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und parkte den Laster direkt vor unserer Hofeinfahrt. Na fein. Wenn der alte Tietzmann nach Hause kam – Tietzmann war unserer Hausmeister – würde der einen seiner Anfälle kriegen. Aber ich hoffte, dass die Möbelpacker auch eine entsprechende Packer-Figur hatten, dann würde Tietze endlich mal den Kürzeren ziehen. Jedenfalls, die Möbel-Leute sprangen aus ihrem Wagen, blickten beide wie auf Kommando zu mir nach oben, und ich winkte fröhlich. Sie guckten ein wenig nachdenklich, um nicht zu sagen, bedeppert, als ihnen aufging, dass dies ein Altbau ohne Fahrstuhl war.

      Der eine verzog den Mund etwas säuerlich, dachte aber nicht daran, zurückzuwinken. Ich wusste auch, warum, denn die freie Wohnung lag im vierten Stock. Mir war es egal, ob der Mensch da unten unfreundlich war oder nicht. Er würde in den nächsten Stunden so einige Male zweiundneunzig Stufen nach oben und wieder nach unten stapfen müssen, während ich gemütlich weiter mit verschränkten Armen auf dem Fensterbrett hängen und ab und zu genüsslich die Hand zum Gruß heben würde.

      Die beiden schienen noch auf jemanden zu warten, und ich wartete gespannt mit ihnen, denn schließlich wollte ich wissen, wer da wieder mal neu in unser Haus einziehen würde.

      Eine Minute später kam ein Kombi um die Ecke gebogen. Ein Kombi, wie ihn vielleicht Columbo gefahren hätte. Dieses Auto musste in einer Zeit entworfen worden sein, als Henry Ford noch lebte. Ich dachte, der Wagen könnte auch durchaus aus Amerika sein, denn er war unglaublich breit und lang. Die Seitentüren schienen aus Holz gemacht, ehrlich, und als die Kiste an dem Möbellaster vorbei fuhr und der Fahrer ihn einige Meter weiter abstellte, konnte ich sehen, dass auch die Hecktür aus Holz war. Ja, es war eine Tür! Das Auto hatte hinten eine Tür, nicht etwa eine Klappe. Selbst von hier oben aus konnte man sehen, dass der Wagen hin- und herschaukelte. Als der Motor schon längst abgestellt war, spuckte der Vergaser noch sekundenlang nach.

      Dann gingen die Wagentüren auf und zwei eigentlich ganz normal wirkende Leute stiegen aus. Die Frau sah recht hübsch aus, war aber ziemlich alt. So Mitte dreißig, würde ich sagen. Ihr Mann reckte seine wohl müden Glieder – die beiden mussten weit gefahren sein – und lachte seine Frau an. Er war mir sofort sympathisch, sah er doch ein bisschen so aus wie dieser Jessie aus der Serie „Full House“, und den fand ich immer am coolsten.

      Er ging um den Wagen herum und öffnete die riesige Hecktür. Und da sprang etwas heraus, wovon ich zuerst dachte, es sei ein riesiger Flummi. Aber es war eindeutig ein Hund! Ein augenscheinlich völlig verrückter Kerl, denn er hopste und sprang auf die Straße, wieder zurück ins Auto und dann wieder auf die Straße. Und das Witzigste war, dass der kleine Kerl wohl überhaupt nicht richtig laufen konnte, sondern der sprang und hopste wie ein kleiner Springbock. Genau das völlige Gegenteil von Lazy.

      Ich schubste meinen Hund.

      „Sieh’ mal, da unten, mit dem müsstest du mal auf den Hundeplatz. Der könnte dir von seiner Energie noch einiges abgeben!“

      Lazy starrte demonstrativ auf die gegenüberliegende Straßenseite, ignorierte diesen verrückt gewordenen Hampel-Hund da unten und bettete mit einer Art erhabener Überheblichkeit sein Haupt wieder aufs Schmusekissen.

      Der Hund auf der Straße raste mit seinen Hüpfsprüngen in unsere Einfahrt, so dass ich ihn einen Moment lang nicht mehr sehen konnte. Zwei Sekunden später kam er wieder hervorgehopst und sprang zurück in den Kombi.

      Ich fand das richtig spannend. Wann kriegt man schon mal neue Nachbarn, die aussehen wie Schauspieler, ein Auto fahren wie Columbo und einen Hund haben, der nicht ganz dicht ist.

