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dass Marie etwas Besonderes war.

      Genussvoll schloss Karl die Augen, als er den letzten Happen des Desserts im Mund zergehen ließ – Heimat! Und Marie hatte sich diese Mühe eindeutig für ihn gemacht.

      Sir Edward schlug vor, die näheren Details des Vertrages und der Dreharbeiten im Wintergarten durchzusprechen. Bislang war die Abwesenheit Malcolm Mortimers mit keinem Wort erwähnt worden. Erst als sie in den bequemen Korbsesseln Platz genommen hatten, erkundigte sich der Lord: »Wo ist denn Ihr Staatsanwalt? Ich hoffe, er lässt Sie während der Dreharbeiten nicht auch im Stich?«

      Ronald wog seine Antwort sorgfältig ab. Es machte ja kein gutes Bild, die wahren Hintergründe zu benennen. »Mister Mortimer hat es vorgezogen, in einem anderen Film mitzuwirken, um näher bei seiner Familie zu sein.«

      Die darauf folgende Bemerkung des Lords ließ die Anwesenden aufhorchen. »Nun, das ist eine gute Entscheidung, die sich gewiss nicht zu Ihrem Nachteil auswirken wird.« Es klang fast, als fiele das Ausscheiden Mortimers als Plus für eine positive Entscheidung des Lords in die Waagschale.

      In den nächsten Stunden herrschte intensive Arbeitsatmosphäre: Beschäftigt mit Vertragsklauseln, Drehbuchinterpretationen und technischen Details, ließen sich die Männer auch nicht stören, als ihnen Francine Käsegebäck servierte und Frederic dafür sorgte, dass die Getränke nicht ausgingen.

      Mitternacht war schneller erreicht als die Männer dachten. Erstaunt blickten sie einander an, als die antike Pendeluhr zwölf Mal schlug – das Läuten von Big Ben erklang. Eine Hommage des Lords an seine Heimat?

      Sir Edward nahm als erster den Gesprächsfaden wieder auf: »Mir scheint, dieses Thema war wirklich abendfüllend. Fürs erste ist es wohl genug. Mister Graham, der Vertrag ist Ihnen sicher. Über gewisse Details haben wir gesprochen. Falls es noch Unklarheiten Ihrerseits geben sollte, wenden Sie sich an Avvocato Girardi.«

      Der Anwalt reichte Ronald daraufhin seine Karte. Auch er war zufrieden. Ohne größere Schwierigkeiten hatte er den Vertrag so gestaltet, dass dem Lord keinerlei Kleingedrucktes zum Verhängnis werden konnte. Zudem schien dieser Ronald Graham ein angenehmer Geschäftspartner zu sein. Vielleicht lag es ihm nicht, Verträge zu formulieren, aber aufs Verhandeln verstand er sich.

      Was das Projekt selbst betraf, nun, die Durchführung konnte schwierig werden, aber Girardi fand das Drehbuch interessant und er versprach, seine Beziehungen spielen zu lassen. Dieser Umstand würden Ronald Türen öffnen, die ihm sonst sicher verschlossen geblieben wären. Ein weiterer positiver Aspekt in diesem Projekt war der Schauspieler Landmann, der verschiedene gute Ideen eingebracht hatte. Ja, der Film hatte eine Chance! Girardi würde ein Treffen mit Don Carlos bewerkstelligen, keine leichte Aufgabe, aber ohne Zustimmung des unumstrittenen Hausherrn von Neapel würde niemand wagen, eine Statistenrolle im Film anzunehmen.

      Nicht einmal der Bürgermeister, in Wahrheit nur eine Marionette, vermochte die Machtstellung des Padrone zu überbieten.

      »Sir Edward, da wäre noch etwas, eine Bitte …« Ronald hielt zögernd inne.

      Überrascht blickte der Lord auf. Was gab es, was jetzt noch besprochen werden musste? »Ich höre, Mister Graham!«

      »Wäre es möglich, Ihre Angestellte, Signora Marie als Sprachmittlerin zu gewinnen?« Ronald war stolz, dass er sich signora gemerkt hatte.

      Das Erstaunen des Lords wich unverhohlener Belustigung. »Warum gerade Marie?«

      Wahrheitsgemäß bekannte Ronald: »Ich wüsste keine Alternative. Und wie es scheint, spricht Marie die Sprache dieses Landes sehr gut. Sie ist … schlagfertig …, energisch und hat dennoch einen guten Draht zu den Leuten, zumindest hatte ich gestern diesen Eindruck, als wir ihr am Hafen begegneten.« Gut, dass der Lord nicht ahnte, woran Graham bei ›schlagfertig‹ wirklich gedacht hatte!

      Sir Edward Blick streifte Karl Landmann, durchaus nicht so zufällig wie es schien. Oh! Es würde sich unter Umständen eine äußerst prickelnde Situation ergeben, vorausgesetzt, Marie sagte Ja zu Grahams Anliegen.

