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Auf Jörg Bauer jedenfalls scheint dies zuzutreffen.

      »Wir ziehen an die Elbdeiche bei Bleckede«, beginnt er. »Hier haben wir gerade den letzten Acker mit Gründünger abgefressen. Meine Leute und ich haben den Elektrozaun eingepackt, die trächtigen Schafe aussortiert und alles im Transporter verstaut.«

      Er weist mit dem Daumen hinter sich. Ich folge der Geste und sehe den Lieferwagen, der, wie die zwei PKW, langsam hinter der Herde herrollt. Vorne sitzen zwei Männer und eine Frau. Die kurze Pause nutze ich für meine erste Frage.

      »Das ist ja ganz schön weit. Und alles zu Fuß? Wie lange brauchen Sie denn bis zur Elbe? Und wie viele Schafe sind das hier überhaupt?«

      Er lacht. »Na, das sind ja gleich mehrere Fragen auf einmal. Was schätzen Sie denn, wie viele Schafe sind es?«

      Ich habe keine Ahnung und nenne einfach mal eine Zahl.

      »Vierhundert?«

      Wieder lacht er.

      »Weit daneben. Es sind insgesamt 900 Tiere! Die laufen eng an eng. So sparen sie Energie und treiben sich gegenseitig an. Und bevor Sie wieder daneben liegen: Wir schaffen am Tag etwa zehn bis zwölf Kilometer, werden also fünf oder maximal sechs Tage unterwegs sein.«

      »Und alle halten das durch?«

      »Klar. Wer nicht, wird vom Transporter eingesammelt. Womöglich gehöre ich selbst auch dazu! Meine Hunde jedenfalls werden täglich ausgetauscht und trächtige oder schwache Tiere dürfen ebenfalls im Lazarettwagen mitfahren.«

      »Und auf den Deichen bleiben die Schafe dann während des Sommers?«

      »Richtig. Im Herbst geht es wieder zurück in die Heide, dann auf die abgeernteten Felder und Äcker rundherum und im Mai wieder zu den Deichen. Sie wissen ja: Ohne Schafe würde die Heide verkrauten, den Feldern fehlte Naturdünger und die Deiche würden von Wühlmäusen untergraben. Wir schützen also die Landschaften, sind den Bauern willkommen und sind auch für den Tourismus extrem wichtig. Sieht doch auch gut aus, unsere Präsentation, oder?«

      Der Mann ist jedenfalls ein fröhlicher Zeitgenosse.

      »Ich dachte, die Heide wird nicht von Schafen, sondern von Heidschnucken gepflegt.«

      »Das stimmt. Da haben wir auch noch zwei Standorte. Die Schnucken, dazu einige Ziegen, bleiben das ganze Jahr über in der Heide. Vor allem ihnen ist zu verdanken, dass diese einzigartige Kulturlandschaft erhalten bleibt.« Er lacht verschmitzt. »Aber die Schafe helfen manchmal ein bisschen mit.«

      Ich frage ihn, was die Verbreitung der Wölfe für ihn bedeutet. Sofort wird sein Blick dunkel und er runzelt die Stirn. Er ist natürlich bestens informiert.

      »Sie fragen vermutlich wegen der abgeschossenen Wölfe. Habe es gestern gelesen. Nur um es gleich zu sagen: Das macht kein Schäfer! Wir achten und respektieren Tiere, auch die Wölfe. Wir sind sogar bereit, mit ihnen gemeinsam zu leben. Aber nicht so!«

      »Das hätte ich nun nicht erwartet. Ich dachte, alle Weidetierhalter verlieren ständig ihre Tiere an die Wölfe?«

      »Das stimmt zwar nicht für alle, aber für extrem viele Tierhalter. Der Wolf ist ein echtes Problem für uns. Er ist halt als Raubtier geboren. Und er jagt in Rudeln: Zwei lenken die Herde ab, drei schleichen sich von hinten heran. Schafe haben da keine Chance. Sie hätten mal erleben sollen, wie bei einem einzigen Wolfsangriff zwanzig meiner Schafe zerfetzt und getötet wurden. Sie lagen tot und teilweise mit offenen Bäuchen, aus denen ihre Gedärme hingen, in zwei Kilometer Umkreis auf dem Acker und im Wald. Dieses Gemetzel zu sehen, hat mir das Herz gebrochen!«

      Sein Gesicht zeigt weniger Wut, eher Trauer und Ohnmacht. Ich erinnere mich an solche Berichte.

