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zusammen … und ich heiße Christoph und kann euch über das Wasser tragen … will übrigens gar nicht, daß du viel fängst, der Alte. Stadtmenschen sollen verhungern, meint er. Hast ein gutes Leben hier, wenn du was ausgefressen hast und dich verkleiden mußt. Kommt hier keiner schnüffeln, nicht mal der Fischmeister. Angst vor dem Alten … Aber ist nicht immer so wie jetzt, Freundchen. Kommen dunkle Tage, wenn der Schneesturm dir über den Schornstein heult. Denkst an alles, was du falsch gemacht hast, ist keiner da, der mit dir eine Pfeife raucht. Bloß das Eis brüllt im See, und die Füchse bellen, und manchmal heult der Wolf aus den Schonungen. Dann fängst du an zu trinken, Freundchen, weil wir nichts anderes haben als Schnaps, verstehst du? Wer in keiner goldenen Wiege gelegen hat, kann seine Netze stellen wie er will, sechzig oder achtzig Jahre lang, geht ihm doch der Fisch mit der Goldkrone nicht hinein. Ob du Rot hier aufziehst oder Schwarzweißrot, das bleibt sich alles gleich … und still wirst du, sage ich dir, so still wie ein Stein auf dem Grund …«

      Er fuhr mit der Hand durch den leeren Raum und stieg die Leiter wieder abwärts. »Stimmt alles mit den Netzen«, sagte er an der Haustür, »keines zuviel und keines zuwenig. Nur mit den Mäusen mußt du aufpassen im Winter, daß sie dir keinen Schaden machen … Heute abend gehe ich los, der Kahn liegt da an der hohen Fichte.«

      Er stand schon in der geöffneten Tür, und Thomas schien es, als sei er der Geist dieser Insel, grau, verwittert und gebeugt, und als würde er selbst nach zwanzig Jahren auch so dastehen. Das Tor der Zukunft tat sich in geräuschlosen Angeln auf, mit blitzenden Flügeln, einen Herzschlag lang. Er sah sich, wie eine Vision, auf der Schwelle stehen und sich umwenden wie jener, nur mit einem anderen Gesicht, und dann hineingehen und vor dem Feuer niedersitzen. Der Schein der Flamme spielt über den Globus, Länder und Meere, Berge und Ströme. Er hat den Kopf in die Hände gestützt und blickt darüber hin, ohne Wunsch und Begehren, vieles hinter sich, wenig vor sich, ein einsamer Mann, schweigsam wie die Steine auf dem Grund.

      »Ich werde ihn fangen, Christoph«, sagte er, »den mit der goldenen Krone … ich werde ihn fangen!«

      Aber der andere verzog nur die Lippen über dem grauen Bart, winkte mit der Hand und ging hinein.

      Eine unsichtbare Uhr schlug elf helle Schläge, als Thomas vor der Schloßtreppe stand. Das Schloß war nicht mehr als ein großes Gutshaus, mit einem hohen braunen Dach über zwei Flügeln. Doch lag es breit und stattlich über der Seebucht, und der Efeu, der bis an die Fenster des oberen Stockwerks rankte, ließ es alt und ganz auf sich zurückgezogen erscheinen. Das Wappen über der schweren Tür war so verwittert, daß es nicht mehr als eine gepanzerte Faust erkennen ließ, die etwas trug, aber es konnte ein Lilienstengel wie eine Streitaxt sein. Der Park hinter dem Hause mußte gleich in den Wald übergehen, hinter dem Hof aber hob sich gerade der dünne Nebel über dunklen Feldern, die erst vom Horizont begrenzt schienen. Ein blaues Tor tat sich zwischen den ziehenden Wolken auf, und ein heller Schein fiel auf die regennasse Erde, auf die leuchtenden Dächer und auf die Spitze der Fahnenstange, die sich über der Mitte des Hauses erhob.

      Dann stieg Thomas die Stufen hinauf. Er läutete an einem alten Glockenzug, und die schwere Tür wurde von einem Riesen in altertümlicher Uniform geöffnet. Thomas meinte, sie müsse aus der Zeit Friedrichs des Großen stammen, mit weißem Lederzeug und verschnürtem Rock, doch trug der Mann keine Bärenmütze, sondern kurz verschnittenes Haar, sah auch so aus, als hätte man ihn eben vom Pfluge fortgeholt und er hätte sich dort wohler befunden als in seinem gegenwärtigen Amt.

      »Der Herr General lassen bitten«, sagte er düster und half Thomas aus dem Mantel. Es klang, als liege der General im Sterben.

