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Geschichten des Windes. Claudia Mathis
Читать онлайн.Название Geschichten des Windes
Год выпуска 0
isbn 9783753197715
Автор произведения Claudia Mathis
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Zuerst durften sich die Jungen nur im Palais treffen, unter der Aufsicht von Maiga oder Fiona, aber Seans Eltern wurden mit der Zeit immer großzügiger. Besonders Seans Mutter bemerkte bald, wie gut dieser Kontakt ihrem Sohn tat. Sean wirkte nun deutlich fröhlicher und aufgeschlossener und das rührte ihr sonst so verstocktes Mutterherz sehr. So durften die Jungen bald, gemeinsam mit der Aufsichtsperson, auf dem Burggelände spazieren gehen und sich sogar in den Stallungen aufhalten. Dass Arthurs Vater Tevin der Stallmeister der Burg war, entpuppte sich hierbei als glückliche Fügung, da auch er die Kinder beaufsichtigen dufte. Die Stunden bei den Pferden waren den Jungen die liebsten. Hier hatten sie sich schließlich kennengelernt und auch Arthur mochte die Tiere sehr. Sean durfte Tevin auch bei der Stallarbeit helfen, was für einen Adligen undenkbar war, und er genoss diese körperliche Tätigkeit sehr. Natürlich musste er sich danach sofort umziehen und gründlich waschen, da seine Mutter diesen grässlichen Mistgeruch verabscheute.
Der Umgang mit den einfachen Menschen bewirkte, dass sich Seans Persönlichkeit und Selbstwertgefühl mehr und mehr entfalten konnten. Er wurde allgemein lockerer und selbstsicherer in seinem Auftreten, und mutiger. So traute er sich immer mehr gegenüber seinen Eltern und forderte vermehrt seine Bedürfnisse und Wünsche ein. Es bereitete ihm fast keine Bauchschmerzen mehr, als er sie schließlich darum bat, auch einmal Arthurs Familie besuchen zu dürfen. Er war zuvor, außer bei Angus, nie in einer Wohnung der Angestellten gewesen. Alistair hatte nichts dagegen, aber Raelyn befürchtete, dass ihr Sohn die höfischen Umgangsformen und das gute Benehmen verlernen würde. Eine Weile sträubte sie sich gegen diesen Vorschlag, doch Seans Drängen wurde immer energischer und auch Fiona redete ihr gut zu.
So kam es, dass Fiona eines Tages den jungen Laird mit zu sich nach Hause nehmen durfte. Sean wurde ab diesem Tag ein häufiger und gern gesehener Gast im Hause Burton und Seans Mutter behielt ihre Bedenken fortan für sich.
Für Sean war es sehr interessant und aufschlussreich, Arthurs Familie kennenzulernen. Er bekam dadurch immer mehr mit, wie es Menschen ging, die in weniger Reichtum als er und seine Familie lebten. Er spürte, dass sie ein bewussteres Leben führten und die Dinge, die sie hatten, mehr schätzten. Arthur musste nicht so auf die Etikette achten wie er selbst und wirkte dadurch wesentlich freier. Gutes Benehmen stand bei der Familie Burton nicht an oberster Stelle, obwohl sie sich gegenseitig und auch dem Laird gegenüber als sehr respektvoll erwiesen. Durch die zahlreichen angenehmen Stunden im Hause Burton entwickelte Sean immer mehr Argwohn gegenüber seinem Stand als Adeliger und fühlte sich zunehmend zu den einfachen Menschen hingezogen.
Die Zeit verging und Sean hatte die Burtons sehr ins Herz geschlossen. Er lernte auch Fiona viel besser kennen, die er bis jetzt nur als zurückhaltende Zofe seiner Mutter erlebt hatte. Im Haus des Stallmeisters entpuppte sie sich als liebenswürdige, warmherzige und starke Frau sowie hingebungsvolle Mutter. Sean ertappte sich manchmal dabei, wie er sich vorstellte, dass Fiona seine Mutter wäre. Sie hatte immer ein offenes Ohr für ihre Kinder und nun auch für Sean. Fiona vermittelte ihm das Gefühl, wirklich willkommen zu sein und schenkte ihm ihre ganze Aufmerksamkeit, obwohl sie im Palais, im Haushalt und mit den Kindern genug zu tun hatte. Am meisten beeindruckte ihn, dass sie überhaupt nicht selbstsüchtig war. Sie opferte sich bedingungslos für ihre Mitmenschen auf. In der Familie McCunham waren alle ziemlich egoistisch, fand Sean.
Auf ihre eigene Art war seine Mutter Raelyn auch liebenswürdig, aber sie schien meist mit den Gedanken woanders zu sein und kränkelte viel. Bei ihr drehte sich alles um ihre Gesundheit und um das Verhalten als privilegierte Person. Und Seans Vater hatte meistens keine Zeit für ihn. Seine Großmutter war zwar sehr lieb, aber doch auch oft mit sich selbst beschäftigt.
