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Beschleunigung von zwei Zentimetern, mit der wir uns jetzt bewegen, während der ganze Reise beibehalten?«

      »Ja«, antwortete er, »nur die Richtung wird in der Mitte unseres Weges verändert, die Geschwindigkeit wird dann nicht größer, sondern jede Sekunde um dieselbe Größe geringer. Obwohl die höchste Geschwindigkeit ungefähr fünfzig Kilometer in der Sekunde beträgt und die mittlere ungefähr fünfundzwanzig Kilometer, wird sie bei der Ankunft ebenso gering sein wie zu Beginn unserer Reise, und wir werden sanft auf dem Mars aufsetzen. Ohne diese riesigen veränderlichen Geschwindigkeiten hätten wir weder die Erde noch die Venus erreichen können, weil selbst deren nächste Entfernung zum Mars — sechzig und hundert Millionen Kilometer — beispielsweise mit einem Schnellzug nur im Verlaufe von Jahrhunderten bewältigt werden könnten und nicht innerhalb von Monaten wie mit unserem Sternschiff. Und was den ›Kanonenschuss‹ betrifft, von dem ich in Ihren utopischen Romanen gelesen habe, so ist das einfach ein Scherz, weil es nach den Gesetzen der Mechanik praktisch dasselbe ist, ob man sich beim Abschuss innerhalb der Kugel befindet oder ob man von der Kugel getroffen wird.«

      »Wie erreichen Sie eine so gleichmäßige Bremsung und Beschleunigung?«

      »Unser Sternschiff wird von radioaktiver Materie angetrieben, die wir auf dem Mars in großer Menge gewinnen. Wir haben eine Methode gefunden, den Zerfall der Elemente hunderttausendfach zu forcieren; das geschieht in unseren Motoren mit Hilfe ziemlich einfacher elektrochemischer Verfahren. Auf diese Weise wird gewaltige Energie freigesetzt. Wie Ihnen bekannt ist, bewegen sich die Teilchen der zerfallenden Atome mit einer Geschwindigkeit, die diejenige von Artilleriegeschossen um das Zehntausendfache übertrifft. Wenn die Teilchen den Motor nur in einer Richtung verlassen können, das heißt durch einen Kanal mit undurchdringlichen Wänden fliegen, bewegt sich das Sternschiff nach dem Prinzip des Rückstoßes, den man auch bei einem Gewehr oder Geschütz beobachten kann. Nach den Ihnen bekannten Naturgesetzen können Sie sich leicht ausrechnen, dass die geringfügige Menge von einem Milligramm völlig ausreicht, um unser Sternschiff innerhalb einer Sekunde gleichmäßig zu beschleunigen.«

      Während unseres Gesprächs hatten alle Marsmenschen den Raum verlassen. Menni schlug vor, das Frühstück in seiner Kajüte einzunehmen. Sie lag an der Wand des Sternschiffs und besaß ebenfalls ein großes Kristallfenster. Wir setzten unser Gespräch hier fort. Ich wusste, dass mir die neue, unbekannte Empfindung der Schwerelosigkeit bevorstand, und fragte Menni danach.

      »Das stimmt«, sagte er, »denn obwohl uns die Sonne weiterhin anzieht, ist die Wirkung im freien Raum geringfügig. Der Einfluss der Erde wird morgen oder übermorgen ebenfalls nicht mehr zu spüren sein. Nur infolge der beständigen Beschleunigung wird 1/400 bis 1/500 unseres Körpergewichts erhalten bleiben. Beim ersten Flug gewöhnt man sich nicht leicht daran, obwohl die Umstellung sehr allmählich geschieht. Wenn Sie an Gewicht verlieren, nimmt Ihre Gewandtheit ab, Sie werden viele falsch berechnete Bewegungen machen. Das Vergnügen, fliegen zu können, wird Ihnen recht zweifelhaft vorkommen. Was Herzklopfen, Schwindelgefühl und sogar übelkeit betrifft, die dabei auftreten, so wird Sie Netti davon befreien. Es wird auch schwierig werden, mit Flüssigkeiten umzugehen, die beim geringsten Stoß aus den Gefäßen gleiten und überall als riesige Tropfen umherschweben. Aber bei uns ist alles sorgsam darauf ausgerichtet, solche Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Möbel und Gefäße sind befestigt, Flüssigkeiten werden in verschlossenen Behältern aufbewahrt, überall sind Griffe und Riemen angebracht, an denen man sich notfalls festhalten kann. überhaupt werden Sie sich daran gewöhnen, Zeit genug dazu haben Sie.«

