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ab sofort ihre Schwester auf dem Schulweg zu begleiten. Ein Treffen mit Nabil war also kaum noch möglich. Nur ab und zu konnten sie auf dem engen, verdreckten Schulhof miteinander reden, sich verstohlen zuwinken oder sich einen Zettel zustecken.

      Da beide Mütter nach wie vor noch befreundet waren und Verständnis für die Gefühle ihrer Kinder hatten, durften sich Laila und Nabil dann heimlich sehen, wenn die Geschwister nichts mitbekamen und die Väter an der Arbeit oder in der Teestube waren. Und das war selten genug.

      Eines Tages verkündete Mohamed seiner Familie großen Besuch. Er hatte Jamal, seinen Vetter dritten Grades und Aushilfselektriker, mit dessen Familie eingeladen. Fatima und Laila schauten betreten nach unten. Denn zu Jamals Familie gehörte auch sein Sohn Baz, der Falke, zwei­undzwanzig Jahre alt, fett wie ein Otter, übelriechend, meist übel gelaunt und Hilfsmechaniker in einer Moped Werk­statt. Aber - Baz war noch unverheiratet.

      Laila erinnerte sich an den kleinen, dicken, jungen Mann mit einer beginnenden Glatze über dem pickligen Gesicht mit der dicken Nase. Sie wusste ganz genau, was ihr Vater mit dem Treffen bezwecken wollte. Laila sollte mit Baz verheiratet werden. Die Sechzehnjährige war zuerst ge­schockt, dann verärgert und hoffnungslos. Wie ein Morgen­nebel waren ihre Augen von Angst und Traurigkeit verklärt.

      Das Treffen verlief dann auch in einer eisigen Atmosphäre. Fatima musste ihren Maronenkuchen backen. Die Jungs wurden aufgefordert, die dicksten und reifsten Datteln aus fremden Palmenhainen zu sammeln und dazu noch Walnüsse, die neben den Bäumen lagen, mit denen die Töchter die Datteln füllen sollten. Eine Leckerei zum Nachtisch, die Baz nach dem Kuchen hemmungslos fast alleine wegnaschte.

      Während die beiden Frauen, Fatima und Rahma, mit den Kindern still in der Küche saßen, überboten sich Mohamed und Jamal in gegenseitigen Lobpreisungen über ihre Kinder.

      Demnach war Baz der begehrte Schwarm aller ledigen Frauen in Marrakesch. Gutaussehend, gepflegt, fleißig und der perfekte Ehemann. Ein Glücksfall für Laila, die sich stillschweigend fragte, warum dieser Traummann überhaupt noch auf dem Heiratsmarkt verfügbar war.

      Laila war in der Beschreibung ihres Vaters nicht nur hübsch. Sie war auch rein, folgsam wie ein Lamm, fleißig, still und ergeben und noch unschuldig. Seine Blume von Marrakesch half geschickt im Haushalt und wünschte sich nichts mehr, als mit einem Mann wie Baz eine Menge Kinder, vor allem Jungen, zu bekommen.

      Das Problem der Unterkunft der zukünftigen Eheleute wurde auch schon besprochen. Baz würde in der kleinen Wohnung seiner Eltern ein eigenes Zimmer für seine Familie erhalten, denn Jamal und Rahma wollten zugunsten des Eheglücks der jungen Leute künftig ebenfalls in der Küche schlafen.

      Den ganzen Nachmittag starrte Baz seine baldige Verlobte mit großen Augen lüstern abschätzend an. Mit jedem Kuchenstück gefiel ihm die Wahl seines Vaters immer besser. Er hätte das Eheversprechen noch heute besiegelt.

      Aber eine ganze Kleinigkeit stand der Einigung zwischen den beiden Vätern doch noch im Wege. Als Jamal sich erdreistete, seinen Vetter dritten Grades zu fragen, an welche Mitgift Mohamed denn gedacht hätte, damit Laila seinen Märchenprinz Baz überhaupt heiraten könne, wurde Mohamed plötzlich sehr schweigsam. Hastig versuchte der Brautvater das Thema zu wechseln, aber Jamal bestand auf der üblichen Mitgift für eine junge Frau, die Mohamed allerdings nicht aufbringen konnte.

      Unter zwanzigtausend Dirham wäre sein einziger Sohn, die Perle von Marrakesch, nicht zu haben, zumal Baz noch eine glänzende Karriere in der Moped Branche bevorstand. Außerdem würde eine Frau im Haushalt ja auch Kosten verursachen, ganz zu schweigen von den vielen kleinen Jungen, die Laila hoffentlich gebären würde. Und Mohamed würde nach der Hochzeit von Laila, die er selbstverständlich auch ausrichten und bezahlen müsste, viel Geld sparen, denn er hatte ja dann einen Esser weniger zu versorgen.

      Mohamed standen die Schweißperlen unter seiner besten Kappe. So viel Geld hatte er noch nie besessen und würde er auch nie besitzen. Selbst wenn er weiterhin geschickt abgestellte Möbel oder Fernseher „entsorgen“ und hinter­her auf dem Trödelmarkt verkaufen würde-die geforderte Mitgift würde er nicht zusammenbekommen.