Weiterhin staunte Sean jedes Mal wieder darüber, wie liebevoll Arthurs Eltern miteinander umgingen. Hier spürte er nicht die Mauer der Etikette und Höflichkeit, die zwischen seinen Eltern existierte. Bei Fiona und Tevin wirkte alles sehr herzlich und natürlich. Sean konnte spüren, dass sich diese zwei Menschen sehr mochten.
Neben einem liebevollen Elternhaus hatte Arthur noch etwas, was sich Sean sehnlichst wünschte: Geschwister. Arthurs siebzehnjähriger Bruder Rory sollte traditionell nach Tevin der nächste Stallmeister werden, doch Sean hatte von Anfang an begriffen, dass der verträumte Jugendliche nicht für diese Arbeit geboren war. Er zeigte keinerlei Begeisterung für die Tiere und ging nur lustlos und widerwillig mit seinem Vater in den Stall. Sean beobachtete des Öfteren, wie sich Vater und Sohn stritten, weil Rory nicht gründlich und schnell genug arbeitete.
Und dann gab es noch Shona, Arthurs Zwillingsschwester. Sie hatte das gleiche blonde Haar wie Arthur, Rory und Fiona und trug es meist in zwei langen geflochtenen Zöpfen. Nur am Sonntag, wenn die Familie Burton mit in die Kapelle zum Gottesdienst ging, war ihr Haar zu einem Kranz geflochten.
Shona überragte den zwei Jahre jüngeren Sean und erreichte fast Arthurs Größe. Sie war aufgeweckt und lustig wie ihr Zwillingsbruder und strahlte viel Selbstvertrauen und Lebensenergie aus. Sie half ihrer Mutter fleißig im Haushalt, aber wann immer sie Zeit hatte, ging sie zu den Ställen. Shona liebte Pferde und teilte somit diese Leidenschaft mit Sean. Als Tochter des Stallmeisters durfte sie beim Versorgen der Tiere helfen und sie konnte sogar reiten, was für einfache Mädchen eigentlich nicht üblich war.
Sean sah oft neidisch zu, wie liebevoll die drei Burton-Geschwister miteinander umgingen und wie eng ihre Verbindung zueinander war, besonders die der beiden Zwillinge. Sie waren enge Vertraute und konnten sich, wenn nötig, auch als Einheit gegen ihre Eltern behaupten. Natürlich gehörten auch kleinere Streitigkeiten dazu, aber die Kinder versöhnten sich meistens schnell wieder. Sean hatte niemanden, mit dem er sich gegen seine Eltern verbünden konnte. Doch nun, da er ein enger Freund von Arthur war, wurde er quasi mit in die Familie aufgenommen. Und das tat sehr gut.
Eines Tages erzählte Arthur seinem Freund, dass er noch einen Bruder habe: Jamie. Dieser war das älteste Burton-Kind und jetzt achtzehn Jahre alt. Er sollte eigentlich nach Tevin der Stallmeister von Dunnottar Castle werden, denn so gebot es die lange Tradition der Familie Burton. Doch Jamie schlich sich vor über zwei Jahren des nachts davon und wurde seitdem nicht wieder gesehen. Tevin suchte ihn verzweifelt mit ein paar Freunden ganze drei Tage lang, doch erfolglos. Fiona war am Boden zerstört gewesen und alle fragten sich, warum der Junge weggelaufen war und wo er sich nun aufhielt. Lebte er überhaupt noch?
Nach dieser Enthüllung war Sean sehr erschüttert gewesen und dachte oft an diesen Bruder. So etwas würde er seinen Eltern nie antun, sagte er sich. Er versuchte sich vorzustellen, wie Jaimie aussah und was er jetzt wohl machte. Dass er tot war, wollte Sean nicht glauben.
Drei weitere Monate später und Dank Seans unerbittlichem Drängen, wurde es Sean und Arthur schließlich gestattet, sich für kurze Zeit ohne Aufsicht auf dem Burggelände zu bewegen. Sean musste allerdings versichern, dass er dabei einen Bogen um die anderen Kinder machte, die wirklich kein guter Umgang waren.
Diese neue Freiheit war für Sean wie eine Offenbarung, denn er nahm so das Burggelände ganz anders und viel intensiver wahr. Die Luft wirkte nun frischer, die Gebäude beeindruckender, die Wege steiniger und die Pflanzen grüner. Und die unerreichbare Krone des Eichbaums strahlte eine neue Faszination aus.
„Ich bin schon oft da hochgeklettert“, prahlte Arthur, als Sean wieder einmal sehnsüchtig am Baum emporblickte. „Ist ganz einfach. Soll ich es dir zeigen?“
Verblüfft nickte Sean und schaute staunend zu, wie sein Freund den Stamm hochkletterte und sich an den niedrigeren Ästen emporhangelte. „Wie kannst du so klettern? Das schaffe ich nie!“
„Versuchs doch mal! Soll ich dir helfen?“
In den nächsten Tagen war nun die Eiche das Ziel ihrer