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bei den Geistern gesucht. Sie hatten den Geistertanz vollführt, doch er kam nicht zurück. In der Nacht träumte sie von ihm, dass er sie suchte, doch noch nicht gefunden hatte.

      Verloren blickte sie auf die vielen Tipis der Cheyenne hinab. Die Cheyenne wurden von den Arapaho Hítesííno – jene, die Angst haben – genannt.

      Ein junger, gutaussehender Cheyenne kam zu ihr, während sie in ihren Gedanken versank, und reichte ihr seine Hand. Erschöpft und ohne zu wissen, was der Morgen ihr brachte, nahm sie die Hand.

      Wenig später saß sie mit glasigem Blick vorm Feuer, eingewickelt in eine Decke aus Büffelleder. Big Crow zauberte ihr eine wunderschöne Mahlzeit und sie redeten bis in den nächsten Tag hinein.

      Die Schüsse wurden lauter, schreiende Männer und Frauen, Ponys, die vor Schmerzen laut wieherten.

      Beautiful Eye öffnete die Augen und blickte ihren Mann an.

      Eine ziellose Kugel hatte den Weg durch den Nebel gefunden und sie am Herzen getroffen.

      »Pass gut auf dich auf, versprich es mir«, sagte sie mit leiser Stimme, denn der Schmerz raubte ihr den Atem.

      »Aber natürlich.« Big Crow küsste seine Frau auf die Stirn.

      »Kannst du den Mond sehen?«

      »Aber ja, und du wirst ihn auch noch viele Male sehen. « Er blickte auf ihren Körper hinab und entdeckte das Blut, welches durch die Kleidung drang.

      Big Crow nahm seine Frau in den Arm und Black Horse strich seiner Mutter sanft über die Stirn.

      »Kannst du den Mond sehen, wie er uns vom Himmel anlächelt?«, murmelte sie.

      »Aber ja doch«, sagte Big Crow.

      »Dann sei nicht traurig, denn wenn du ihn in Zukunft anschaust, wirst du mein Lächeln in ihm sehen.« Sie suchte den Blick ihres Sohnes.

      Dann schloss sie die Augen für immer.

      Die beiden Männer weinten nicht, denn tapfere Krieger vergossen keine Tränen.

      Die Schlacht dauerte noch bis in die späten Abendstunden.

      Der Wind pfiff über den gefrorenen Boden und trieb die Überlebenden in ein sicheres Versteck.

      Mit wässrigen Augen mussten sie mitansehen, wie die übrigen Cheyenne ihr Leben für ein Leben gelassen hatten.

      Das Massaker am Sand Creek würde für immer in ihren Herzen wie Feuer brennen, denn sie alle hatten heute mindestens einen geliebten Menschen verloren oder gar ein Stück von ihrer Seele.

      1

      Lübeck, 2012

      Ich hasste den Sportunterricht.

      Ich hasste alles, was in irgendeiner Weise mit Sport verbunden war.

      Der Sportlehrer meiner Klasse liebte Feuerball. Er stand mit verschränkten Armen und seiner Trillerpfeife am Spielfeldrand und pfiff, wenn einer von uns Schülern den Ball gefangen hatte. Danach durfte man vier Schritte gehen und musste jemanden abwerfen. Oft versuchte ich den Ball zu fangen und ließ ihn dann absichtlich aus der Hand rutschen oder drehte mich gekonnt weg, so dass ich schnell abgeworfen wurde. So konnte ich den Rest des Spiels auf der Bank sitzen und schaute meinen Klassenkameraden gemütlich beim Laufen zu. Was für ein blödes Spiel!

      Vor zwei Jahren hatten wir noch einen Referendar gehabt, bei dem wir eine Entschuldigung einreichen konnten, wenn wir Mädels unsere Periode hatten, doch bei Herrn Zimmermann hatten wir keine Chance. Selbst wenn uns ein Bein fehlen würde, müssten wir am Unterricht teilnehmen.

      Danach hatten wir Erdkunde. Noch so ein Fach, das mir überhaupt nicht zusagte. Ich konnte mir die ganzen Länder mit den Hauptstädten nicht merken. Wieso konnten wir nicht nur die Städte in Deutschland durchnehmen, da kannte ich mich zumindest aus.

      Frau Koch war eine strenge, doch liebenswerte Lehrerin. Sie erklärte alles doppelt und wenn man trotzdem noch eine Frage hatte, war sie immer bereit, diese nochmal ausführlich zu beantworten.

