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immer tiefer. In meinen Ohren klingelte es. Und jedes Mal packte mich eine Hand und zog mich wieder ans Licht und an die Luft. „Versprich mir, das nicht wieder zu tun! Fall ja nicht mehr ins Wasser!“, verlangte meine Mutter. „Versprechen, was heißt das eigentlich?“, fragte ich mich. Wenn jemand etwas Falsches gesagt hatte, dann sagte er: „Oh! Ich hab mich versprochen!“ „Ja“, sagte ich, „ich verspreche“, ohne recht zu wissen, was ich da eigentlich sagte.

      Manchmal durfte ich beim Vater im Ruderboot mitfahren. Auf den See hinaus. Oder bis zum anderen Ufer, zu Fischer Bombosch. Für mich war das Amerika. Ich hatte nämlich gehört, dass Amerika auf der anderen Seite des „großen Teichs“ läge. Dieser legte Reusen aus, wie mein Vater. Und Aalschnüre. Und Angeln mit Setzfischen. Auch ich angelte, mit Regenwürmern als Köder. Sie waren leicht zu finden. Man brauchte nur einen Stein anzuheben oder ein Brett. Und sie waren da. Ich verstand nicht, warum die Mädchen kreischend wegrannten, wenn ich ihnen einen zeigte. Sind halt Weiber...

      Später durfte ich auf einer Jolle mitfahren. Man erkannte sie an dem O im Segel. Oder auf einem Pirat. Der hatte ein Beil auf dem Segel. Das waren für mich die Seeräuber. Das Gute an den Piraten war, dass sie eine Fock, ein Vorsegel besaßen, das ich mit meinen dünnen Ärmchen schon bedienen konnte. „Klar zum Wendn!“ „Re!“, und der die Ruderpinne hielt, legte sie um. Leichtes Flattern, ich zog, so gut ich konnte an meiner Schot. Schon rundeten sich die Segel wieder, und das Boot nahm erneut Fahrt auf. RE stand auch auf den Nummernschildern der Autos: Recklinghausen. Was hatte das mit Segeln zu tun? Die aus Gelsenkirchen, sagten die „Ge“? Ich kannte Leute aus all den Orten, denn sie hatten Boote bei uns untergestellt. Mein Vater war Bootswart. Eine wichtige Person! Er trug eine Mütze wie ein Kapitän. Warum heißt die Stadt Essen eigentlich Essen? Essen die Leute dort so viel? Aber ich kannte auch dicke Leute aus Gelsenkirchen. Komisch, die Welt der Erwachsenen... „Ihr Kleiner ist aber witzig!“, sagten die Leute, wenn ich meine Gedanken mal laut aussprach. Das machte mich wütend: Denn 1. war ich nicht klein, 2. meinte ich es ernst. Ernst? Auch wieder so ein Wort. Ich hatte einen Freund, der hieß Ernst, und der war eigentlich ganz lustig! Ein anderer hieß mit Nachnamen Mast. Und der war eher klein. Und sie hatten kein Boot. Ich hatte also genug Gründe, den Erwachsenen zu misstrauen!

      Ich band einen Zwirnsfaden ans Heck meines Segelbötchens, stieß es ab und stellte mir vor, ich durchkreuze die Meere. Wie die Kapitäne in den Büchern, die ich schon bald zu lesen imstande war.

      Auf meiner Pamir 2

      Als das Segelschulschiff „Pamir“ sank, vor den Azoren, war ich schon 8 Jahre alt. Wie gerne wäre ich auch auf einem Schulschiff, anstatt in der langweiligen Marienschule... Der Untergang der „Pamir“ brachte mich nicht von meinem Wunsch ab, zur See zu fahren. Er gab mir nicht einmal einen Grund, endlich Schwimmen zu lernen. Ich benannte das Floß, das ich gebaut hatte, „Pamir“ und fuhr hinaus auf den See.

      Als ich 11 war, brach die größte Katastrophe meines Lebens über mich herein. Meine Eltern zogen nach Bayern. Ich wusste noch nicht einmal, wo das war! Und wir Kinder mussten mit. Ich musste meinen Hund Moritz zurücklassen und mein Boot „Pamir 2“. Und den See!!! „Dafür gibt es in Bayern Berge“, versuchte meine Mutter mich zu trösten. Jetzt war für mich klar: So bald wie möglich weg von hier und auf See!

