Скачать книгу

Ich bin klein und ich bin schwarz,

       ich komme aus den Slums und spreche einen Akzent,

       meine Nase ist krumm und ein Auge ist aus Glas,

       aber – ICH BIN EIN STAR.

      Dieses Zitat habe ich nie vergessen und für mein Leben umgeschrieben:

       Als Mann bin zu klein und dazu noch blond,

       meine Augen sind fast blind

       und zur Arbeit muss ich laufen,

       ich kann nicht singen und kein Instrument spielen,

       meine Sensibilität steht mir oft im Weg

       und meine feminine Ader stößt viele ab,

       aber – SO BIN ICH.

      Widmung

      Nach den Sommerferien im Jahr 1977 kam ich in die 10. Klasse (Abschlussklasse). Ich besuchte damals die Martin-Bartels-Schule in Dortmund (Sonderschule für Sehbehinderte). Das Schuljahr begann unter anderem mit einem neuen Sportlehrer. An den Namen kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Aber ich sehe ihn noch genau vor mir: ein schlanker großer Mann mit einem Oberlippen-Kinnbart und kurz geschnittenen Haaren. Er kam aus der damaligen DDR und sein Sportunterricht hatte – aus unserer damaligen Sicht – fast schon militärischen Drill. Also: alle in einer Reihe aufstellen, jeder Zweite einen Schritt nach vorne, und wenn er sagte einen Schritt, dann meinte er auch einen, nicht eineinhalb Schritt. Mit anderen Worten: es war ein Lehrer, der geradezu prädestiniert dafür war, wie man heute sagen würde, verarscht zu werden. Keine gute Zeit …

      Bei der Abschlussfeier vor den Sommerferien im Jahr 1978 nahm er mich an die Seite, wünschte mir wie den anderen auch alles Gute und einen erfolgreichen Weg. Aber er sagte noch etwas anderes zu mir: „Axel, irgendwann muss du dich einmal hinsetzen und ein Buch über dein Leben schreiben, um anderen Menschen Mut zu machen“. Ich habe bis heute nicht den Hauch einer Ahnung davon, wie der Mann darauf gekommen war und was ihn dazu veranlasst hatte, so etwas zu sagen. Aber ich habe es nicht vergessen und möchte mit diesem kleinen Werk seiner Bitte nachkommen und mein Versprechen einlösen.

      Die Welt, in der wir heute leben, ist gezeichnet von gesellschaftlichen, inneren und äußeren Zwängen. Eine Frau kann nicht mehr Frau sein, ein Mann nicht mehr Mann und ein Kind nicht mehr Kind.

      Heute muss eine Frau mindestens gut und weiblich aussehen, einen verantwortungsvollen Beruf haben, eine organisatorische Bombe im Haushalt, eine hervorragende Köchin, eine liebevolle Mutter, eine verständnisvolle Ehefrau, eine Hure im Bett, Chauffeurin für die Kinder, dazu eine pädagogisch gute Nachhilfelehrerin sein, mindestens dreimal in der Woche zum Sport gehen, Mitglied im städtischen Club der Business-Power-Frauen sein und selbstver-ständlich den Förderverein der Kinder unterstützen.

      Ein Mann sollte auf jeden Fall ein Top-Manager sein, handwerklich begabt, im Haushalt helfen und an den Wochenenden die Kinder beim Sport begleiten, selber aktiv Sport treiben, ausdauernd und standhaft im Bett sein, mindestens dreimal im Jahr mit der Familie in den Urlaub fahren können, gut kochen ist genauso selbstverständlich wie gut Autofahren, seine Mitgliedschaft im Lions-Club ist obligatorisch, seine Fachartikel schreibt er natürlich nebenbei, und den Einkauf für die Familie erledigt er zwischendurch auf dem Weg von der Arbeit nach Hause.

      Das Kind von heute muss mindestens vor der ersten Klasse die Grundrechenarten können, ein Gedicht in englischer Sprache in Wort und Schrift vortragen und neben der Teilnahme in einem Sportverein natürlich zwei Instrumente spielen können. Dass das Kind beim Essen sauber gekleidet ist und alle Tischmanieren beherrscht, setzen wir einmal voraus.

      Das Ganze natürlich immer mit einem Lächeln und mit Leichtigkeit.

