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Heimatland zu leben.

      In Deutschland muss Antonio Tardea völlig neu anfangen. Er arbeitet fortan als Maler und Lackierer und baut sich so eine neue, kleine Existenz auf. Eine Arbeit, die ihn nicht befriedigt, aber angesichts der Arbeitslosigkeit in großen Teilen Nachkriegseuropas und der Sprachbarriere, er spricht anfangs kaum Deutsch, schon ein gewisses Privileg darstellt. Sein Arbeitgeber Horst Kramer ist deutlich jünger als Tardea, trotzdem verstehen sich die beiden sehr gut.

      Als die jüngere Schwester Antonio Tardeas, Amanda, ihren Bruder in der neuen Heimat besucht, lernt sie Horst Kramer kennen und nur kurze Zeit später auch lieben. Die beiden heiraten und schon bald stellt sich Nachwuchs ein. Tochter Antonella wird geboren, zwei Jahre später folgt das zweite Mädchen, das glückliche Paar nennt es Clarissa.

      Einige Jahre später verstirbt Antonio Tardea, Amanda und Horst Kramer leben mit ihren Töchtern weiterhin in Köln.

      Sie bauen den Kontakt zu der italienischen Verwandtschaft, den Antonio Tardea notgedrungen abbrechen musste, wieder auf und reisen anfangs noch regelmäßig mit ihren Kindern in den Süden zu Amandas Familie. Die Tardeas sind nach wie vor ein mächtiger Familienclan, ein Cousin von Antonio hat zudem Alberta Scirelli, die Tochter des Bankdirektors Gianni Scirelli, geheiratet.

      Beide Familienclans zusammen haben eine immense wirtschaftliche Macht, vor allem im Norden Italiens. Hier herrschen zwar durchaus kapitalistische Produktions- und Arbeitsorganisationen vor, feudalistische Eigentums-strukturen sind jedoch keine Seltenheit. Die Familien verfügen über einen Großteil des Grundbesitzes in der Region zwischen der Ostküste der Adria und dem Alpenhauptkamm. Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg sind sie maßgeblich beteiligt am modernen Wiederaufbau von Kleinstädten und Handelszentren. Mit der 'ndrangheta', der norditalienischen Mafia, die mit Geldwäsche, Rauschgift- und Waffenhandel sowie Erpressung und Prostitution Reichtümer verdient, haben sie direkt nichts zu tun, Teile des Ehrenkodex mafiöser Strukturen indes beherzigen sie durchaus.

      Der Stolz des Clans lässt Schwäche und Versagen nicht zu, Familienmitglieder die nicht 'funktionieren', werden verstoßen.

      Von alledem bekommen Horst und Amanda Kramer, geborene Tardea, während ihrer regelmäßigen Urlaube an der Adria kaum etwas mit.

      Horst Kramer ist im Familienkreis eher ein Außenseiter, als Maler und Lackierer genießt er nicht das Ansehen, dass dem Ruf der Familien Tardea und Scirelli gerecht wird.

      So bleiben die Kontakte der Familie Kramer zur italienischen Verwandtschaft eher oberflächlich, über die Jahre reißen sie beinahe ganz ab. Die Besuche werden weniger, abgesehen von obligatorischen Geburtstags- oder Weihnachtsgrüßen hört man kaum mehr voneinander.

      Erst als die Töchter der Kramers beinahe erwachsen sind, intensivieren die Tardeas den Kontakt zu Hans und Amanda wieder, auch, weil die Töchter der beiden mittlerweile im heiratsfähigen Alter sind und dementsprechend Familienzuwachs zu erwarten ist. Trotz der räumlichen Trennung und des über lange Jahre kaum gepflegten Kontaktes ist der Clan der Familien Tardea und Scirelli an den potenziellen bambini interessiert – schließlich fließt Tardea-Blut in den Adern von Antonella und Clarissa Kramer.

      02

      Als es am 1. März 1941 zum ersten großen Luftangriff auf Köln kommt, ist dies der Beginn für schwerste Zerstörungen, die die Stadt vollkommen verwüsten. Die amerikanischen Truppen, die Köln knapp vier Jahre später betreten, finden eine Ruinenstadt vor, die völlig entvölkert scheint. Der Krieg hat 20.000 Kölner Bürgern den Tod gebracht, die Altstadt ist zu 90 % zerstört, der Neustadt ist es mit rund 80 % an Kriegsschäden nicht weniger schlecht ergangen. Nach dem Ende des Krieges kehren die Menschen langsam in die Stadt zurück, Ende 1945 ist die Bevölkerung trotz der schwierigen Umstände bereits wieder auf 400.000 Menschen angewachsen. Beim anstehenden Wiederaufbau soll sich das Gesicht der Stadt massiv ändern (03).

      Die Zeit des Wiederaufbaus ist geprägt von Hunger und der Knappheit von Gütern aller Art. Man ist bemüht, Ordnung wiederherzustellen, Wirtschaft und Infrastruktur aufzubauen. Eine Zeit der Entbehrungen, aber auch der Chancen.

