Скачать книгу

an ihren Lippen hing, während seine Finger sich auf der Theke langsam in die Nähe ihres Handrückens schoben – natürlich völlig unbeabsichtigt. Auf seinen Wangen zeichneten sich die für ihn so typischen Grübchen ab, als er über etwas schmunzelte, dass sie kurz zuvor gesagt zu haben schien. Ich musste unwillkürlich lächeln, denn so grotesk es auch klingen mochte, ich war immer froh, wenn er die Leere, die es in seinem Inneren von Zeit zu Zeit gab, statt mit Alkohol doch lieber mit Gefühlen auffüllte.

      Selbst wenn es dabei nur um eine Nacht ging.

      Das war nicht immer so gewesen. Als man Alex und mir kurz nach unserem Kennenlernen konsequent eine romantische Beziehung unterstellte, waren mir diese »kleinen Flirts«, wie er sie nannte, weil ihm die Vokabel besser erschien als »durch-die-Gegend-bumsen«, von Zeit zu Zeit ziemlich auf die Nerven gegangen. Nicht etwa, weil ich es Alex nicht gönnte, sondern viel mehr, weil mir alle in meinem Umfeld einreden wollten, dass ich ein Problem damit hätte. Ich konnte noch jetzt die beruhigenden Hände auf meinen Schultern spüren, die mich unnötigerweise hatten trösten wollen, wenn er von einer Party oder nach einem Gig plötzlich und grußlos verschwunden war. Unsere Beziehung zueinander war anders. Irgendwie hatte es irgendwann zwischen uns geklickt. Sein Penis und meine Vagina hatten zu dieser Verbundenheit jedoch nicht beigetragen.

      Ihn am Tresen mit einer Frau zu sehen, die sein ehrliches Interesse weckte, löste in mir keinerlei negative Gedanken aus. Vielmehr drückte ich innerlich die Daumen, dass er endlich seine hanebüchenen Schutzmauern einreißen würde, die mit einer Mischung aus Arroganz und Charme, aus dem unsicheren Dude, einen zuweilen sehr blöden Aufreißer machten.

      Seit vor gut vier Jahren seine letzte ernsthafte Beziehung live vor meinen Augen zerbrochen war, jagte bei meinem besten Freund in Sachen Liebe, ein Trauerspiel das nächste.

      Nach einem letzten Blick auf die Szene bahnte ich mir einen Weg zurück zum Tresen, an dem Sophie mich bereits erwartete. Auch ihr war Alex’ neuste Eroberung nicht verborgen geblieben. »Ich wette einen Zehner, dass sie rummachen, bevor mein nächstes Getränk fertig ist«, lachte sie und gab ihre Bestellung auf. Ihre Chance tatsächlich zu gewinnen, stand ziemlich gut, denn die beiden Wettkandidaten waren bereits ein ganzes Stück näher aneinandergerückt.

      