      Auf einmal bewegte sich der Wagen wieder und wippte bedenklich auf seinen uralten und vermutlich längst nutzlosen Stoßdämpfern. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie der komische kleine Hund das wohl hinkriegen sollte, als sich auf einmal zwei nackte Beine aus dem Kofferraum schwangen. Ein Junge erschien auf der Bildfläche. Während ich noch gespannt nach unten starrte, ob der vielleicht wie jemand aussah, mit dem man sich anfreunden könnte, sprang der kleine Hunde-Flummi raus aus dem Wagen, wieder rein in den Wagen, dann auf den Schoß des Jungen, dann wieder runter, flitzte in unsere Hofeinfahrt, kam zurück, flitzte in unser Haus - die Tür musste wohl offen stehen - und dann wieder ins Auto. Und das Ganze ging wieder von vorne los. Ich dachte, dieser Hund ist schwer gestört, mit dem würde meine Mutter niemals fertig werden. Ich warf noch mal einen Blick auf Lazy, aber da hatte sich nichts geändert. Lazy lag nach wie vor mit gelangweiltem Blick auf seinem Kissen, die Ohren rechts und links von seinem Kopf ausgebreitet und sagte mir auf seine Art „Siehst du, ist doch besser, man hat einen faulen Hund“.

      Ich konnte von meinem Standort aus gar nicht richtig erkennen, um was für eine Rasse es sich überhaupt bei dem Kerlchen handelte, aber ich war sicher, dass ich das schon noch rausbekommen würde. Schließlich würden die neuen Nachbarn ja nicht morgen schon wieder ausziehen. Den Jungen konnte ich schon besser erkennen, und als er seine Beine über den Rand des Kofferraums baumeln ließ und sich dann schließlich schwungvoll mit den Händen abstieß und mit einem Satz auf die Straße sprang, genau in diesem Augenblick wusste ich, der hat genau meine Wellenlänge. Ich hätte noch nicht einmal sagen können, warum, aber die Art, wie er da erschien und überhaupt nicht ein bisschen zögerte oder vielleicht unsicher wirkte, zog er doch schließlich von seinem bisherigen Zuhause in ein neues, zeigte mir, dass da genau der Richtige über mir einzog.

      Und dann noch dieser Hund! Als sein Herrchen endlich aus dem Wagen war, sprang das tobende Etwas in die Höhe, direkt in die Arme des Jungen. Die Eltern schienen das zu kennen, denn die Mutter lächelte nur, und der Vater ging rüber zu den Möbel-Fahrern und gab ihnen Anweisungen. Dann sahen alle drei (und der Hund!) zu mir nach oben und überraschten mich beim Zuschauen. Doch ehe ich wusste, was geschah, machte sich mein Arm selbständig und winkte den Vieren da unten ziemlich heftig zu. Lazy erschreckte sich richtig, hob den Kopf und bettete ihn einen Zentimeter weiter rechts von mir wieder nieder.

      Ich weiß nicht, warum, aber ich wollte unbedingt, dass mich dieser Junge gut fand und er vielleicht gleich bei uns klingeln möge. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, mit einem Freund wie diesem könnte die sonst unweigerlich auf mich zukommende Langeweile dieser Ferien doch noch abgewendet werden. Die neuen Nachbarn winkten genauso heftig zurück und verschwanden dann aus meinem Blickfeld ins Haus, um ihre neue Bude in Beschlag zu nehmen.

      Ich dachte, der Vater käme noch mal zurück, aber das tat er nicht, und so blieben die drei Türen des alten Columbo-Kombis sperrangelweit offen. Vielleicht sollte er lüften, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diese Familie einfach anders war als alle, die ich bisher kannte. Und genau deswegen blieben die Türen offen.

      Hätte der Wagen springen können, er wäre ums Haus gehopst.

       *

      „Josef!“

      Meine Mutter stand mit funkelnden Augen und in die Hüften gestemmten Armen im Rahmen der Zimmertür. Ich hatte in meinem Eifer gar nicht bemerkt, dass die Tür aufgegangen war, und jetzt hatte ich den Salat. Lazy ließ sich vom Fensterbrett zurück auf den Boden fallen, was wie immer mit einem Geräusch verbunden war, das an einen herabfallenden nassen Wischlappen erinnerte. Schließlich war er ein fauler und zudem noch recht schwerer Hund und federte nicht sportlich nach. Dann trabte er in die für diesen Zweck von ihm auserkorene Ecke hinter meinem Bett und kringelte sich zusammen. Wenn irgendjemand in unserer Familie wütend und die Stimmung gereizt war, zog sich mein Hund immer in diese gemütliche Kuhle zurück und ließ mich allein. Hund müsste man sein.

      „Mein lieber Sohn, ich habe überhaupt nicht bemerkt, dass du wieder da bist. Könnte das bedeuten, dass du mir etwas zu verheimlichen hast? Vielleicht ein kleines Stück Papier? So ein ähnliches, wie es heute ein paar tausend Leute in die Hand gedrückt bekommen haben? Und dann finde ich es sehr traurig, dass du nicht einmal mehr das Vertrauen in uns hast, auch schlechte Nachrichten mit uns zu besprechen.“

      Mann, wenn sie mit dem „ ... ich finde es sehr traurig ... “ und „ ... kein Vertrauen ... “ anfing, dann vergrößerte sich mein sowieso schon vorhandenes schlechtes Gewissen noch um ein Vielfaches. Dabei hatte ich es ja nur gut gemeint.

      „Ich wollte doch nicht, dass ihr euch aufregt“, versuchte ich es. „Es ist so ein schöner Tag.“

      Mutter

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