      »Deshalb haben Sie dann ja auch die 91 Kreuze aufgestellt und damit ziemlich viel Wirbel gemacht.«

      Die Aktion hatte für Furore gesorgt, auch in Leserbriefen unserer Zeitung. Viele Bürger waren verstört, weil man das Kreuzessymbol nun auf Tiere anwandte und die Installation auf einer Weide neben der Bundesstraße fast aussah wie ein Soldatenfriedhof oder eine Gedenkstätte für Gefallene. Der Mann an meiner Seite nickt und wirkt ein bisschen stolz.

      »Richtig. Das war eine Botschaft nach Hannover. Wir wollen den Wolf nicht nur im Jagdrecht sehen, sondern auch eine Beschränkung des Bestands, also Abschüsse, wenn nötig.«

      »Da die Bundesregierung noch dagegen ist und vor allem das EU-Recht, wird das sicher ein langer Weg.«

      »Das wissen wir. Deshalb machen wird Druck. Wenn es so weitergeht, müssen viele von uns aufgeben –­ und das wäre für Heide- und Küstenschutz verheerend, mal abgesehen von den vielen Familien, deren Einkommen daran hängt.«

      »Aber Sie bekommen doch Geld für gerissene Schafe und für Zäune und Schutzmaßnahmen, oder?«

      Nun wedelt der eigentlich ruhige Schäfer so heftig mit seinem Stock, dass drei Schafe zur Seite springen und der Hund seinen Chef irritiert ansieht.

      »Geld?! Hier geht es nicht nur darum, sondern um das Recht unserer Tiere zu leben! Warum eigentlich stehen Wölfe unter Schutz, Schafe aber nicht? Und außerdem: Die Gelder reichen hinten und vorne nicht. Der Aufwand von Verwaltung und Bürokratie ist unglaublich und die Vorschriften zur Sicherung sind teilweise völlig realitätsfremd!«

      »Was heißt das?«

      »Na ja, die Wölfe sind schlau. Sie tricksen unsere Hunde aus oder verjagen sie. Sie finden immer einen Weg in die Herde. Und wissen Sie, wie groß ein ausgewachsener Wolf wird?«

      Ich habe keine Ahnung, er redet aber auch gleich weiter.

      »Er erreicht die Größe eines Ponys. Von der Regierung geforderte 1,60 Meter hohe Elektrozäune überspringt er problemlos. Und er braucht täglich zwei bis vier Kilo Fleisch. Das wissen viele von den Wolfsliebhabern gar nicht! Ihr Freund ist kein Kuscheltier wie ein Pudel und auch kein Vegetarier. Der Wolf braucht Fleisch, viel Fleisch – und unsere Weiden bieten ihm ein reichhaltiges Büffet.«

      Jörg Bauer hat sich in Rage geredet.

      »Und wenn die sogenannten Tierschützer dann nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten den Wolf zu schützen beginnen, dann wird es richtig gefährlich und fies.«

      Ich will von ihm wissen, wie er das meint.

      »Na, dann schleichen sich diese sogenannten Öko-Aktivisten nachts an unsere Herde heran und werfen Knallkörper. Die Schafe gehen durch und rennen sich zu Tode oder verletzen sich an Zäunen oder Büschen.«

      »Und was wollen diese Leute damit erreichen?«

      »Angeblich wollen sie den Wolf vergrämen, damit der nicht an die Herde geht und wir keine Argumente für einen Abschuss sammeln können. Aber das ist natürlich Blödsinn! Eigentlich betrachten sie uns als ihre Gegner und wollen uns eins auswischen. Das trifft ja auch die Jäger, denen man die Hochsitze anzündet und sie sogar persönlich bedroht.«

      Wir haben das Ortsschild von Himmelstal erreicht. Jetzt müssen wir auf den Verkehr achten.

      Aus dem Lieferwagen springen ein junger Mann und eine ältere Frau.

      »Das sind mein Sohn Felix und meine Frau«, erklärt der Schäfer, »Sie bilden gewissermaßen das Backup der Reise!«

      Die beiden quetschen sich an den Schafen vorbei und sperren die von rechts kommende Straße für den Verkehr. Dies wiederholt sich mehrfach. Auch ich helfe zweimal mit. Autos und Trecker müssen warten. Der Herdenzug führt mitten durchs Dorf. Erst als der parallel zur Landstraße verlaufende Feldweg Richtung Norden erreicht ist, wird es für Züchter und Hunde wieder einfacher. Ein langer Treck zieht durch die Feldmark.

      Ich erfahre, dass Felix und seine Mutter vorgefahren sind und die Herde im nächsten Ort wieder empfangen werden.

      Ein kleines Stück gehe ich noch mit. Ich will noch etwas über die Hunde und andere Schutzmaßnahmen gegen den Wolf erfahren. Der Schäfer erklärt mir, dass dem Wolf nur wenige Hunderassen wirklich gewachsen sind. Zwar werden

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