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war nichts zu gering. Er war nachsichtsvoll gegen Gottes Geschöpfe. Jeder, auch der beste Mensch besitzt eine unbewußte Härte, die er nur den Thieren gegenüber zum Ausbruch kommen läßt. Der Bischof von Digne hatte diese Art Härte nicht, die sich doch viele Priester gestatten. Er ging in dieser Hinsicht nicht so weit, wie die Brahmanen, hatte aber den Ausspruch des Prediger Salomo beherzigt, der da lautet: »Weiß man, was nach dem Tode aus den Seelen der Thiere wird?« Das häßliche Aussehen mancher dieser Geschöpfe, ihre Grausamkeit und Wildheit machte ihn nicht irre und verdrossen ihn nicht. Er betrachtete sie mit Bedauern, ja mit Wehmuth. Dergleichen Erscheinungen regten ihn zu tiefem Nachdenken an, er wäre gern über diese sinnfälligen Aeußerlichkeiten hinaus zu ihrer Endursache, ihrer Erklärung oder moralischen Rechtfertigung vorgedrungen. Es war, als bete er zuweilen, Gott möge doch dergleichen Geschöpfe ändern, verbessern. Er prüfte ohne Zorn und mit der mühseligen Sorgfalt eines Sprachforschers, der einen Palimpsest entziffert, den Ueberrest von Unordnung und Verwirrung, der noch in der Natur vorhanden ist. Dergleichen Betrachtungen entlockten ihm oft sonderbare Aeußerungen. Eines Morgens z.B., als er in seinem Garten allein zu sein glaubte, aber von seiner Schwester beobachtet wurde, blieb er plötzlich stehen und beobachtete eine große, schwarze, haarige, abscheuliche Spinne, die an der Erde kroch. »Armes Thier!« hörte ihn da seine Schwester vor sich hinrufen; »es ist ja doch nicht ihre Schuld.«

      Warum auch nicht solcher kindlichen Äußerungen einer fast göttlichen Güte Erwähnung thun? Nenne man dergleichen kindlich; aber solche Kindlichkeiten verbrach auch ein Franz von Assisi und ein Mark-Aurel. Eines Tages verrenkte er sich den Fuß, weil er nicht auf eine Ameise, die auf seinem Wege kroch, treten wollte.

      So lebte dieser gerechte Mensch. Bisweilen geschah es, daß er in seinem Garten einschlief, und dann mußte Jeder bekennen, daß er noch nie einen so unvergleichlich ehrwürdigen Anblick gehabt hatte.

      Unser Bischof war ehedem, wenn man den Erzählungen über seine Jugend und sogar sein Mannesalter Glauben schenken durfte, von leidenschaftlicher, ja heftiger Gemüthsart gewesen. Seine Milde war also weniger ein Geschenk der Natur als das Ergebniß zahlreicher Wahrnehmungen und Urtheile, die im Laufe der Zeit, wie Wassertropfen durch einen Felsen, sich Wege in sein Inneres gebahnt. Solche, durch allmähliche Arbeit langsam ausgehöhlte Rinnen bleiben bestehen.

      Im Jahre 1815 war er, wie wir schon mitgetheilt zu haben glauben, fünfundsiebzig Jahre alt, allein man hätte ihn auf sechzig geschätzt. Er war nicht groß und etwas beleibt. Um letzteres Uebel zu bekämpfen ging er viel zu Fuß, auch trat er fest auf und seine Gestalt war nur wenig gebeugt durch die Jahre. Hieraus mögen wir allerdings keine Schlüsse ziehen, denn Gregor XVI. hatte noch im Alter von achtzig Jahren eine sehr gerade Haltung und Freude am Dasein, dies hinderte ihn aber nicht ein schlechter Priester zu sein. Se. Gnaden Herr Bienvenu war eine angenehme Erscheinung, angenehm besonders wegen der Liebenswürdigkeit, die sich in ihr ausprägte.

      Plauderte er mit jener ihm so wohl anstehenden kindlichen Fröhlichkeit, die wir schon an ihm gerühmt haben, so schien sein ganzes Wesen Freude auszustrahlen. Mit seiner gesunden frischen Gesichtsfarbe, seinen hübschen, noch gut erhaltenen Zähnen, sah er dann recht treuherzig, bieder, gemüthlich aus, so daß Jeder, der ihn zuerst sah, einfach sagte: »Das muß ein guter Kerl, eine gute alte Seele sein.« Auch Napoleon hatte ihn ja »einen guten Mann« genannt. Verweilte man aber mehrere Stunden in seiner Nähe und war man dabei, wenn er nachdenklich wurde, so ging mit dem »guten Mann« eine Umwandlung vor; seine äußere Erscheinung wurde ehrfurchtgebietend und majestätisch, ohne daß der Ausdruck der Güte von ihm gewichen wäre: man hatte dann die Empfindung, als sehe man einen lächelnden Engel seine Flügel ausbreiten. Ein unbeschreibliches Gefühl der Hochachtung erfüllte dann allmählich das Herz des Beobachters. Man wurde dann inne, daß man einem Manne von gewaltigem Verstande gegenüber stand, einem Manne, der die höchsten Stufen der Erkenntnis erklommen hat, einem Manne, der da weiß, daß die Wahrheit nur der Liebe und Nachsicht zugänglich ist.