      »Fragen Sie Marie. Es liegt ganz bei ihr«, sagte der Lord scheinbar gelassen. »Solange ihre …«, er stockte, setzte aber gleich fort, »… Arbeit für mich nicht darunter leidet, will ich ihr die Möglichkeit nicht versagen, einen Blick in die Welt des Films zu werfen. Morgen, wenn Sie den Platz für die Trailer besichtigen, wird sich bestimmt eine Gelegenheit bieten, mit ihr zu reden.«

      Die Gedanken Sir Lindsays schweiften zum Wochenende … und zu Marie.

      Abschließend betonte der Lord daher noch einmal mit großem Nachdruck, dass er von Samstagabend bis Montag früh von den Filmleuten keinen sehen oder hören wolle. »Sofern diese Anordnung auch nur ein einziges Mal missachtet wird, müssen Sie Ihren Film woanders drehen.« Die Stimme Sir Edwards ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er es ernst meinte.

      »Selbstverständlich halten wir uns an die Abmachung«, versprach Ronald eilig. »Meine Leute werden ebenfalls froh sein, dass ich ihnen hin und wieder Ruhe gönne.«

      Graham zerbrach sich jedoch insgeheim den Kopf, was an diesem Ruhetag für den Lord so wichtig sein konnte. Hatte es etwas mit Glaubensangelegenheiten zu tun? Sehr unwahrscheinlich. Vielleicht würde er es mit der Zeit herausfinden. Im Augenblick war es nicht weiter von Interesse und deshalb leitete er das Ende der Zusammenkunft ein: »Eure Lordschaft, wir danken Ihnen für Ihre Gastfreundschaft und vor allem für die großzügige Unterstützung unseres Filmprojektes.« Dann wandte sich an den Rechtsanwalt: »Auch Ihnen herzlichen Dank, Avvocato. Sie lassen es mich bitte wissen, ob Sie einen Termin bei Don Carlos erwirken konnten.«

      Signore Girardi neigte bejahend den Kopf.

      Hände wurden geschüttelt und ein wie aus dem Nichts erscheinender Frederic hielt Mäntel und Jacke der beiden Herren bereit, die nun zurück ins Rex fahren würden. Vor dem Portal wartete ein Taxi mit laufendem Motor auf Ronald und Karl. Beide bedankten sich für diese vorausschauende Geste überschwänglich. Lächelnd honorierte Frederic das Loblied und freute sich, dass man seine Umsicht würdigte.

      Karl begrub seine Hoffnung, Marie noch einmal zu Gesicht zu bekommen.

      Frederic, der neben dem sechsten auch einen siebten Sinn zu besitzen schien, bemerkte entschuldigend: »Es war ein anstrengender Tag für die Damen, die das Essen zubereitet haben. Sie schlafen bereits.«

      Karls Wangen brannten und er war froh, dass dies in der Dunkelheit niemand bemerkte. Ronald allerdings grinste in sich hinein. Na, das würde etwas werden, falls Marie einwilligte, sich als Sprachmittlerin zu betätigen und außerdem die ihr zugedachte Rolle zu übernehmen. Sollte sie gar bei dem Treffen mit Don Carlos Berlotta auf den Padrone den gleichen Eindruck machen, wie auf den guten Karl, konnte ja fast nichts schiefgehen.

      Im Wagen sprach Karl kein Wort. Ehe er ins Taxi gestiegen war, hatte er die dunkle Fassade des Hauses gemustert. In der geringen Helligkeit, die die Außenleuchten der Anlage hergaben, hatte es den Anschein, als bewege sich hinter dem Fenster oberhalb des Portals erst der Vorhang und dann ein Schatten. Himmel – sah er schon Gespenster? In Zukunft würde er sich zurückhalten, wenn es um Marie ging – falls ihm das gelang.

      Auch jetzt zwang er sich, an etwas anderes zu denken und rief sich das Telefongespräch mit Victor ins Gedächtnis.

      Er hatte den Freund beim Malen erreicht. ›Inspiration des Wassers‹, nannte er sein neuestes Werk. Das Telefonat hatte sich eine ganze Weile hingezogen, denn schließlich musste er Victor den Inhalt des Drehbuchs in möglichst kurzer Form nahebringen.

      ›Du sollst die Rolle eines Staatsanwalts übernehmen, eine lebensgefährliche Aufgabe, glaub' mir'‹, hatte er gelockt und dass Victor sich nebenbei noch für sein neues Bild inspirieren lassen könne, weil er hier ein ganzes Meer dafür zur Verfügung habe.

      Letztendlich waren sie so verblieben, wie Karl es erwartet hatte: Victor würde sich mit Ronald in Verbindung setzen.

      ***

      Victor stand vor der Leinwand, auf die er soeben die ersten Farbtupfer gesetzt hatte. Seine abgetragenen Jeans waren mit Farbe bekleckst, ebenso das Hemd.

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