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Feenprinzip würde sie den Frauen keine Geschichte schenken, sondern ein selbstgebasteltes Lesezeichen, das sie nach der Anleitung aus dem doofen Hexenbuch mit nur wenigen Handgriffen falten wollte. Das würde sie zusammen mit einer Bestellkarte für ihr Märchenbuch, das sie aus den fertigen und unfertigen Geschichten im Laufe des Jahres zusammenschreiben wollte, an alle vierundzwanzig Frauen schicken.

      Wenn nämlich, so der Plan, nur die Hälfte der vierundzwanzig Frauen das Buch kaufen, lesen und liken würden, so würde die Frau nach dem Schneeballprinzip zu bescheidenem Reichtum gelangen, ihre systemrelevante Stelle kündigen und noch mehr unnütze Bücher schreiben können. Und so schrieb sie und schrieb sie und wenn sie nicht schrieb, lebte sie glücklich, zufrieden und wunderlich bis ans Ende ihrer Tage.

      Diese Geschichte hat sich so natürlich nicht wirklich zugetragen. Allerdings hat mich ein Adventskalenderprojekt 2020 zu diesem Vorwort inspiriert. Alles andere ist sowieso erstunken und erlogen oder haarscharf an der Wahrheit vorbei.

      Da meine Beiträge im Metta Kinau Verlag, die die Grundlage des Projektes bildeten, in der Reihe Märchen und wundersame Wesen erschienen, sind auch alle anderen Geschichten wunderlich und merkwürdig geworden.

      Ich indes bin weder Hexe noch Nixe, kenne keinen Anton, keinen Leopold und keinen Leschil, schüttele nur äußerst selten am Fenster mein Federbett und habe noch nie in meinem Leben einen Butt geangelt oder verspeist.

      Ich danke den Gebrüdern Grimm, Wilhelm Busch und allen verschrobenen Gestalten in meinem Leben, die mich zu all dem inspirierten. All den anderen danke ich natürlich auch.

      Gisela Walitzek, 2021

      Leschil

      Das Fatale an der Sache war, dass ich anfangs gar nicht merkte, wie ich unaufhaltsam hineinschlitterte. Sie begann nämlich so harmlos, dass ich bis heute nicht weiß, ab wann ich hätte Verdacht schöpfen müssen.

      Mit der fremden Stimme fing es an, doch natürlich dachte ich mir nichts dabei. Ab und an ist sie beim Telefonieren einfach da in der Leitung und spricht irgendwas zu irgendwem. Eine Fehlschaltung der Telefongesellschaft oder eine Überlastung im Netz, die jeder kennt und die niemanden interessiert, weil sie sich erledigt hat, sobald man den Hörer auflegt.

      In meiner Leitung war es ein Wispern. Es war zu der Zeit, als ich jeden Abend mit Simon telefonierte. Simon war Sachbearbeiter bei einer Versicherung und abgesehen davon, dass ihm ein halber Eckzahn fehlte, sah er blendend aus. Sara und die anderen platzten vor Neid.

      Zuerst dachte ich mir nichts dabei, doch immer und nur dann, wenn ich mit Simon telefonierte – zuerst nur selten, hin und wieder und zum Schluss immer öfter – wisperte es. Simon hörte das Wispern nicht. Es wisperte anscheinend nur bei mir. Doch das manchmal so laut, dass ich nichts mehr verstand. Weder von dem, was Simon mir sagte, noch von dem, was die Stimme wisperte.

      Irgendwann wurde es mir zu bunt. Total entnervt rief ich die Störungsstelle an. Sie versprachen, der Sache auf den Grund zu gehen. Besonders zuversichtlich klang das nicht.

      Ich hatte mich geirrt. Der Hörer war noch warm, als es an der Haustür klingelte. Es war der Entstörer von der Telefongesellschaft.

      „Das ging aber schnell“, staunte ich.

      „Ich hatte in der Gegend zu tun“, wisperte er.

      Das leuchtete mir ein. Ich dankte Gott für diese Fügung des Schicksals. Er war groß, schlank und doch muskulös und seine Zähne waren – soweit ich das beurteilen konnte – makellos in Ordnung. Während er sich über das Telefon beugte, erzählte er mir, dass er Schach spielte, Beethoven liebte und Schneekugeln sammelte. Genau das Gleiche tat ich auch.

      „Sie sollten unbedingt etwas gegen Ihre Heiserkeit tun“, sagte ich beim Abschied zu ihm und spürte doch selbst schon einen dicken Kloß im Haus.

      Er lächelte wehmütig und schloss leise die Tür. Im Treppenhaus bewegte er sich so leichtfüßig, dass ich keine Schritte vernahm.

