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daran lag, dass Vigor schon seit mehr als einer Stunde um seine Freiheit kämpfte. Jedes Mal wenn Vigor den Fuß nach oben riss, schien der Schlamm den Fuß mit ungeheurer Kraft wieder nach unten zu zerren. Langsam, ganz langsam bewegte Vigor sich aufwärts.

      »Es geht. Es geht«, keuchte er vor Anstrengung.

      »Verdammt, ich kann nicht mehr«, japste Volker, ohne das sein Zug nachließ.

      »Noch ein Stück.« Vigor versuchte ihn wieder anzuspornen. »Du schaffst es. Nicht nachlassen!«

      »Und weiter!« Volker zog als hinge sein eigenes Leben davon ab. Es schien eine Ewigkeit zu dauern und die Kräfte der Jungen schwanden schnell.

      Vigors Oberschenkel waren frei, aber er konnte die Beine immer noch nicht aus dem elenden, beigefarbenen Morast heben. Als ob die oberste Schlammschicht harter Stein wäre. Doch es war der Sog der Hohlräume, die Vigor beim Weg nach oben hinterließ, welche ihn mit solcher Gewalt festhielten. Die zähe Masse füllte die Kammern nur sehr langsam nach.

      »Obsidan.« Volker rief seinen Hengst zu sich. Vigor runzelte die Stirn. Den Rappen nach dem schwarzen Gestein zu benennen wäre treffend, aber das Zeug hieß Obsidian. Vielleicht war es aber auch ein Eigenname, Vigor wusste es nicht; war aber im Augenblick auch egal.

      »Kopf runter«, sprach Volker zum Hengst. »Kopf runter.«

      Währenddessen drückte er den Kopf des Pferdes nach unten. Der Hengst gehorchte und Volker konnte seinen rechten Arm um Obsidans Hals legen. Mit der linken Hand hatte er immer noch Vigor fest im Griff. Vigor konnte den Schweiß zwischen ihren Händen spüren. Die nassen Hände waren wohl der Grund, dass Volker ständig fester zupackte.

      »Schritt zurück«, sagte er zu dem Pferd. »Zurück, Zurück.«

      Der Rappe machte einen Schritt rückwärts.

      »Ah, langsam!«, schrie Vigor. »Du brichst mir die Füße.«

      Volker ließ Vigor los und der Druck ebbte ab. Der kleinere Junge atmete auf und beugte sich vor um seine Füße zu massieren. Dabei stieß er mit seinen Händen in den weichen Schlamm und zog sie schnell wieder nach oben. Der Schmerz in seinen Knöcheln musste warten.

      Volker sah kurz ratlos drein. »Mist.«

      »Du kannst mich nicht quer herausziehen, sonst brichst du mir Füße und Schienbeine«, erklärte Vigor. »Ich muss hoch, nicht vor.«

      Volker nickte, dann sammelte er Äste auf und warf sie vor Vigor auf den Morast. Insbesondere die langen, legte er quer vor Vigor. Dazwischen trat er auf die Äste, um zu sehen ob sie im Morast verschwanden.

      Es dauerte eine ganze Weile, bevor Volker zufrieden war. Er hatte insgesamt etwa ein ganzes Lagerfeuer voll Holz vor Vigor versenkt, in eigentlich tellertiefem Wasser. Dann tastete sich Volker vorsichtig über den Schlamm. Er ging in die Knie und packte Vigor im Bärengriff. Auf Vigors Rücken fasste Volker seine eigenen Ellenbogen. Schließlich ging der große Junge in die Hocke, die Arme glitten nach unten um Vigors Hüfte. Volker hatte ihn so eng, dass Vigor flach in der Brust atmen musste, den Volkers Kinn bohrte sich in Vigors Bauch.

      »Auf Drei streckst du die Zehen weg«, wies Volker an und Vigor nickte. Die beiden Jungen zählten gemeinsam.

      »Eins, Zwei...und Drei!«

      Mit einer Art Brunftschrei streckte Volker die Beine durch und stemmte seinen eigenen Oberkörper so aufrecht wie möglich nach oben. Dabei riss er Vigor mit einem lauten „Blob“ aus dem Morast. Volker setzte ihn neben sich ab. Der Schlamm verschlang gerade die obersten Äste ihrer Unterlage und kroch langsam zu ihren Füßen. Vigor beugte sich hinunter und zog einen Holzring an dessen schmiedeeisernen Griff aus dem Schlamm. Der Junge zerrte den Holz -eimer heraus, während der Schlamm seine Zehen eroberte.

