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Vater Seppel den Kopf. – »Bist du so verwöhnt und heikel? Das taugt nichts, Bengele. Ein Feinschmecker darfst du mir nicht werden. Wer weiß, wie es dir noch gehen kann im Leben!«

      »Du hast schon recht, Vater; aber ich esse nie Obst mit Schalen, sonst bekomme ich Leibweh.«

      Seppel zog sein Taschenmesser heraus und schälte dem Kleinen die drei Birnen. Die Schalen legte er hübsch zusammen auf den Tisch.

      Bengele hatte von der ersten Birne nur noch den Butzen in der Hand und wollte ihn wegwerfen. Seppel hielt ihm den Arm und sagte:

      »Langsam, mein Lieber; das legen wir zu den Schalen.«

      »Aber den Butzen esse ich niemals«, sagte das Hampelchen und tat dabei sehr entrüstet.

      »Wer weiß? – Versprich nicht zu viel!« mahnte der kluge Vater.

      Die Butzen kamen zu den Schalen auf den Tisch. Bengele hatte mit Heißhunger die drei Birnen verzehrt, machte ein verdrießliches Gesicht, gähnte weit und sprach:

      »Ich habe noch mehr Hunger.«

      »Aber, liebes Kind, es ist nichts mehr da.«

      »Gar nichts mehr?«

      »Nur noch diese Schalen und Butzen.«

      »Dann will ich einmal eine Schale versuchen.«

      Er aß sie, verzog anfangs ein wenig den Mund; aber dann ging's auch an die andern, und schließlich schmeckten ihm sogar die Butzen mit den Kernen. Als der Tisch ganz leer war, streckte sich der Hampelmann, fuhr mit der Hand über sein Bäuchlein und meinte:

      »So! – jetzt bin ich wieder hergestellt.«

      »Na!« bemerkte Vater Seppel, »hatte ich nicht recht? Mit dem ›Niemals‹ muß man vorsichtig sein. Man weiß nie, wie es kommt in der Welt. – Bengele, du wirst noch manches erleben.«

      Achtes Stück.

       Bengele erhält neue Füße. – Das ABC-Buch.

      Nach dem Frühstück wäre der Hampelmann am liebsten ein wenig herumgesprungen. – Es ging nicht, weil er keine Füße hatte. Traurig und unzufrieden saß er eine Zeitlang auf dem Stuhle und fing dann an bitterlich zu weinen.

      Den ganzen Vormittag kümmerte sich Vater Seppel gar nicht um das Gejammer; denn Bengele sollte für seinen Ungehorsam auch die Strafe spüren.

      Schließlich sagte der Meister:

      »Wozu soll ich dir neue Füße machen! Allenfalls rennst du mir wieder davon.«

      »Nein, nein«, schluchzte Bengele, »von heute an werde ich ganz brav sein; ich verspreche es ...«

      »Ja, ja«, antwortete Vater Seppel, »so sagen die Kinder alle.«

      »Sicher, im Ernste! ich verspreche es dir, Vater; ich gehe in die Schule und mache dir Freude.«

      »Immer die gleiche Geschichte, wenn die bösen Buben etwas haben wollen.«

      »Aber ich bin keiner von denen, ich bin bräver als alle und lüge nie. Ich verspreche es dir noch einmal: Ich will etwas Rechtes werden, dir Freude machen und dir helfen, wenn du einmal alt bist.«

      Vater Seppel machte immer noch ein saueres Gesicht. In den Augen aber standen ihm die Tränen und sein Herz war voll Mitleid mit dem verkrüppelten Hampelmann.

      Ohne ein weiteres Wort zu sagen, nahm er sein Werkzeug, wählte zwei Stücke Holz und begann zu schnitzen. Nach einer Stunde waren die beiden Füße fertig. Kein Künstler hätte sie trefflicher formen können.

      »Mache die Augen zu und schlafe ein wenig!« befahl der Vater Seppel.

      Bengele stellte sich schlafend. Indes leimte der Meister so zierlich die neuen Füße an die Beine, daß man den Unterschied kaum bemerken konnte.