      Bei all den „selbstverständlichen“ Anforderungen, die an uns gestellt werden, stehen wir latent unter einem enormen Leistungs- und Beobachtungsdruck. Wenn wir dann von zehn Dingen neun perfekt meistern, bleibt zumindest ein Punkt übrig, von dem wir denken (meinen): das könnte aber besser sein – damit bin und kann ich nicht zufrieden sein.

      Wir befinden uns demnach in einem permanenten Zustand der Unzufriedenheit.

      Dieses Buch ist all denjenigen gewidmet, die sich ununterbrochen unter Beobachtung stellen und an sich selber ständig ihre Fehler, Makel, Schwächen, Handikaps suchen und natürlich auch finden. Im Vergleich zu anderen sehen wir immer schlechter aus, weil es immer irgendetwas gibt, was andere besser können.

      Doch all das zählt letztlich nicht. Was wir heute tun und meinen, dass es besonders wichtig ist, daran kann sich morgen kaum noch jemand erinnern. Wir sind nicht auf dieser Welt, um uns vor anderen oder vor uns selbst zu beweisen, sondern um unseren Weg zu finden und unsere Erfahrungen zu machen. Denn …

      es ist, wie es ist –

      ich bin, wie ich bin.

      Vorwort

      Manchmal ist es nur ein unbewusstes Wort, das man hört, ein Satz, den man gesagt bekommt oder ein Spruch, den man im Vorbeigehen liest, was dazu führt, dass sich das Leben eines Menschen verändert.

      Natürlich, in dem Moment nimmt man es bewusst nicht wahr. Aber: es kommt irgendwann genau die richtige Situation und man erinnert sich wieder daran; man erkennt die Bedeutung und man sieht die Welt auf einmal mit ganz anderen Augen.

      So war es auch bei mir.

      Bei einer Klassenfahrt, als ich 18 Jahre alt war, hatte mir der Abt in einem Kloster Mut zusprechen wollen und ich hatte es nicht verstanden, als er sagte: „… denn irgendetwas hat jeder“. Aber als ich etwa zehn Jahre später in eine bestimmte Situation kam und ich mich an seine Worte erinnerte, änderte sich mein Leben.

      Von diesem Moment sah ich mich und die Welt mit anderen Augen, weil ich mich nicht mehr auf meine Schwächen, sondern auf meine Stärken konzentrierte.

      Ich weiß nicht seinen Namen und schon gar nicht mehr, ob er überhaupt noch lebt. Aber ich bin ihm zutiefst dankbar.

      Kapitel 1

       Es begann eigentlich ganz normal

      Als ich im Sommer 1960 in einer kleinen Wohnung eines Mehrfamilienhauses im Dortmunder Kreuzviertel geboren wurde, wäre damals niemand – auch nur ansatzweise – auf die Idee gekommen, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmen könnte.

      Nach der Geburt wurde ich gewogen, und mit knapp 4.700 Gramm Lebendgewicht waren alle Beteiligten einstimmig der Meinung, dass der Junge recht „propper“ sei. Dass ich in den ersten fünf Lebenstagen nicht geschrien habe, fanden vor allem meine Eltern sehr angenehm. Mein Tagesablauf, so weiß es die familiäre Überlieferung zu berichten, bestand aus Nahrungsaufnahme, Schlafen und Vor-mich-hin-Lächeln. Dies war zu der Zeit geradezu vorbildlich.

      Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es hier wohl zu einer Unterversorgung des Gehirns gekommen sein muss. Ob das nun so stimmt oder nicht, weiß ich nicht – was letztlich auch unerheblich ist. Zumindest hatten vor allem meine Eltern später eine plausible Erklärung für meine hochgradige Sehbehinderung.

      Meine Zeit als Kleinkind verlief demnach vollkommen unauffällig. Bis zu meinem vierten Lebensjahr lebten wir weiterhin in Dortmund und zogen 1964 nach Hemer ins beschauliche Sauerland, was sich durch eine berufliche Veränderung meines Vaters begründete. Ich kam in einen katholischen Kindergarten und, wenn ich in der ersten Etage unserer neuen Wohnung am Fenster stand, konnte ich relativ präzise meiner Mutter sagen, wenn mein Vater von der Arbeit kam. Ich wusste zwar nicht, wer

Скачать книгу