      »Ja, rette den kostbaren Eimer«, lachte Volker. »Während dir das matschige Zeug die Füße hoch kriecht.«

      Vigor streckte ihm scherzhaft die Zunge raus. Beide eilten zur Sicherheit des trockenen Ufers und ließen sich dort ins Gras fallen. Der schwere Eimer rollte scheppernd neben die nächste Buche.

      Vigor und Volker atmeten schweigend nebeneinander durch. Zu sagen gab es nichts. Es war einfach irgendwie so wie es sein sollte. Der süße Geschmack des Sieges: die Aufgabe war bewältigt, sie außer Gefahr und der Morast bezwungen. Vigor sah sich um. Die Bäume des Waldes überschatteten den schmalen Rasenstreifen zu weiten Teilen. Es waren dicke Buchen und Eichen, hier und da stand auch etwas anderes dazwischen, wie Ahorn, Linde und Ulme oder eine Hasel. Am Wasser tummelten sich Erlen und ein paar Weiden. Die Sonne schien warm an diesem milden Nachmittag im Auroramond, dem vierten Monat des Jahres. Nur vereinzelte weiße Schönwetterwolken zogen gemächlich mit der Brise über den blauen Himmel. In diesem Teil des Forstes schienen nur wenige Insekten geschäftig zu sein. Es herrschte eine angenehme Stille, mit dem entfernten Plätschern von Wasser und dem Rauschen der Baumkronen im Hintergrund. So nah am See war die Luft angenehm frisch und kühl.

      Vigor fühlte Volkers Blick und sah zu ihm hinüber. Der große Junge lag ausgestreckt auf dem Rücken, als würde ihm das Ufer gehören. Streng genommen, tat es das auch, irgendwie.

      »Lustig«, meinte Volker, »machen wir gleich nochmal.«

      »Ja«, stimmte Vigor zu, »aber diesmal gehst du rein und ich zieh dich raus.«

      »Das will ich sehen«, lachte Volker. »Das schaffst du gar nicht mit den dünnen Ärmchen.«

      »Klasse statt Masse«, konterte Vigor.

      »Ah, und wie wäre es mit einem Ringkampf?«

      »Sag mal, kriegst du eigentlich nie genug?«

      »Ich? Nein, warum auch?«

      »Weil wir uns erst aus dem Schlammloch gekämpft haben?«

      »Ach so, das war heute«, erwiderte Volker, als hätte er das schon vergessen. »Wo wir gerade dabei sind, was machst du eigentlich hier?«

      »Ich soll Wasser für das Waisenhaus holen«, erklärte Vigor. »Befehl vom Obersten Aufseher.«

      »Bitte?« Volker sah ihn ungläubig an. »Das ist doch bescheuert. Es sind mindestens zwölf Kilometer bis ins Dorf.«

      Dass es eine hirnrissige Idee war, stand auch für Vigor außer Frage. Doch schienen für ihn Idiotie und Oberster Aufseher irgendwie zusammen zu gehören.

      »Zuerst sollte ich zehn Eimer vom Strom holen«, berichtete er. »Das passte dem Aufseher aber dann nicht mehr und er sagte, ich solle einen Eimer vom See im Norden holen. Er hat mir diesen Tümpel hier beschrieben.«

      »Er mag dich nicht«, stellte Volker fest. »Um nicht von hassen zu reden.«

      »Irgendwie hatte ich das Gefühl mittlerweile auch.«

      »Vergiss dein Gefühl«, entgegnete Volker. »Wenn dich jemand an den See ohne Boden zum Wasserholen schickt. Dann dafür, dass du nicht wieder kommst.«

      »Danke, sehr beruhigend«, brummte Vigor. »Warum ohne Boden?«

      »Dreimal darfst du raten.«

      »Schlamm oder Magie. Ich nehme an Ersteres.«

      »Richtig«, antworte Volker. »Und du hattest Glück, das war eine der seichteren Stellen.«

      »Wirklich? Das erklärt alles«, erwiderte Vigor. »Ich hatte versucht, eine feste Stelle zum Wasser zu finden und dachte ich hätte mich vertan.«

      »Nein, Hut ab. Das ist so ziemlich die beste Stelle.«

      »Die anderen gingen mir dann bis zum Hals?«

      »Ja, wenn du auf meinem Pferd sitzt.«

      Vigor machte große Augen. Volker schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass er dir nur einen Eimer gab.«

      »Klar, damit er nicht zwei verliert.« Vigor seufzte. »So ein Blödmann.«

      »Hattest du Schuhe an?« Volker deutete auf Vigors nackte Füße.

      »Nein,

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