      Seit dem Abflug waren ungefähr zwei Stunden vergangen, und der Gewichtsverlust war schon spürbar, allerdings noch recht angenehm. Der Körper wurde leichter, die Bewegung freier. Die Atmosphäre hatten wir schon verlassen, aber das beunruhigte uns nicht, weil sich in unserem hermetisch abgeschlossenen Schiff ein ausreichender Vorrat an Sauerstoff befand. Der sichtbare Teil der Erdoberfläche wurde endgültig einer Landkarte ähnlich — jedoch mit verzerrtem Maßstab: größer in der Mitte, kleiner zum Horizont hin. Stellenweise verdeckten weiße Wolkenflecke die Sicht. Im Süden, hinter dem Mittelmeer, waren die Küsten Afrikas und Arabiens durch einen Dunstschleier recht deutlich erkennbar, im Norden verlor sich der Blick hinter Skandinavien in einer Wüste aus Schnee und Eis, nur die Felsen Spitzbergens hoben sich als dunkle Flecken ab. Im Osten begann hinter dem Ural, der teils von Schneeflecken bedeckt war, wiederum das Reich der weißen Farbe, nur hie und da mit einem grünlichen Schimmer, der zaghaft an die riesigen Nadelwälder Sibiriens erinnerte. Hinter den klaren Konturen Mitteleuropas hüllten sich die Umrisse Englands und Nordfrankreichs in Wolken. Ich vermochte das gigantische Bild nicht lange anzuschauen, da der Gedanke an die schreckliche Tiefe des Abgrunds, über dem wir uns befanden, in mir ein Gefühl hervorrief, das einer Ohnmacht ähnelte. Deshalb nahm ich das Gespräch mit Menni wieder auf.

      »Sie sind der Kapitän dieses Sternschiffs, nicht wahr?«

      Menni nickte und bemerkte: »Aber das bedeutet nicht, dass ich hier das besäße, was bei Ihnen Befehlsgewalt heißt. Ich habe einfach die größte Erfahrung beim Lenken von Sternschiffen, und meine Anweisungen werden ebenso befolgt, wie ich Sternis astronomische Berechnungen unbesehen akzeptiere oder wie wir uns alle nach Nettis medizinischen Ratschlägen richten, um unsere Gesundheit und Arbeitskraft zu erhalten.«

      »Wie alt ist Doktor Netti? Mir kommt er sehr jung

      vor.«

      »Das weiß ich nicht, sechzehn oder siebzehn Jahre«, antwortete Menni lächelnd.

      Das hatte ich ebenfalls geschätzt. über eine so frühe Gelehrsamkeit war ich jedoch verwundert.

      »In dem Alter schon Arzt!« entfuhr es mir unwillkürlich.

      »Fügen Sie hinzu: ein kenntnisreicher und erfahrener Arzt!« sagte Menni.

      Bei unserem Gespräch hatte ich nicht bedacht — und Menni hatte es wohl absichtlich nicht erwähnt —, dass ein Marsjahr fast doppelt so lang ist wie ein Erdenjahr. Der Mars umkreist die Sonne in 686 Erdentagen, Nettis sechzehn Lebensjahre kamen also dreißig Erdenjahren gleich.

      6. Das Sternschiff

      Nach dem Frühstück führte mich Menni durch das »Schiff«. Zuerst begaben wir uns in die Maschinenabteilung. Sie lag direkt auf dem abgeflachten Boden und bestand aus fünf Räumen, dem zentralen Raum mit dem Antriebsmotor und vier Nebenräumen. Im zentralen Raum waren auf allen vier Seiten runde Glasfenster in den Fußboden eingelassen, eines aus reinem Kristall, drei aus farbigem Glas unterschiedlicher Nuancen. Das Glas war drei Zentimeter dick und erstaunlich durchsichtig. Wir konnten jedoch nur einen Teil der Erdoberfläche sehen.

      Den Hauptteil des Motors bildete ein Metallzylinder von drei Metern Höhe und einem halben Meter Durchmesser. Er bestand aus Osmium, einem sehr schwer schmelzbaren Edelmetall, das dem Platin verwandt ist, wie mir Menni erklärte. In diesem Zylinder wurde die radioaktive Materie gespalten; die rotglühenden, zwanzig Zentimeter dicken Wände zeugten von der Energie des Prozesses. Trotzdem war es im Raum nicht heiß, denn der gesamte Zylinder war von einer Hülle aus einer durchsichtigen Masse umgeben, die vorzüglich vor Hitze schützte, und oben war diese Hülle mit Röhren verbunden, durch die heiße Luft nach allen Seiten zur gleichmäßigen Heizung des Sternschiffs abgeleitet wurde.

      Die übrigen Maschinenteile — elektrische Spulen, Akkumulatoren, Geräte mit Zifferblättern usw. —, auf unterschiedliche Weise mit dem Zylinder verbunden, waren ringsherum in schöner Ordnung angebracht, und der diensthabende Maschinist sah sie dank einem Spiegelsystem alle zugleich, ohne aus seinem Sessel aufstehen zu müssen.

      Die Nebenräume waren das »Observatorium«, der »Wasserraum«, der »Sauerstoffraum« und der »Rechenraum«. Im Observatorium bestanden Fußboden und Außenwand durchweg aus Kristall, einem geometrisch geschliffenen Glas von idealer Reinheit. Als ich Menni über einen Laufsteg folgte und direkt nach unten sah, erblickte ich nichts zwischen mir und dem Abgrund, der sich unter uns auftat - so durchsichtig war das Kristall. Ich musste die Augen schließen, weil mir schwindelte. Danach richtete ich meinen Blick nur auf die Instrumente zwischen dem Stegnetz. Sie standen auf komplizierten Stativen, die aus den Innenwänden und von der Decke in den Raum ragten. Das Hauptteleskop war ungefähr zwei Meter lang, besaß jedoch ein unproportional großes

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