      Als der Hampelmann wieder Füße hatte, war er grenzenlos glücklich. Er hüpfte im Zimmer herum, schlug ein Dutzend Purzelbäume, klatschte mit seinen Holzhänden und sprach:

      »Vater, wie bist du so gut gegen mich! – Jetzt will ich auch gleich zur Schule gehen.«

      »Recht so, mein Sohn!«

      »Aber ich sollte ein Kleid haben.«

      Vater Seppel war schrecklich arm. Den letzten Pfennig hatte er ausgegeben; aber er wußte sich zu helfen. Das Hampelchen erhielt ein Gewand von geblümtem Papier, Schuhe von Baumrinde und eine Kappe von weichem Brot.

      Bengele goß Wasser in eine Schüssel und spiegelte sich darin. Er schaute an sich herunter, neigte sich nach links und rechts und meinte:

      »Wie ein feiner Herr sehe ich jetzt aus!«

      »Sei nicht eitel!« mahnte der Vater. »Wir sind arme Leute und können keine teuern Stoffe kaufen. Auch ein einfaches Kleid ist schön, wenn es rein ist. Das merke dir wohl und achte auf dein Gewand!«

      Bengele hörte nie gern gute Lehren an. Er lenkte das Gespräch auf etwas anderes und sagte:

      »Wenn ich zur Schule gehen soll, fehlt mir immer noch die Hauptsache.« –

      »Nämlich?« –

      »Das ABC-Buch!«

      »Wahrhaftig! – Aber wie eines bekommen?«

      »Man kauft es beim Buchhändler.«

      »Wer bezahlt es?«

      »Ich habe kein Geld!«

      »Ich auch nicht«, sagte traurig der alte Vater.

      Bengele war sonst immer lustig und froh; aber jetzt ward er ernst und unglücklich. – Auch ein Kind begreift und fühlt es, wie bitter die wahre Armut ist.

      »Bleibe ein paar Minuten allein!« unterbrach Vater Seppel das düstere Schweigen. Er zog seinen groben Kittel an und ging zum Hause hinaus.

      Bald kehrte der alte Mann zurück und brachte ein ABC-Buch für seinen Kleinen mit. Den Kittel hatte er nicht mehr an. – Der Arme ging hemdärmelig, und schon fing es an zu schneien. Als er ins Zimmer trat, fragte Bengele:

      »Dein Kittel, Vater?«

      »Ich habe ihn verkauft.«

      »Warum hast du ihn nicht behalten?«

      »Er machte mir zu warm. – Hier hast du dein ABC-Buch.«

      Der hölzerne Hampelmann fühlte in diesem Augenblick die große, unergründliche Liebe, die aus dem Vaterherzen sprach.

      »Vater, lieber Vater!« konnte er nur sagen, hing sich dem guten Alten an den Hals, küßte ihn und schmiegte sich zärtlich an seine Wangen.

      Neuntes Stück.

       Bengele verkauft das ABC-Buch und geht ins Kasperletheater.

      Am andern Morgen nahm Bengele das ABC-Buch unter den Arm und machte sich auf den Weg zur Schule. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, er baute prächtige Luftschlösser und redete vor sich hin:

      »Jetzt gehe ich in die Schule und bis heute abend kann ich schon lesen; morgen lerne ich schreiben, übermorgen rechnen! Geschickt wie ich bin, verdiene ich bald viel Geld, und zu allererst kaufe ich meinem Vater einen schönen Kittel. – Von feinem Tuch muß er sein! – Was, Tuch? – Nein, von Gold und Silber und die Knöpfe Edelsteine! Der arme Mann verdient's! Hemdärmelig muß er einhergehen, damit ich mit meinem Buch zur Schule gehen kann. – Und diese Kälte! Wie gut ist mein Vater, wie sehr liebt er mich! Nie will ich es vergessen und fleißig lernen.«

      Das Hampelchen war so in seinen guten Gedanken versunken, daß es eine Weile stehen blieb.

      Da klingt aus der Ferne fröhliche Musik an sein Ohr. Deutlich waren die hellen Flöten zu unterscheiden: di-dideldi, di-dideldi – und der

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