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dem Wirt voran. „Ich verstehe beim besten Willen nicht, wieso der“, er deutete mit dem Zeigefinger auf Caras Glas, „ein Prädikat erhalten hat und unserer nicht. Muss man den richtigen Kellermeister kennen?“ Die Gesichtsfarbe des Gastwirts wechselte von rot zu aschfahl. „Verschwindet oder …“ „Was sonst, hm?“ „…rufe ich die Polizei“, presste er mühsam beherrscht hervor. „Meinst du damit die beiden Pfeifen aus dem Rosengässle?“ Er zuckte vielsagend mit den Schultern. „Denn mit dem Erchinger Karl ist ja wohl eher nicht zu rechnen.“ Eine Augenbraue hob sich in die Höhe. Cara stöhnte innerlich auf. Gleich am ersten Abend im Brennpunkt einer dörflichen Auseinandersetzung zu sitzen, entsprach nicht ihrer Vorstellung von einer erholsamen Auszeit. Sie wollte sich in die Diskussion einbringen, da wandte sich der Bursche an sie. „Ich empfehle einen Pinot Noir. Hat mehr …“, er bedachte sie mit einem abfälligen Blick. „Körper und enthält eine harmonische Säure. Sollten Sie probieren. Die fruchtigen Aromen überzeugen.“ In einer fließenden Bewegung zog er einen Zehn-Euro-Schein aus seiner Jackentasche und knallte ihn auf den Tisch. Feindliche Blicke folgten den Burschen beim Verlassen des Lokals. Langsam fiel die Anspannung von Cara ab. Was war hier los? Rebellion der Dorfjugend oder steckte mehr dahinter? Cara zwang sich, ihre kriminalistischen Instinkte auszuschalten. Sie hatte Urlaub. „Ich nehme nochmals ein Glas von dem Emilia Spätburgunder“, gab sie sich unbeeindruckt. Der Wirt murmelte eine Entschuldigung und verschwand für den Rest des Abends in der Küche. Statt seiner kam kurze Zeit später eine jüngere Ausgabe von ihm heraus. „Geht aufs Haus“, entschuldigte er sich mit einer Karaffe blutroten Weines. „Ist mit Ihrem Vater alles in Ordnung?“, versuchte Cara in Erfahrung zu bringen. Er schien nicht für Erklärungen aufgelegt zu sein und äußerte etwas, das sich anhörte wie „Essen kommt gleich.“ Mit hängenden Schultern nahm er weitere Bestellungen an den Nachbartischen auf, woraufhin eine hitzige Debatte entbrannte. Leider des Badischen nicht mächtig verstand Cara den dortigen Wortwechsel kaum. „Wie känne die s Wooge, do her z Kumme“, schimpfte einer der Gäste. „Dass dü des zulossesch, mit diinere Schweschter“, ein anderer. „Es ist ihr Leben“, nahm er sie in Schutz. „Joo, des wird de Schponsore nit gfalle.“ Er schüttelte den Kopf und verschwand geschäftig hinter den Tresen. Verstohlen drehte sich der ein oder andere zu dem fremden Gast um. Die Diskussion wurde nun verhaltener fortgesetzt. Die Kommissarin blendete ihre Gespräche aus und beschloss, den kulinarischen Leckerbissen auf ihrem Teller sowie den köstlichen Wein zu genießen. Gar nicht übel, wenn sie bedachte, dass ihr Gaumen an die herbe Note von Altbier gewöhnt war. Von Wein verstand sie nichts. Für sie gehörte zu einem deftigen Essen frisch gezapftes Alt. Darauf würde sie vorerst verzichten müssen. Bei dem vorzüglichen Menü und den adäquaten Preisen im Reblaus Stüble würde ihr das nicht schwerfallen. Sie hätte es denkbar schlechter treffen können. Auch wenn sie keinerlei Schuld an der Situation traf, in der sie sich befand. Ja, sie war überarbeitet und ja, sie hatte überreagiert bei ihrem letzten Einsatz in dem Bordell Hinter dem Bahndamm, Düsseldorfs historischem Freudenhaus, mit seinen nummerierten Fenstern. Nachdem alles, wirklich alles schiefgelaufen war bei diesem Polizeieinsatz. Angefangen von der Unfähigkeit Caras Kollegen am Tatort, Verstärkung zu rufen. Gefolgt von seinem unzusammenhängenden Gestammel in Bezug auf den Tathergang bis hin zu den Abdrücken der Sneakers Größe 38 in der Blutlache von der Tussi der Spurensicherung. Das brachte das Fass zum Überlaufen und sie war ausgerastet. Es brauchte lange, wirklich lange, um sie aus der Ruhe zu bringen. Das vorausgegangene, unerfreuliche Gespräch beim Scheidungsanwalt mochte die Lunte ihres emotionalen Pulverfasses gelegt haben. Wer wäre da nicht aus der Haut gefahren? Es rechtfertigte nicht ihre Versetzung in dieses Kaff hier. Urlaub – vielleicht. Hier arbeiten? Leben? Niemals. Sie wusste nicht, wie Theo es angestellt hatte, sie hierher zu verbannen, aber sie wollte wieder Politesse sein, wenn sie das nicht herausfand. „Darf es noch etwas sein?“ Inzwischen war sie der letzte Gast. „Wer waren die beiden Unruhestifter von soeben?“, stellte sie gewohnheitsmäßig eine Gegenfrage und schob den leeren Teller beiseite. „Zugezogene aus dem Elsass“, antwortete er abfällig. „Schauen die hier öfter vorbei?“, bohrte sie weiter. Die Kiefer des Mannes mahlten aufeinander, seine Augen wurden schmal. „Ich hoffe, das war das letzte Mal. Haben Sie noch einen Wunsch?“ „Die Rechnung bitte. Und – es hat ausgezeichnet geschmeckt.“ Kaum, dass sie das Lokal verlassen hatte, wurde die Tür hinter ihr verriegelt und das Licht gelöscht. Stille legte sich über Lausgrott.