      Thomas nahm mit einem Blick die riesige Halle wahr, die bis in das obere Stockwerk reichte, eine schöne und breit aufsteigende Treppe von dunkelbraunem, glänzendem Holz, Schaufeln, Geweihe, Vögel, Waffen, Ahnenbilder, einen riesigen Feuerplatz, in dem ein ganzer Baumstumpf verkohlte, und im Hintergrund, zu beiden Seiten einer zweiflügeligen Tür, zwei alte Kanonen aus mattglänzendem Metall, die dunklen Münder drohend auf den Eingang gerichtet. Doch standen keine Kanoniere neben ihnen, mit brennenden Lunten etwa, wie Christoph erzählt hatte, bereit, das Feuer sofort auf jeden zu eröffnen, der es etwa an Haltung oder Gesinnung gleich beim Eintritt sichtbar fehlen ließe. Aber auch eine Regimentskapelle, ein Schellenbaum und Bombardon, wie Thomas sie eher vermutet hatte, war nicht sichtbar, so daß er guten Mutes, wenn auch etwas verwirrt von dem Anblick düsterer Feierlichkeit, dem riesigen Grenadier oder was er sonst sein mochte, durch ein büchergefülltes Vorzimmer bis an die Eichentür folgte, an der dieser nun deutlich, aber doch in geziemender Bescheidenheit klopfte.

      Eine etwas heisere Stimme rief »Herein!«

      Der Große öffnete die Tür, trat oder sprang vielmehr mit erstaunlicher Gewandtheit über die Schwelle, schlug daneben die Absätze seiner Schuhe unter den geschnürten Gamaschen zusammen und meldete mit heller Stimme: »Der Herr Christoph Nachfolger, Herr General!«

      Ein kleiner, breiter Mann mit grauer Litewka hob den Kopf von den Papieren auf seinem Schreibtisch, sagte »Schafskopf!« zu dem Riesen und winkte Thomas mit der Hand, näher zu treten. Er wies auf einen Stuhl an der Schmalseite des Tisches, wartete, bis der Riese das Zimmer verlassen hatte, und blickte dann Thomas an.

      Dieser meinte, sein Gesicht schon als Kind gesehen zu haben, in der vielbändigen »Geschichte der Eroberung des indischen Reiches«, die in den Bücherschränken seines Vaters gestanden hatte, ganz unten, sechs dunkelbraune, schwere Bände, und in denen er die Bilder vor allem liebte, in matten Wasserfarben, unzureichend für die Glut jener Landschaften, aber erfüllt von seltsamen Menschen, Tieren und Pflanzen. Dort, inmitten edelsteinbedeckter Maharadschas und dämonischer Tempel, hatte es auch Porträts der Eroberer gegeben, Soldaten, Kapitäne und Könige des Handels, mit brauner Haut und weißem, buschigem Haar, mit strengen, mitunter grausamen Lippen und kindlich gebliebenen hellblauen Augen; Männer, von denen man nie wußte, ob sie Blut aus den Hirnschalen erschlagener Landesfürsten tranken oder ob sie, wieder heimgekehrt auf ihre grüne, neblige Insel, vor den riesigen Kaminen ihrer Schlösser den schweren Wein tranken, der in alten Eichenfässern die Reise nach Indien und zurück immer wieder gemacht hatte, um jene Glut und Milde zu gewinnen, von der ihre Gesichter so braunrot und fröhlich geworden waren. Männer, die er sich von der Meute ihrer Hunde und zahlreichen Enkelkindern umgeben vorgestellt hatte und für die alle es nur einen geheimnisvollen und fast tropischen Namen in seiner Gedankenwelt gegeben hatte: den Namen der Nabobs. Er hatte nicht gewußt, woher dieser Name stammte, aber etwas Drohendes und gleichzeitig Heiteres war aus dem Klang der Silben aufgestiegen, Fremdheit und Zauber, Macht und Einsamkeit, und einmal hatte er seinen Lehrer in das hilfloseste Erstaunen versetzt, als er auf die Frage, was er einmal werden wolle, laut und ohne Überlegung geantwortet hatte: ein Nabob!

      Nun mußte er fast ein Lächeln verbergen, als er bedachte, wie wenig er selbst jenes kindliche Versprechen eingelöst hatte, weder im Äußeren des Glanzes noch im Inneren selbstgewisser und fast allmächtiger Haltung, von einer Meute von Grauhunden so weit entfernt wie von einer Schar hellblonder Enkelkinder, und wie auch jener, dessen Gesicht ihm aus jenen Büchern vertraut war, in seinem Leben und Sein, in Erinnerungen, Macht und Reichtum wohl weit hinter den Urbildern jenes seltsamen Namens zurückgeblieben sein mochte, außer daß er vielleicht in den Kellern dieses Hauses einen ansehnlichen, aber immer mehr abnehmenden Vorrat jenes Weines besäße, der, vor riesigen Kaminen an langen Abenden getrunken, jene Hautfarbe verleihen mochte, die wie von indischer Sonne gebräunt und gebrannt erschien.

      Doch fühlte Thomas sich nun durch diese kindliche Erinnerung über die Schranken des Alters und des Ranges leichter hinweggehoben und glaubte auch alle Wunderlichkeiten, auf die er vorbereitet war und deren Anfang er nun schon erfahren hatte, guten Mutes überstehen zu können.

      »Heißen Orla?« fragte die heisere Stimme, die die Worte wie aus einer Gewehrmündung hervorstieß.

      »Jawohl, Herr General.«

      »Gedient?«

      »Jawohl, Herr General.«

      »Dekoriert?«

      »Jawohl, Herr General.«

      Eine kleine Pause trat ein, in der der General fortfuhr, seinen Besucher gleichsam

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