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absichtlich ausgeplaudert, um ihn in den Tod zu treiben? Warum? Sehen Sie zu, dass Sie das herausfinden.«

      Schneider nickt zögernd, und ich beschließe, mich mit dieser verhaltenen Zustimmung zufriedenzugeben.

      »Apropos anonym … da war doch noch ein Fall, eine Mail ohne Absender, in der jemand Carlo Cortone beschuldigt, Jasemina Brandelhuber getötet zu haben. Haben Sie dazu neue Erkenntnisse?«

      »Nein. Frau Brandelhuber gilt als vermisst, der Verfasser der Mail konnte nicht festgestellt werden.« Der Kommissar räuspert sich. Offenbar schmeckt es ihm gar nicht, dass ich zielsicher die beiden Fälle herausgepickt habe, bei denen die Ermittlungsarbeit zu wünschen übrig lässt. Nun, daran wird er sich wohl gewöhnen müssen.

      »Bleiben Sie da dran. Ich werde ohnehin beantragen, dass der Prozess gegen Carlo Cortone vertagt wird.«

      »Wieso?«, fragt Schneider verdattert. »Der Mord an Tosh Silvers kann doch unabhängig vom Fall Jasemina Brandelhuber verhandelt werden. Es gibt zahlreiche Indizien dafür, dass Cortone Silvers erschossen hat.«

      Nachdem Schneider nicht mehr ganz so bockig ist, verzichte ich gnädig darauf, ihm den Unterschied zwischen Indizien und Beweisen zu erklären. »Womöglich plädiert Cortones Verteidiger auf Leichenschändung«, sage ich stattdessen.

      »Wie bitte?« Schneider starrt mich entgeistert an. »Silvers lag auf den Knien, die Hände mit Kabelbinder auf dem Rücken gefesselt, als er mit einem gezielten Schuss hingerichtet wurde. Das ist doch eindeutig.«

      »Silvers hat auf eine Zyankalikapsel gebissen, bevor das Projektil in seinen Schädel eingedrungen ist«, wende ich ein, unterbinde jedoch eine weitere Diskussion zu dem Thema mit einer knappen Handbewegung. »Wir werden sehen. Auf jeden Fall muss ich mich mit der umfangreichen Aktenlage vertraut machen, bevor der Fall verhandelt wird. Wenn Cortone der Mörder ist, werde ich ihn nicht mit Totschlag davonkommen lassen.«

      Das scheint Schneider wenigstens zu gefallen.

      »Sehen Sie bitte zu, dass Sie inzwischen die anonymen Hinweisgeber auftreiben«, fahre ich fort. »Und treten Sie in Gottes Namen den Leuten von der Vermisstenabteilung auf die Füße – solange wir nicht wissen, ob Jasemina Brandelhuber überhaupt einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, können wir Cortone in dieser Angelegenheit gar nichts, egal was in dieser Mail behauptet wird.«

      Der Kommissar nickt, steht ohne ein weiteres Wort auf und bückt sich nach der Akte. Eigentlich bin ich es ja, der bestimmt, wann eine Besprechung zu Ende ist. Aber das wird Schneider schon noch lernen.

      »Da Sie gerade gehen, können Sie gleich den Stuhl vor meinem Tisch mitnehmen. Ich benötige ihn nicht. Wenn ich möchte, dass meine Besucher sich setzen, werde ich ihnen einen Platz am Besprechungstisch anbieten.«

      Der Kommissar hält mitten in der Bewegung inne, seine Hand schwebt einen Augenblick über der Akte. »Arrogantes …«, flucht er leise, den Rest des Satzes verschluckt er klugerweise.

      Aber es gefällt mir, dass es mir gelungen ist, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken. »Natürlich bin ich ein arrogantes Arschloch«, sage ich spöttisch, als er die Mappe endlich aufgehoben hat. »Ich habe hart daran gearbeitet. Sie werden es lieben, wenn sich die Tatverdächtigen vor Gericht damit auseinandersetzen müssen. Der Haken ist leider, dass Sie sich auch damit arrangieren müssen, wenn möglich, ohne beleidigend zu werden.«

      Schneider starrt mich kurz perplex an, doch dann grinst er breit. »Ich werde in Zukunft auf Ihre Befindlichkeiten Rücksicht nehmen«, verspricht er, legt die Ermittlungsakte auf den Tisch und klemmt sich tatsächlich dieses Monstrum von Besucherstuhl unter den Arm. »Willkommen in München, Herr Graf!« Dann marschiert er hinaus.

      Ich seufze. Was habe ich erwartet? Natürlich hat Schneider sich über mich informiert und natürlich hat er als Erstes meinen Spitznamen herausgefunden. Wobei es Schlimmeres gäbe, und aus dem Mund eines Münchners klingt das ja fast wie ein Kompliment. Es besteht also durchaus Hoffnung, dass der Kommissar und ich in Zukunft gut zusammenarbeiten werden. Außerdem mag ich es irgendwie, dass er am Schluss ein bisschen frech geworden ist. Vielleicht hat er ja doch den nötigen Biss, um ein guter Ermittler zu sein?

