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      Der Junge blies seinen Atem pfeifend durch die Nase. Krebs. Das Wort hämmerte in seinem Schädel. Er wusste, was es bedeutete. Die Mutter eines Freundes aus seiner früheren Schulklasse war daran gestorben und danach waren er und sein Vater fortgezogen. Sie hatte auch Krebs gehabt.

      Byron verspürte den sehnlichen Wunsch, jetzt ins Arbeitszimmer zu stürzen und seiner Mutter um den Hals zu fallen, doch er wusste, das durfte er nicht. Sonst bekämen seine Eltern heraus, dass er gelauscht hatte, heimlich, weil er Milch vom Kühlschrank stehlen wollte und dann würde sein Vater ihn wieder übers Knie legen.

      So biss er sich auf die Lippen, ganz fest, bis es weh tat und der Schmerz in seinem Herzen ein wenig nachließ. Er würde mit niemandem darüber sprechen, auch nicht mit Stacy. Die beiden Mädchen konnten ohnehin noch nicht begreifen, was mit ihrer Mutter geschah und er wollte ihnen auch keine unnötigen Schmerzen zufügen – genauso wenig wie Stacy. Er wusste, dass sein jüngerer Bruder nicht sehr stark war, dass er es vermutlich nicht verkraften konnte, wenn er vorher davon erführe, dass ihre Mutter sterben würde.

      Behutsam, um keine Geräusche zu verursachen, wandte Byron sich ab, um in sein Zimmer zurückzuschleichen. Dort legte er sich ins Bett, zog die Federdecke über seinen Kopf und weinte.

      Im großen Schlafzimmer begrüßte der Sonnenschein des neuen Apriltages den sterbenden, vom Krebs geschwächten Körper Fey McCulloughs. Ihre letzten Kräfte schwanden mit jedem Herzschlag, die Krankheit siegte. Sie konnte ihre Augen kaum offenhalten, als sie tastend nach den Händen ihres Mannes suchte.

      „Bist du da?“ Sie brachte die flüsternden Worte nur schwer und fast unhörbar hervor.

      „Ja, ich bin bei dir.“ Tränen liefen über Harolds Gesicht. Jetzt konnte er seinen Gefühlen noch freien Lauf lassen, später musste er sich zusammennehmen – seinen Kindern zuliebe.

      „Du hast ihnen nichts gesagt?“ Fey schien die Bestätigung zu brauchen, sie geradezu begierig zu erwarten.

      „Nein.“ Harold schluckte und schüttelte den Kopf. Sie war so entsetzlich krank und seine innere Stimme sagte ihm, dass es besser war, jetzt vernünftig zu sein und einzusehen, dass es zu Ende ging. Der Krebs hatte sie längst umgebracht, es war nur noch eine Frage von Wochen gewesen, bis er ihren ganzen Körper befallen hatte. Der seidene Faden, an dem Feys Leben noch hing, drohte jede Sekunde zu zerreißen.

      „Gut.“ Trotz der Schwäche, die sie in sich fühlte und trotz des immer stärker werdenden Gefühls, gleich Abschied nehmen zu müssen, brachte Fey ein Lächeln zustande. „Sehr gut. Ich danke dir, Harold…“ Sie musste abbrechen. Es ging nicht mehr.

      „Es war dein Wunsch und ich habe ihn erfüllt. Jon ist mit den Kindern zum See hinuntergegangen.“ Seine Hände hielten ihre kalten, zarten Finger in den seinen. Er konnte nichts fürs sie tun und diese entsetzliche Hilflosigkeit, diese Lähmung machte ihn wahnsinnig. Beinahe zornig wischte er sich mit dem Ärmel des Hemds das nasse Gesicht ab. Die unrasierten Bartstoppel zupften an dem Stoff.

      „Pass gut auf sie auf.“ Feys Kopf sank zur rechten Seite. „Sie brauchen dich jetzt mehr als irgendjemanden sonst auf der Welt.“

      „Natürlich. Ich kümmere mich um sie, du musst dir keine Sorgen machen.“

      Seine Tante Harriet würde aus San Francisco zu ihnen ziehen und ihm bei der Erziehung der Kinder beistehen, bis sie groß genug sein würden, sich um sich selbst um ihr Leben zu kümmern. Es war alles bereits seit einigen Wochen arrangiert. Es war Feys Idee gewesen; sie wollte, dass wieder eine Frau und dazu noch eine, die die Kinder bereits kannten, im Haushalt Einzug hielt, damit der weibliche Einfluss nicht völlig verloren ging. Tante Harriet wartete nur auf den Anruf ihres Neffen, dann würde sie in den nächsten Zug steigen. Sie war seit einigen Jahren Witwe und dazu noch kinderlos geblieben. Fey wusste, dass sie sich um ihre Kinder keine Sorgen zu machen brauchte, wenn Tante Harriet ihre überquellende Liebe und Fürsorge über ihnen ausschütten würde und das beruhigte sie immens.

