu haben, geriet ein wissenschaftlicher Artikel über den Kosmos in meine Hände, dessen Lektüre mich erneut total konsternierte.
Zunächst einmal wurde mir erneut bewusst, um welch gigantische Dimensionen es sich beim Weltall handelt, und zwar um Entfernungen, die - ich musste es mir wieder eingestehen - jeden Kontakt mit irgendwelchem Jenseits nach menschlichem Ermessen völlig ausschließen. Unsere Sonne - stand da zu lesen - ist nur einer von rund 200 Milliarden Sternen allein in der Milchstraße! Wobei diese 200 Milliarden Sterne in ihren Bewegungen innerhalb der Milchstraße von einer Kraft zusammengehalten werden, die noch immer völlig unbekannt ist! Man nennt sie im Unterschied zur aus Sternen und Planeten bestehenden „Normalen Materie“ die „Dunkle Materie“. Wobei der Anteil dieser beiden Materien an der Gesamtmaterie unterschiedlich ist. Die normale Materie, also die, die wir kennen, macht etwa ein Fünftel aus, und die dunkle Materie, die wir nicht kennen, vier Fünftel. Normale und dunkle Materie zusammen ergeben aber nur 31 Prozent des Kosmos! Die übrigen 61 Prozent kennen wir ebenfalls nicht! Sie sind das mysteriöse Phänomen, dass die Galaxien im Weltraum angeblich seit rund sechs Milliarden Jahren expandieren, und zwar beschleunigt, verursacht durch eine Energie, die wir – wie gesagt – nicht kennen und schlicht und einfach „Dunkle Energie“ nennen. Zählt man simpel zusammen, was wir vom Weltall bislang einigermaßen kennen, sind das just rund 6,5 Prozent!
Jedem normalen Menschenverstand schwirrt angesichts dieser Tatbestände der Kopf. Das Unfassbare des Diesseits, es ist der helle Wahnsinn. Denn die Milchstraße ist ja nur eine Galaxie! Es gibt aber – so jedenfalls die Schätzungen der aktuellen Wissenschaft - mindestens eine Billion, also tausend Milliarden. In einzelnen Himmelsregionen werden von den Astronomen sogar ganze Haufen von Galaxien beboachtet, in denen sich jeweils einige Tausend Galaxien befinden.
Ist da überhaupt noch Platz für ein Jenseits? Ich finde schon! Solange die Wissenschaft eine stetige Expansion des Weltalls behauptet, muss auch Platz dafür sein. Irgendwo am Rande meinetwegen. Oder sind vielleicht dunkle Materie und dunkle Energie zusammen genommen so etwas wie das durch Geister belebte Jenseits? Solange wir nicht genauer Bescheid wissen, sind Spekulationen erlaubt.
Und ich in meiner absolut mysteriösen Lebenssituation war äußerst anfällig für Spekulationen. Ich klammerte mich regelrecht daran. Wenn ich mich kritisch danach befragte, warum ich wider allen Wissens letztlich immer wieder auf die Anrufe eingegangen war, dann wurde mir bewusst: Es war die tief in meine Seele eingedrungene und anhaltende Verzweiflung über den Tod meiner Frau. Ich kam einfach nicht darüber hinweg. Und als Petra eines Nachts endlich wieder anrief, ich mit ihr sprechen konnte, atmete ich auf. Was sollte mir all das Wissen über das Weltall, wenn meine ganz persönliche Erfahrung dem widersprach!
„Ja!“ sagte ich erwartungsvoll. Und sie überfiel mich mit neuen Ungeheuerlichkeiten.
„Du“, rief sie, „stell dir vor, jetzt eben sind Jesus und Mohammed zusammengetroffen. Sie reden miteinander.“
Mir verschlug es die Sprache. Noch eben hatte ich geschlafen, nicht sehr tief, aber immerhin. Nun sollte ich mir plötzlich etwas vorstellen, das, wenn überhaupt, wirklich nur im Jenseits stattfinden konnte.
„Aha!“ sagte ich ziemlich hilflos.
„Mensch, Mann!“ rief sie, „das ist selbst für uns außergewöhnlich. Du musst wissen, der Jesus stammt ja von der Maxima. Das ist der größte Himmelskörper, den es gibt. Wohl so drei, vier Mal größer als die Erde. Offenbar Bedingungen wie auf der Erde, aber sozial und technisch viel weiter entwickelt. Wir haben schon lange telefonischen Kontakt. Ja, und der Jesus, der ist doch damals mit einem Raumschiff von der Maxima in der Wüste bei Bethlehem gelandet. Sie haben ihn abgesetzt, weil er auskundschaften sollte, wie es um die Erde steht.“
„Moment, Moment!“ rief ich. „Nicht alles auf einmal. Du überforderst mich! Hier ist Nacht, weißt du, eben habe ich noch geschlafen. Ich bin nur ein Mensch mit normaler Fassungsgabe.“
„Ach je!“ sagte sie, „dann ruf ich später wieder an. Ich muss sowieso verfolgen, wie das hier ausgeht mit den beiden. Tschüss!“
Stille. Aus. Resigniert stellte ich fest, dass ich für diese Anforderungen einfach nicht gerüstet war. Und überhaupt! Musste ich mir das antun? Sollte ich meine vielleicht letzten Tage und hoffentlich Monate auf diesem Planeten nicht geruhsamer verbringen? Wie auch immer, am Schlaf war nicht mehr zu denken.
Ich zog mir eine Jacke über und setzte mich an den Fernsehapparat. Ich wollte mich ablenken. Vielleicht mit Fußball oder mit einem Porno. Kaum hatte ich eingeschaltet und angefangen zu zappen, wurde der Bildschirm blau und per Text mitgeteilt,