      Wie man gesehen hat, füllten Gebet, seine Amtspflichten, Almosengeben, die Tröstung der Leidbedrückten, die Gärtnerei, Liebeswerke, Frugalität, Gastfreundschaft, Entsagung, Studium, Arbeit jeden seiner Tage aus. Füllten aus, sagten wir, denn übervoll war solch ein Tag an guten Gedanken, Worten und Werken. Indessen galt er ihm noch nicht für vollständig ausgenutzt, wenn ihn des Abends, nachdem die beiden Frauen sich zur Ruhe begeben hatten, feuchte oder kalte Witterung hinderte, noch eine oder zwei Stunden in seinem Garten zuzubringen. Es war ihm ein Bedürfniß sich Angesichts des Sternenhimmels der Betrachtung hinzugeben, um sich zum Schlaf vorzubereiten. Bisweilen hörten die beiden Frauen, wenn sie wach geblieben waren, noch spät in der Nacht seinen Schritt in den Alleen des Gartens. Allein mit seinen Gedanken, andächtig, friedevoll empfand er da in der Dunkelheit die sichtbare Herrlichkeit der Gestirne und die unsichtbaren Herrlichkeiten Gottes und ließ die Gedanken, die dem Unbekannten entströmen, in seine Seele ein. In solchen Augenblicken, wo die Nachtblumen ihren Kelch aufthun, ihren Duft auszuhauchen, bot auch er sein Herz dar, wie eine Lampe inmitten der Sternennacht und ergab sich der Begeisterung. Er hätte dann selbst nicht sagen können, was in seinem Geiste vorging, er fühlte blos, daß etwas von ihm ausging, und daß etwas in ihn herniederstieg. O des geheimnißreichen Verkehrs zwischen den Tiefen der Seele und des Weltalls! Sein Geist beschäftigte sich mit Gottes Größe und Gegenwart, mit dem wunderbaren Geheimniß der zukünftigen Ewigkeit und dem noch wunderbarern der Vergangenheit; mit all den Unendlichkeiten, die sich nach allen Richtungen seinen Augen darboten, und schaute, ohne das Unbegreifliche begreifen zu wollen. Er suchte nicht das Wesen Gottes mit dem Verstande zu erfassen, er versenkte sich in Entzückung um seiner theilhaftig zu werden. Er erwog die Zusammenstöße der Atome, die dem Stoff die Form verleihen, Kräfte offenbaren, Individuen in der Einheit, Proportionen im Raum, das Unzählbare im Unendlichen schaffen und mittelst des Lichtes die Schönheit hervorbringen. Diese Vereinigungen finden ohne Unterlaß statt und lösen sich wieder auf; daher der Ursprung des Lebens und des Todes.

      Er setzte sich auf eine Holzbank, deren Lehne ein altersschwaches Gitter berührte und betrachtete die Gestirne durch die Laubkronen seiner armseligen Obstbäumchen. Dieses so dürftig bepflanzte, durch unschöne Gebäude und Schuppen eingeengte Stückchen Erde war ihm theuer und genügte ihm.

      Was bedurfte dieser Greis auch mehr? War dieser enge Raum, den oben der Himmel überwölbte, nicht groß genug um Gott in seinen erhabensten Werken anbeten zu können? Ist dies nicht das Wichtigste, und wozu noch mehr begehren? Ein Gärtchen zum Spazierengehn und die Unendlichkeit als Spielraum für seine Gedanken! Vor den Füßen etwas zu pflegen und zu pflücken, über dem Haupte Stoff zu Studien und Betrachtungen; auf der Erde einige Blumen und am Himmel alle Sterne!

      XIV. Seine Philosophie

      Noch ein Wort.

      Vielleicht verleiten einige der von uns angeführten Einzelheiten Manchen zu dem Schlusse, der Bischof von Digne sei ein Pantheist gewesen und habe sich, wie viele andre unsrer Zeitgenossen, eine Privatphilosophie für seinen eignen Gebrauch zurecht gemacht, die bei ihm die Stelle der Religion vertreten hätte. Solchen Vermuthungen gegenüber betonen wir, daß Niemand, der Herrn Bienvenu gekannt hat, eine solche Annahme für gerechtfertigt gehalten hätte. Dieser Mann regelte sein Denken nur nach den Eingebungen seines Herzens.

      Kein System, nur Werke. Dem menschlichen Verstand, der sich mit tiefsinnigen Spekulationen über die Natur der Dinge befaßt, schwindelt leicht, und nichts deutet darauf hin, daß unser Bischof sich gern in apokalyptischen Räthseln ergangen habe. Ein Apostel darf kühn sein, einem Bischof geziemt Zurückhaltung. Er hätte wahrscheinlich Bedenken getragen, die, so zu sagen nur den übermenschlich veranlagten Geistern vorbehaltne Lösung gewisser Aufgaben zu unternehmen. Wohl stehen die Thore offen, aber den gewöhnlichen Wanderer durchschauert bei ihrem Anblick ein Schrecken, der ihn zurücktreibt. Wehe dem, der sich hineinwagt! Nur das Genie erhebt sich mittels der Abstraktion und des reinen Denkens über die Höhen des Dogmas und fragt Gott mit dem Gebet. Dies ist unvermittelte Religion; wer ihre steilen Höhen zu erklimmen wagt, der übernimmt schwere Verantwortlichkeit und qualvolle Sorgen.

      Die innere Betrachtung achtet keiner Schranken. Sie unterfängt sich in ihre eignen Tiefen zu dringen und sendet das Licht, das sie dort findet, in die Natur hinauf. Die geheimnisvolle Welt, die uns umgiebt, erstattet,

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