      Von irgendwoher hörte Fey eine beruhigende, wohlbekannte Stimme, während ihre Sinne dahinschwanden. Ein helles Licht fing sie auf, als sie glaubte zu fallen. Es hielt seine warmen, weichen Strahlen um sie gelegt und geleitete sie einen unsichtbaren Pfad hinauf, immer höher und höher, als stiege sie der Sonne entgegen. Fey stockte ein letztes Mal, sie warf einen langen Blick zurück über ihre Schulter. Dort unten saß ihr Mann auf dem Rand ihres Bettes, die Hände ihres toten Leibs an seine Wange gepresst und weinte hemmungslos. Es war vorüber und zu ihrem Erstaunen empfand sie es weder als tragisch, noch als bedauerlich. Der Wunsch weiterzugehen wurde stärker und irgendwo, dort wo die Strahlen einen weiten, wunderschönen Torbogen bildeten, standen zwei Gestalten. Sie lächelten und streckten ihr die Hände entgegen und da wusste Fey, dass sie einfach nur nach Hause gegangen war.

      Während der Pastor die letzten Worte sprach, wurde der Sarg langsam von den vier Männern hinab in die Grube gelassen. Die Familiengrabstätte am Fuße des Hügels war dicht bevölkert mit Nachbarn und Bekannten, die Fey McCullough die letzte Ehre erweisen wollten.

      Während sich die Reihe der Trauergäste an Harold vorbeischob, um ihm ihr Beileid auszusprechen, starrten Byron und Stacy regungslos hinüber zu dem Loch, in dem der Sarg ihrer Mutter soeben verschwunden war. Tante Harriet und die Zwillinge waren im Haus zurückgeblieben, weil sie glaubte – und damit auch wohl recht hatte – dass die Mädchen noch viel zu klein waren, um sie begreifen, was es mit der Beerdigung ihrer Mutter auf sich hatte.

      Soeben kam Charlie Hickman an ihnen vorbei. Er strich ihnen beiden übers Haar, ehe er sich an Harold wandte. Charlie Hickman besaß die Pine Tree Ranch, deren Land im Norden an das der Coyote Canyon Ranch grenzte. Er und Harold waren bereits seit Jahren eng befreundet und regelmäßig verbrachte einer beim anderen die Abende oder sie zogen gemeinsam los, in die Kneipen und Saloons der Stadt.

      „Es tut mir so unendlich leid, Harold. Ich kann es gar nicht in Worte fassen.“

      „Danke, Charlie, danke.“ Die Stimme des Ranchers klang ruhig und sicher, als habe er in den vergangenen beiden Tagen zuerst seine Fassung verloren und dann stärker zurückgewonnen als je zuvor. „Mein einziger Trost ist, dass ich einen Sohn habe, der eines Tages mein Erbe antreten kann. Wenigstens das ist mir geblieben.“ Und mit diesen Worten legte er seinen Arm um Byron, der sich widerstandslos von seinem Vater näher heranziehen ließ.

      Für einen kurzen Augenblick vergaß Stacy an diesem Tag die bleierne Traurigkeit, die der plötzliche Tod seiner Mutter mit sich gebracht hatte und die Wut begann wieder einmal in ihm zu brodeln. Das war ungerecht! Wieso konnte nicht er der Erstgeborene sein? Warum ausgerechnet Byron? Er wollte die Ranch genauso gerne übernehmen, aber ihm würde sein Vater niemals die Chance dazu geben!

      Als hätte er die Gefühle des Jungen gespürt, legte Jon seine Hand auf Stacys Schulter. Der Junge blickte auf und schaute den Vormann ein wenig fragend und zweifelnd an. Er erinnerte sich an das Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte und das besänftigte ihn ein wenig. Er wollte sie nicht enttäuschen, erst recht nicht jetzt, da sie tot war. Er fand das Wort scheußlich und als er so darüber nachdachte, was es eigentlich bedeutete, wenn jemand starb, so hoffte er mit inständiger Grimmigkeit, dass Byron wenigstens derjenige sein würde, der als letzter von ihnen hier stehen würde, wenn er schon die Ranch bekam. Dann sollte er auch diesen Schmerz noch oft miterleben müssen, wenn jemand hier beerdigt wurde, den er geliebt hatte. Wenigstens das konnte ihm keiner nehmen – ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen: Wenn er einmal sterben würde, dann hätte er das Recht, zumindest auf der Ranch beerdigt zu werden, wenn er sie schon nicht übernehmen durfte. Das war vielleicht ein kleiner Trost, wenn er als weit gereister und gebildeter Professor oder was auch immer eines Tages nach Hause zurückkehren würde. Auch in einem Sarg, genau wie seine Mutter.

      Gegenwart

      Sie brachten mich im Gartenhaus unter, das eigentlich das Bunkhouse war, in dem früher die Cowboys gehaust hatten und das sie mittlerweile für Gäste nutzten. Es war rustikal eingerichtet und es roch nach altem, vor vielen Jahrzehnten gefälltem Holz, aber ich hatte sogar einen eigenen

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