      Im Moment mussten wir die einzelnen Staaten mit den Hauptstädten in den USA lernen. Das war vielleicht ein Krampf. Zum Glück hatte ich zwei größere Brüder, die mir beim Lernen halfen.

      Heute war auch noch einer dieser Tage, an denen ich am liebsten im Bett geblieben wäre. Ich hatte keine Lust und konnte mich nicht aufraffen irgendetwas zu tun. Und dann kam Frau Koch noch mit einem Test in den Klassenraum hinein.

      »Ihr seid jetzt in der zehnten Klasse, da kann man wohl von euch erwarten, dass ihr euch auf den Unterricht vorbereitet.«

      Genervt wurden Bücher zugeschlagen und Hefte verstaut, so dass wir nur noch einen Füllfederhalter auf dem Tisch liegen hatten. Mein Magen zog sich zusammen, als ich das Blatt umgedreht auf dem Tisch liegen hatte.

      »So, jetzt dürft ihr umdrehen. Ihr habt eine halbe Stunde Zeit.« Sie blickte auf die Uhr über der Tafel. Danach drehte sie ihre Runden. Das tat sie immer bei Klassenarbeiten, denn nur so erwischte sie alle Schummler.

      Nach der Schule verpasste ich den Bus, was meine Laune natürlich noch weiter verschlechterte.

      Obwohl es Ende Mai war, blies mir der Wind kalt ins Gesicht und ich setzte mich in die Haltestelle. Der Bus würde ja wohl anhalten, auch wenn niemand zu sehen war.

      Aber so weit kam es gar nicht, denn andere Kinder kamen und stellten sich sichtbar an den Bürgersteig.

      Als sich ein weißer Linienbus mit Marzipanherzen näherte, drängelten sich die Fünftklässler vor, damit sie ja einen Sitzplatz bekamen.

      Im Bus war es laut und stickig. Einige lasen in ihren Schulbüchern, während andere Papierkugeln durch den Bus warfen. Als mich einer am Hinterkopf traf, drehte ich mich wütend um.

      Doch den Übeltäter konnte ich nicht ausmachen.

      Als ich zur Wohnungstür hereinkam, hörte ich meine Brüder aus der Küche streiten. Sie waren älter als ich, stritten sich aber fast täglich. Da die Wohnung nur vier Zimmer hatte, mussten sich Kevin und Lukas widerwillig eines teilen. Meistens ging es um die Frage, wer denn in der Nacht auf der Couch im Wohnzimmer schlafen musste.

      Unsere Eltern wollten das Wohnzimmer behalten und konnten das Schlafzimmer nicht aufgeben. Ich dagegen hatte mein eigenes kleines Reich. Gleich rechts neben der Haustür waren meine vier Wände. Ein Raum weiter befand sich das Bad, welches sogar eine Badewanne besaß, und nebenan die Küche.

      »Da bist du ja, Jordan«, sagte meine Mutter aus der Küche. »Musstest du nachsitzen oder warum kommst du so spät?«

      »Ich habe den Bus verpasst.«

      »Okay, setz dich. Ich habe versucht das Essen warm zu halten.« Sie drehte sich zum Herd. Es gab Spaghetti mit Tomatensoße. Ein einfaches Gericht, welches bei mir immer gut ankam.

      »Weswegen streitet ihr schon wieder?«, fragte ich, nachdem ich es mir bequem gemacht hatte.

      Die kleine Küche hatte mein Vater vor Kurzem in Mintgrün gestrichen, dazu hatte meine Mutter sich Kaffeebohnen als Wandtattoo gekauft. Es war zwar nicht mein Geschmack, doch nett anzusehen.

      »Kevin hat eine neue Freundin. Sie kommt heute Abend zu Besuch«, sagte meine Mutter genervt.

      Sie war meine Adoptivmutter. Angela und Thomas Vogel hatten sich nach zwei Söhnen sehnlichst eine Tochter gewünscht. Doch nach jahrelangen weiteren gescheiterten Versuchen hatten sie mich mit zehn Jahren aus einem Kinderheim geholt. Bevor ich zu den Vogels kam, war ich in vielen Pflegefamilien gewesen. Ich weiß nicht einmal, ob ich meine leibliche Mutter überhaupt schon einmal kennengelernt oder bewusst gesehen hatte.

      Nur wenige Leute fragten, ob wir überhaupt verwandt seien, obwohl ich schwarze Haare und einen dunklen Teint hatte, meine Familie hingegen blonde Haare und weiße Haut.

      »Kannst du nicht im Wohnzimmer schlafen, Jordan?«, fragte Lukas und stieß mit dem

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