      Es gab in Bayern doch einige Seen. Und in Bayern lernte ich auch schwimmen. Nicht, dass ich inzwischen eingesehen hatte, dass man schwimmen können muss, um Seemann zu werden (ein Schornsteinfeger kann ja auch nicht fliegen). Nein. Es ging um 5 Mark, die ich unbedingt brauchte. Das reicht noch bis in die Zeit in Haltern zurück. Ich erinnerte mich, dass der Vater uns 5 Mark versprochen hatte, wenn wir schwimmen könnten. Was sollte ich damals mit 5 Mark? Mein Bruder bekam sie. Jemand nahm ihn an eine Art Angel, wie einen Fisch. Mit einem Gurt um den Bauch hing er daran. Da zappelte er nun, schluckte Wasser und hustete, während ich aus meinem Versteck unter dem Bootssteg zusah. Jetzt brauchte ich aber 5 Mark, weil ich wie meine Freunde eine Luftpistole kaufen wollte. Die kostete 10 Mark. 5 Mark hatte ich schon gespart. Das hatte lang gedauert, bekamen wir jeder nur 50 Pfennig Taschengeld im Monat. Später dann 50 Pfennig pro Woche. Denn wir hatten den Eltern gesagt, dass andere Freunde 1 Mark bekommen. Gab das einen Zirkus! „Was andere machen oder sagen, ist mir egal!“, tobte der Vater. Doch so ganz egal schienen ihm die anderen doch nicht zu sein. Wenn mein Bruder und ich nicht in die Kirche gingen, dann hieß es: „Was sollen da die Leute denken!“ „Aber ihr geht doch auch nicht!“, war unsere Antwort. „Das ist etwas ganz anderes!“ Auch sollten wir wie die anderen zur Beichte gehen. „Aber ihr geht doch auch nicht!“ „Wir sündigen auch nicht!“, war ihre Antwort. Dabei hatten wir im Katechismus- Unterricht gelernt, dass selbst der Papst drei Sünden pro Tag begeht!

      Tauchen konnte ich schon. Ich besaß eine einfache Maske und einen Schnorchel. So tauchte ich mit meinem Freud Walter die Ufer des Herzmannssees ab. Erstaunte über die neue Welt, die sich mir auftat. Wunderte mich über das Knacken der Schilfhalme, wenn diese zerbrachen. Wir gaben uns Rufzeichen, indem wir zwei Kieselsteine aneinander schlugen. Vom Tauchen bis zum Schwimmen war es nur ein kleiner Schritt und bald hatte ich meine 5 Mark...

      Mit dem Rad fuhren wir nach Isny. Das liegt in Baden-Württemberg. Dort bekam ich die Pistole ohne Probleme. In Bayern musste man 18 Jahre alt sein, um eine zu kaufen. Wir spielten meist Cowboy und Sheriff oder Indianer. Ich hatte eine Pistole, war also meist Cowboy. Sheriff waren immer dieselben: die Kinder der 2 Dorfpolizisten. Ich wäre schon gerne Cowboy geworden, ähnlich wie Bauer Nolte in Overath, aber noch lieber Matrose. Mein Bruder wollte Feuerwehrmann werden oder Pilot. Als ich in der Schule einen Aufsatz schreiben sollte: „Was ich einmal werden möchte“, vergaß ich meine Vorbehalte gegenüber den Erwachsenen und schrieb auf 16 Seiten über meinen geheimen Wunsch, zur See zu gehen. Prompt kassierte ich einen 6er mit der Begründung, dass das kein richtiger Beruf sei und nur Hirngespinste eines unreifen Buben. Der Lehrer las Zitate aus meinem Aufsatz vor und machte mich zum Gespött der Klasse. NIE würde ich Lehrer werden! Man vertraut sich ihnen an, und sie benutzen es, um einen fertig zu machen. Verräter!

      Aber die schlechte Note passte gut in mein Konzept: Als ich den Eltern sagte, was mein Berufswunsch war, reagierten sie wie der Lehrer, obwohl sie keine Bayern waren. Durch mein schlechtes Zeugnis konnte ich sie überzeugen, dass meine Zukunft nicht intellektuell, sondern handwerklich sein würde. Und sie ließen mich gehen. Eigentlich ist gehen lassen zu schwach ausgedrückt. Mein Vater schmiss mich raus auf immer und ewig, während meine Mutter mich weinend zum Zug begleitete. „Pass gut auf dich auf, mein Junge!“, waren ihre letzten Worte, als der Zug sich in Bewegung setzte. Ich hing am offenen Fenster und winkte, bis sie im Dunkel zurückblieb. So. Das wäre geschafft. Der erste Schritt zur Freiheit, zum wahren Leben!

      *

      Der Zug ratterte die ganze Nacht. Am Vormittag kam ich in Bremen an. Ein Fahrgast, mit dem ich mich unterhalten hatte, sagte, wenn ich im Zug bliebe, könne ich über Bremerhaven fahren und vom Zug aus gut das Segelschiff „Schulschiff Deutschland“ sehen. Aber außer ein paar Masten sah ich nichts. Vielleicht hatte ich auf der falschen Seite rausgeschaut... Zudem musste ich 5 Mark 50 Zuschlag für den Umweg zahlen, obwohl ich beteuerte, das Aussteigen verschlafen zu haben.

      Die Seemannsschule, die ich besuchen sollte, um mich auf meinen Beruf vorzubereiten, lag in Bremervörde, an der Oste (nicht Ostsee, wie ich zuerst dachte, als ich die Einschreibformulare für die Seemannsschule erhalten hatte), einem kleinen Flüsschen, das unweit von Cuxhaven in die Elbe mündet. Am Bahnhof wartete ein Schüler, der schon früher angereist war, auf all die Neuen, um sie zur Schule zu führen.

      Das war ein Backsteingebäude mit zwei Seitenflügeln. Dahinter ragte ein hoher Mast empor, wie auf einem Segelschiff. Dann musste jeder von uns zur Einschreibung ins Büro. Anstatt der erwarteten Begrüßung gab's einen Anpfiff. Man hatte mich schon mit einem früheren Zug erwartet.

      Die Postkarte, die ich Muttern schickte

      Was mir denn einfiele, mit Verspätung zu kommen. „Ich bin aus Versehen in einen anderen Zug eingestiegen

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