      Zwei Tage später wisperte es schon wieder. Gleich am nächsten Morgen rief ich überglücklich die Störungsstelle an. Sie wollten ihr Möglichstes tun und sie hielten Wort. Es klingelte, als ich gerade aufgelegt hatte.

      Er verbrachte seinen Urlaub im Gebirge und war nicht verheiratet. Genau wie ich. Simon erwähnte ich natürlich nicht.

      Diesmal dauerte es drei Tage, bis es wieder wisperte. Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet.

      Der Entstörer klingelte beim letzten Knacken in der Leitung. Er aß leidenschaftlich gerne Knoblauch zu Fisch. Wie das passte. Mit Simon hatte es deswegen öfter Probleme gegeben.

      Ich konnte es nicht fassen. Vor allem, als es tagelang nicht mehr wisperte. Es war zum Verrücktwerden. Ich hatte Simon den Laufpass gegeben und dabei erst zu spät bedacht, dass mein neues Glück an seiner Leitung hing.

      Am fünften Tag hielt ich es nicht mehr aus. Ich wählte die Nummer der Störungsstelle und begann zu erklären, dass es schon wieder wisperte. Ich hatte die Lüge noch nicht zu Ende gesprochen, als es klingelte. Mit einem Strauß roter Rosen stand der Entstörer vor der Tür. Er war gekommen, um um meine Hand anzuhalten.

      „Ich liebe Sie“, wisperte er. Sein Hals war noch immer nicht besser geworden. Doch das trübte unser Glück natürlich nicht.

      Wenn dies überhaupt jemand zu tun vermochte, so waren es Sara und die anderen. Sie starrten abwechselnd auf ihn und mich und wünschten mir kopfschüttelnd alles Gute. Was hatte ich auch anderes erwartet? Es war der Neid. Der blanke Neid. Erst Simon und dann er. So viel Glück konnte man selbst der besten Freundin nicht gönnen. Wir feierten unsere Hochzeit im engsten Kreis.

      Vertrauensvoll hatte ich Leschil – er erklärte mir seinen ungewöhnlichen Namen mit einer Laune seiner Mutter – die Vorbereitungen überlassen. Der Brautführer war sein bester Freund. Er war mir nicht geheuer. Ich fröstelte, als er mich durch den Saal geleitete.

      Wir waren gerade bis zur Mitte vorgedrungen, als ich Leschil hinter mir wispern hörte. Ich hatte ihm mindestens drei Hals-Nasen-Ohren-Ärzte empfohlen, doch seine Stimme wurde einfach nicht besser.

      „Bevor du meine Frau wirst, musst du mir noch eins geloben“, wisperte er.

      Ich traute meinen Ohren nicht. Hätte er sich das nicht früher überlegen können?

      „Öffne niemals die Dose mit dem grünen Fisch.“

      Entweder ich hatte mich verhört oder Leschil hatte heimlich getrunken. Auf jeden Fall aber war es ihm ernst. Er stupste mich ungeduldig.

      „Ich soll niemals die Dose mit dem grünen Fisch öffnen?“, fragte ich vorsichtshalber nach. Leschils Gewisper war manchmal kaum zu verstehen.

      „Genau“, mischte sich jetzt wispernd auch noch der Brautführer ein. Anscheinend hatte er Leschil beim Trinken Gesellschaft geleistet.

      „Versprichst du es?“, forderte Leschil flehentlich.

      Der Mann hatte Humor. Es war hier weder Zeit noch Ort für langatmige Diskussionen. Wie mir zu meinem Entsetzen jetzt erst bewusst wurde, traten der Brautführer und ich schon seit geraumer Zeit auf der Stelle. Leschil klebte uns wie eine Schmeißfliege im Nacken. Auf die Hochzeitsgesellschaft – so klein sie auch war – mussten wir wirken wie die Marx-Brothers in Concert. Der Standesbeamte räusperte sich nervös.

      Ich hatte die Wahl, schreiend hinauszurennen oder einzuwilligen und weiterzugehen. Ich entschied mich für Letzteres. So knapp vor dem Ziel meiner Träume hätte ich ganz anderes versprochen. Ich gelobte es hoch und heilig.

      Mein „Ja“ zischte noch durch den Gang, als ich schon neben Leschil vor dem Standesbeamten stand. Ich konnte mich nicht erinnern, das letzte Stück gegangen zu sein.

      Unsere Ehe wurde glücklich. An das merkwürdige Versprechen und die denkwürdigen Umstände, unter denen Leschil es mir abverlangt hatte, dachte ich erstmal nicht. Leschil war der liebevolle Ehemann und heißblütige Liebhaber, von dem ich immer geträumt hatte.

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