      Ich klappe meinen Laptop auf.

      »Willkommen zu Hause«, sage ich leise zu mir selbst und mache mich an die Arbeit.

      Kapitel 2

      München-Laim, 09. Oktober 2019, vormittags

      »Überraschung!«, ruft Liliane, als sie meine Wohnung betritt.

      Rasch klicke ich die Mail an die Tierschutzorganisation Peta in den Hintergrund und rufe stattdessen einen harmlosen Kontoauszug auf. Doch ich hätte mich nicht beeilen müssen, wie so oft verschwindet Liliane zuerst mal in der Küche. Ich höre Geschirr klappern. Sicher hat sie wieder irgendein Obst angeschleppt, und wahrscheinlich wird meine Freundin nicht ruhen, bis ich mindestens die Hälfte davon gegessen habe. Denn das sind wir längst geworden: Freundinnen, auch wenn Liliane nun für mich arbeitet.

      »… finden Sie anbei die Beweise, dass Bio Gieseke in seinen Läden Fleisch aus tierquälerischer Massentierhaltung anbietet …«, tippe ich nun doch noch schnell die Mail fertig und schicke sie rasch ab. Das sollte reichen, um die Kämpfer für Tierrechte auf die richtige Spur zu bringen – und das wird der Famiglia ein weiteres, lukratives Geschäft vermasseln. Außerdem konnte ich diesen Fatzke Gieseke noch nie leiden.

      Doch gegen das Pochen hinter meiner Stirn hilft auch das Wissen nicht, dass ich der Famiglia erneut einen Schlag versetzen kann. Ich stütze meinen dröhnenden Kopf in die Hände. »Verdammt, Tosh!«, denke ich, was ich ungefähr einhundertmal jeden Tag tue, seit er tot ist, und umklammere mit einer Hand den Anhänger mit dem eingravierten keltischen Liebesknoten, den er mir hinterlassen hat. »Ich schaff das nicht!«

      Aber ich muss es schaffen. Nur noch ein bisschen durchhalten. Wenn Carlo erst verurteilt und diese verdammte Famiglia endlich pleite ist, dann kann ich durchatmen. Dann werden wir alle in Sicherheit sein, Liliane, Hugo, Marco und ich. Auch wenn dieser bohrende Schmerz in meiner Brust wohl niemals weggehen wird. Ich hoffe allerdings darauf, dass ich dann wenigstens mal wieder eine Nacht durchschlafen kann – vielleicht sogar ohne Albträume. Ständig reißen sie mich aus dem Schlaf, fluten meinen Kopf mit Bildern von Tosh, kalt und tot auf diesem Metalltisch in der Gerichtsmedizin. Mein Tosh.

      »Er ist da!«, verkündet Liliane, betritt das improvisierte Büro, das ich uns beiden in meinem ehemaligen Gästezimmer eingerichtet habe, und hält mir ein Glas hin. Zum Glück ahnt sie nicht, was ich gerade gedacht habe. Ich kann im Augenblick nicht noch einen ihrer lieb gemeinten Vorträge ertragen.

      »Wer?«, frage ich argwöhnisch und beäuge das Getränk, dessen blaugrüne Farbe mich an eine Giftschlange aus dem tropischen Regenwald erinnert.

      »Das doch nicht, das ist ein Smoothie, trink das. Nein, ich meine …«

      »Du hast aber nicht bei Bio Gieseke eingekauft, oder?«, hake ich misstrauisch nach.

      »In dem überteuerten Schicki-Micki-Laden? Spinnst du? Dem werfe ich doch kein Geld in den Rachen. Natürlich war ich auf dem Viktualienmarkt. Aber hör doch mal zu. Er ist da!«

      Jetzt ahne ich, wovon sie spricht. Es muss um den Bildband über Cockerspaniel gehen, den sie so sehnlich erwartet. Ich bin froh, dass Liliane sich über solche Kleinigkeiten wieder freuen kann. Seit Toshs Tod lächeln wir selten, brüten verbissen über dem Erbe, das er uns hinterlassen hat, und sind mit den Gedanken häufig doch ganz woanders.

      »Zeig her!«, fordere ich sie auf und nehme vorsichtig einen Schluck von der Giftschlangen-Mixtur. Gar nicht so schlecht.

      »Eins nach dem anderen«, sagt Liliane, und ihre Augen blitzen. »Jetzt lass dir erst mal den Namen auf der Zunge zergehen: Conte Victorio Moreno D’Vergy!«

      »Ist das ein Hund?«, frage ich erstaunt, immer noch der Ansicht, dass

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