      Nach dem Krieg krempeln die Kölner die Ärmel hoch und ordnen die traurigen Überreste ihrer Stadt. Rund um den Dom, der wie durch ein Wunder relativ unversehrt geblieben ist, sind praktisch alle Häuser zerstört. Die Straßen sind verschüttet und teilweise unpassierbar, alle Rheinbrücken sind eingestürzt. Die städtische Infrastruktur, von der Straßenbahn über das Telefon- und Stromnetz bis hin zur Kanalisation, ist größtenteils unbenutzbar geworden.

      Am 1. August 1947 wird der Wiederaufbauplan der Öffentlichkeit vorgelegt. Für diese Phase hat sich die Stadt im Wesentlichen drei Ziele gesteckt: Erstens sollen die alten Strukturen wieder aufgenommen und durch einige Verkehrserweiterungsmaßnahmen ergänzt werden. Zweitens soll, wo dies möglich und sinnvoll ist, die historische Bausubstanz gerettet oder aber zumindest rekonstruiert werden.

      Und zu guter Letzt soll die Stadt auf lange Sicht „autogerecht“ angelegt werden. Stadtbaumeister Rudolf Schwarz hat die Idee, rund um die Kirchen erneut Wohnviertel hochzuziehen, sodass die Gotteshäuser als Kerne kleiner Stadtteile mit eigenem Charakter erhalten bleiben. Im Übrigen werden die historischen Gebäude der Altstadt möglichst originalgetreu wiederaufgebaut (04).

      So sieht das Köln aus, in das Paul Schmitz, reisender Kaufmann aus dem Stadtteil Ehrenfeld, nach Kriegsende zurückkehrt. Im Kampf hat er ein Bein verloren. Nach seiner Genesung bietet die Stadt Köln ihm einen Arbeitsplatz bei der Ausländerbehörde an. Nicht unbedingt das, was er sich für sein Leben vorgestellt hat, aber infolge seiner Behinderung bleibt ihm kaum eine andere Wahl, er nimmt das Angebot an. Paul Schmitz ist verheiratet, Familienzuwachs ist geplant. Ein sicherer Beamtenjob kann da nicht schaden.

      Pauls zwei Jahre älterer Bruder Werner kämpft nicht für sein Vaterland. Er teilt am Truppensammelplatz dem Truppenführer kurz vor dem geplanten Abmarsch zum Kriegsschauplatz mit, dass er „nach Hause“ gehe. Das Risiko, infolge seiner Weigerung erschossen zu werden, nimmt er in Kauf. Derart aussichtslos erscheint Werner Schmitz der Einsatz an der Front, zu dem er auserkoren ist.

      Werner Schmitz hat Glück: sein Truppenführer lässt Gnade walten und den Abtrünnigen von dannen ziehen.

      Im Sommer 1944 erkrankt Werner Schmitz an der Schwindsucht, besser bekannt als Tuberkulose. Als er im November des Jahres aus dem Sanatorium, damals Lungenheilstätte genannt, zurückkehrt, wundert er sich über den großen Menschenauflauf am Ehrenfelder Bahnhof.

      Spätestens ab 1942 kann man Köln als das Zentrum der Edelweiß-Gruppen, wie sich die Widerstandskämpfer formell nannten, bezeichnen. In den Gestapo-Akten tauchen mehr als 3000 Namen Kölner Edelweißpiraten auf. Es handelt sich um informelle Gruppen deutscher Jugendlicher mit unangepasstem, teilweise oppositionellem Verhalten im Deutschen Reich von 1939 bis 1945.

      Am Bahndamm in Ehrenfeld, direkt an der Unterführung Venloer Straße, werden bereits am 25.10.1944 elf vom NS-Regime zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppte Bürger Polens und der UdSSR ohne Gerichtsurteil öffentlich durch Gestapo und SS gehenkt.

      Am 10.11.1944 ereilt dreizehn Deutsche, unter ihnen jugendliche Edelweißpiraten aus Ehrenfeld sowie andere Kämpfer gegen Krieg und Terror, das gleiche Schicksal (05).

      Heute erinnern eine Bronzetafel und ein Wandgemälde an die Hinrichtungen. Die parallel zum Bahndamm verlaufende Hüttenstraße heißt in diesem Abschnitt zum Gedenken an einen der Edelweißpiraten heute Bartholomäus-Schink-Straße (06).

      Das grausame Prozedere in seinem „Veedel“, dem Stadtteil Kölns, in dem er geboren und aufgewachsen ist, trifft Werner Schmitz, überzeugter und bekennender Pazifist, bis ins Mark. Eine solche Gräueltat hätte er in seiner Heimatstadt, in der doch das Motto „Levve un levve losse“ (Leben und leben lassen) allgegenwärtig ist, nicht für möglich gehalten.

      Wochenlang ist er befangen, apathisch, unfähig, wieder am Leben teilzunehmen und sich um seine Zukunft zu kümmern.

      Nachdem Adolf Hitler am 30.April 1945 im Berliner Führerbunker Selbstmord begangen hat, ist der Krieg im Mai

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