      Kapitel 3

      Unsanft wurde Cara von Bauarbeiten aus dem Schlaf gerissen. Mit verstrubbelten Haaren stürmte sie auf den Balkon hinaus. Der Fluch, den sie auf den Lippen hatte, verpuffte ungehört im Baulärm. Unter ihr stand Marie und beaufsichtigte die fortschreitenden Arbeiten an der Terrasse. Samstags um acht Uhr in der Früh.

      „Guten Morgen, Frau Goldmann. Haben Sie heute schon etwas geplant?“, rief Marie in der entstandenen Arbeitspause energiegeladen nach oben.

      „Können Sie mir etwas Ruhiges empfehlen?“, erwiderte sie bissig, anstatt sich für den Willkommensgruß mit Gugelhupf und Wein zu bedanken.

      Offenbar wusste die undankbare Städterin die Gastfreundschaft des hiesigen Landstrichs nicht zu würdigen. Mit jeder Pore verströmte sie eine Aura negativ geladener Energie. Ihre heruntergekauten Fingernägel mit den wunden Rändern erzählten ihre eigene Geschichte. Von ungelösten Konflikten, körperlicher Anspannung und akutem Stress. Vielleicht hatte Theo das gemeint, als er Marie auftrug, sie solle gut auf die Kommissarin aufpassen. „Sie könnten eine Wanderung durch die Weinberge unternehmen“, schlug sie unbeeindruckt vor. „Gleich hinterm Haus führt ein malerischer Rundweg entlang. Nachmittags könnten Sie auf einen Kaffee bei mir vorbeikommen.“ Vielleicht reagierte Frau Goldmann gelassener auf die sie umgebende wunderschöne Weinregion, wenn sie ein Streifzug unternähme. Die Hände in die Seiten gestemmt sah Marie abwartend zu ihr hoch. „Danke für den Tipp und die Einladung“, presste Cara mühsam beherrscht hervor. Für sie klang jedes Wort aus Maries Mund wie ein Einheitsbrei aus Scht-Lauten. Marie wies mit dem Daumen zustimmend nach oben. Mit dem wieder einsetzenden Hämmern auf die Steinplatten verschwand Cara hektisch ins Wohnungsinnere.

      Um den lärmenden Bauarbeiten zu entkommen, befolgte Cara Maries Ausflugstipp. Zähneknirschend gestand sie sich ein, dass mit jedem Schritt die Anspannung von ihr wich.

      Bald ließ sie die terrassenförmige Landschaft hinter sich. Der stetig ansteigende Pfad führte wie ein Tor zu einer anderen Welt hinein in einen Wald aus Eichen, Hainbuchen und Feldahorn. Die vorherrschende Ruhe breitete sich wie Medizin in ihrem Inneren aus. Valium für ihre überstrapazierten Nerven. Keine Menschenseele kreuzte den Weg.

      Für die Mühen des Aufstiegs wurde sie nach einer Wegbiegung mit einer imposanten Aussicht belohnt. Vor ihr breitete sich ein Gebiet aus, das zur Linken die schemenhaften Höhen des Schwarzwaldes aufwies, wohingegen sich voraus die Vogesen graublau abzeichneten. Ansonsten dominierte das satte Grün der Weinberge. Der erdige Geruch von feuchtem Waldboden wurde übertüncht von gemähtem Gras und überreifen Früchten.

      Cara ließ sich entspannt auf den Rasen nieder und genoss das Panorama. Versonnen streifte sie den unvorteilhaften Cityrucksack ab, dessen schmale Riemen ihr bereits nach der kurzen Wanderung in die Schultern schnitten. Sie hob eine winzige Wasserflasche aus ihrem Proviant an die Lippen und schloss genüsslich die Augen. Für den Moment mit sich und der Welt zufrieden.

      Mit bleierner Müdigkeit öffnete sie die Augenlider einen Spalt breit und richtete sich wieder auf. Geblendet von dem gleißenden Sonnenlicht, betrachtete sie die Mannigfaltigkeit des Areals, bis etwas ins Zentrum ihres Interesses rückte, was das malerische Bild jäh zerstörte.

      Eine Schneise durchbrach die ansonsten akkuraten Linien der Weinreben unter ihr, wie ein hindurchgefegter Tornado. Cara sprang auf. Zu schnell für ihren Kreislauf. Schwankend registrierte sie aus dem Augenwinkel, wie eine monströse Erntemaschine in einem dieser Wege verschwand, die links und rechts von meterhohen Böschungen gesäumt waren.

      Sie sah wieder zu dem zerstörten Pfad. Einem inneren Impuls folgend kletterte sie den Hang hinab, auf dem sie eben noch die Oase der Ruhe genossen hatte, um die Ursache zu ergründen. Das aufgewühlte Erdreich zu ihren Füßen, durchzogen von tiefen Reifenprofilen, ließ darauf schließen, dass dies nicht die Hinterlassenschaft eines nächtlichen Unwetters war. Ein umgekippter

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