      „Wie wäre es mit Ratenzahlung nach der Hochzeit“, schlug Mohamed listig vor. Doch Jamal kannte seinen entfernten Vetter nur allzu gut, und schüttelte den Kopf.

      „Aber ich könnte meinen Sohn vielleicht überreden, mit der Hochzeit noch etwas zu warten, damit ihr die Summe ansparen könnt. Nur, lass Dir nicht zu lange Zeit, Mohammed. Die Zahl der Frauen, die Baz begehren, wird immer länger“, war der einzige Kompromiss, den der künftige Schwiegervater eingehen wollte.

      Um sein Gesicht zu wahren verabredete Mohamed per Handschlag mit Jamal, dass dieser wichtige Punkt in naher Zukunft nochmal allein zwischen den Familienober­häuptern ausgehandelt werden solle. Aber scheitern würde die Verbindung ihrer beiden Kinder bestimmt nicht an diesem nebensächlichen Problem.

      Als Jamal, Rahma und Baz endlich gegangen waren, kratzte sich Mohamed gedankenverloren im Schritt. An das Problem der Mitgift hatte er noch nicht gedacht. Aber es war richtig. Billiger würde es in keinem Fall werden. Andere Väter würden für eine Hochzeit mit ihrem Sohn eher noch mehr Geld verlangen.

      Nach einigen Minuten Nachdenken hatte Mohamed die Lösung. „Du gehst von der Schule und arbeitest. Das Geld, das Du verdienst, lege ich für Deine Mitgift zurück. Wir wollen uns vor Jamals Familie nicht schämen müssen“.

      Fatima wagte das erste Mal zu widersprechen und flehte ihren Mann an, dem Kind doch noch Zeit mit der Entscheidung zu geben und Laila, die so gern und fleißig lernte, auf der Schule zu lassen. Auch Lailas verzweifelte Tränen halfen nichts. Der Vater wurde immer verstockter und beharrte darauf, dass Laila zu gehorchen habe.

      Schließlich schlug Mohamed mit der Faust heftig auf den Tisch.

      „Auf jeden Fall kannst Du Dir diesen windigen Schakal Nabil aus dem Sinn schlagen. Selbst wenn Ajwad, der Sohn einer Hündin, mir eine ordentliche Brautgabe für Dich zahlen würde, Nabil würdest Du nie im Leben bekommen“.

      Mohamed machte seine Drohung wahr und meldete Laila in der nächsten Woche in der Schule ab. Ihr Lehrer, Monsieur Attique, beschwor den Vater, seine beste Schülerin doch noch auf der Schule zu lassen. Auch der Direktor bekniete Mohamed, seiner Tochter nicht die Zukunft zu stehlen. Sie würde mit Leichtigkeit die Schulen bis zur Hochschulreife absolvieren. Er selber wollte sich dafür einsetzen, dass Laila eines der wenigen, begehrten Stipendien bekam, um an der ESMA, einer der beiden Universitäten in Marrakesch, studieren zu können.

      Nur-all das waren genau die falschen Argumente, die Mohamed gerade nicht hören wollte, und die ihn noch mehr in seiner Entscheidung bestärkten. Kein Mädchen von ihm durfte studieren, zumal seine beiden Jungen an einer weiteren Schulbildung kein Interesse zeigten.

      Da Laila die Mindestschulzeit bis zum fünfzehnten Lebensjahr erfüllt hatte, konnten die entsetzten Lehrer nichts gegen die Starrköpfigkeit des Vaters unternehmen. Laila musste ihren blauen Schulkittel und ihre Schulbücher zurückgeben. Nur die alten, abgewetzten Spanisch -und Englisch Lehrbücher von Monsieur Attique durfte sie behalten. Beide Bücher waren ihr ganzer Schatz, den sie unter ihrer Matratze vor ihrem Vater versteckt hielt.

      Von einem Tag auf den nächsten musste Laila zu Hause bleiben und der Vater zwang sie, sich irgendeine Arbeit zu suchen. Aber Arbeit war in Marrakesch sehr rar. Es gab zu viele hoffnungslose Tagelöhner, die vom Land in die Stadt drängten; Menschen, die für einen Hungerlohn jede Arbeit angenommen hätten, aber auch keine Arbeit fanden.

      Tag für Tag verging und Laila konnte ihrem zornigen Vater abends nur von Absagen berichten. Der wurde immer aufgebrachter.

      „Du willst nur nicht arbeiten. Glaubst Du vielleicht, Du kannst mir auf der Nase rumtanzen? Ich war bis jetzt so großzügig und habe Dir die Wahl Deiner Arbeit überlassen. Aber wenn Du nicht willst, werde ich mich selber drum kümmern, Dir eine Arbeit zu suchen. Und Du nimmst jede Arbeit an, die ich finde“.

      Damit war das Thema für Mohamed vorerst erledigt. Aber auch er musste in den nächsten Wochen die Erfahrung machen, dass ein Mädchen mit abgebrochener Schule und ohne Ausbildung keine Stelle finden konnte. Selbst junge Menschen mit

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