      Vier Jahre zuvor

       Die nächsten Tage im schwülen Berliner Hochsommer vergingen mehr oder weniger schleppend. Die Koffer, das restliche Gerümpel sowie der charmante Besitzer waren mittlerweile Gott sei Dank in der Wohnung gegenüber verschwunden. Als ich am Samstagnachmittag von der Arbeit nach Hause kam, schien es schon fast so, als hätte ich mir den neuen, alten Nachbarn nur eingebildet. Ich hetzte zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hoch – pünktlich Feierabend zu machen, gehörte nach wie vor nicht zu meinen Kernkompetenzen – um die verlorene Zeit aufzuholen. Meine frisch aus dem Urlaub zurückgekehrten Freunde warteten bereits im Park auf mich und das von mir versprochene Bier, das sich noch im Kühlschrank befand. Als ich das erste Stockwerk erfolgreich hinter mir ließ, hörte ich plötzlich laute Stimmen, von denen ich zumindest eine meinem Nachbarn zuordnen konnte. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Augenblicklich blieb ich wie angewurzelt stehen. Einerseits wollte ich wirklich nicht lauschen, sondern nur so schnell wie möglich wieder los, andererseits konnte ich mich nicht dazu überwinden, mitten in diesen Streit zu platzen, der natürlich – wo auch sonst – vor meiner Tür ausgetragen wurde. Also verweilte ich am Fuß des Aufgangs und wartete, während eine aufgebrachte Frauenstimme: »Du kannst mich mal! Du kannst mich so dermaßen mal kreuzweise!«, keifte. Sie bekam darauf keine weitere Antwort, was sie offenbar noch mehr in Rage versetzte. »Immer, wenn ich mein Zeug holen will, bist du nicht da, das kann doch nicht dein scheiß Ernst sein!« Stille. Dann hörte ich Alex, der mit kontrolliert ruhiger Stimme entgegnete: »Ich war arbeiten, das weißt du.« Sein emotionsloser Tonfall trieb seine Streitpartnerin weiter an und mir schoss durch den Kopf, dass er vielleicht einfach besser gar nichts gesagt hätte. »Ja, das weiß ich. Du bist ja nie da und du warst nie da. Immer war alles wichtiger als ich und jetzt hast du nicht mal den Anstand dir zehn Minuten Zeit zu nehmen, damit ich meine Sachen zurückbekomme. Nicht mal das. Fahr’ doch einfach zur Hölle.« Rums. Das saß. »Maja … ich … lass uns …«, setzte Alex deutlich zerknirschter an, aber seine Gesprächspartnerin schnitt ihm energisch das Wort ab. »Nein. Spar’ dir deine Worte. Ich will sie nicht mehr hören. Ich bin das alles so leid, Alex. Ich will nicht mehr vertröstet werden, nicht mehr glauben, dass du einen Platz in deinem Leben für mich findest. Ich kann nicht mehr warten, während du einem Traum hinterherläufst, der sich am Ende doch nur als Sackgasse entpuppt. Ich hab’ an dich geglaubt; ich hab’ wirklich mal an dich geglaubt.« Aufkommende Tränen schwangen in ihren Worten mit, als sie fortfuhr. »Aber langsam musst du aufwachen, bevor du daran kaputt gehst. Mich hast du schon verloren. Verlier’ dich nicht auch noch selbst.« Eine schier ewig dauernde Pause trat ein, ich traute mich kaum zu atmen und biss nervös auf meine Unterlippe. Vielleicht sollte ich in den Innenhof zurückgehen und warten, bis die beiden ihren emotionalen Kampf ausgefochten hatten? Leider blieb zur Umsetzung dieses Plans keine Zeit mehr, denn kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, näherten sich schnelle Schritte auf den knarzenden Altbaustufen. Die junge Frau mit den dunklen Zöpfen nahm mich gar nicht war, sondern rannte tränenblind an mir vorbei. Ich wartete darauf, dass sich die Tür der Nachbarwohnung schloss, doch nichts passierte. Als sich nach einer, wie ich fand, angemessenen Anstandszeit immer noch nichts tat, nahm ich all meinen Mut zusammen und trat den Weg nach oben an. Wider Erwarten stand Alex nicht völlig aufgelöst im Türrahmen oder saß zusammengesunken herum. Seine Tür stand sperrangelweit offen, doch von ihm fehlte jede Spur. Kritisch zog ich die Augenbrauen zusammen. Hatte er seine Ex kommentarlos stehen lassen und war einfach in seine Wohnung gegangen, ohne die Tür zu schließen? Vielleicht still darauf gehofft, sie würde ihm folgen? Ich wusste nicht, woran ich es festmachte, aber irgendwie war es genau das Verhalten, was ich von ihm erwartete.

       Und da war noch etwas, was ich nicht genau zu deuten vermochte: Der Umstand, dass es mir von jetzt auf gleich nicht mehr egal war, wie es ihm ging. Bisher war ich diesem Typen von gegenüber ganze zwei Mal begegnet, nicht gerade erfreuliche Treffen und trotzdem zog sich bei den Worten, die ich eben gehört hatte, in mir alles unangenehm zusammen. Bevor mein Verstand realisierte, was mein Herz gerade tat, klopfte ich zögerlich gegen das alte Holz des Türrahmens und wartete. Keine Reaktion. Okay. Das war ein Zeichen. Der perfekte Zeitpunkt, sich umzudrehen und meine Nase nicht weiter in seine Angelegenheiten zu stecken. Was gingen mich die Streitigkeiten von fremden Nachbarn an. All diese fantastischen, klugen Gedanken schossen durch meinen Kopf, als ich erneut klopfte. Diesmal bestimmter. »Was willst du noch? Du hast deinen Kram doch!«, kam es mit aggressivem Unterton von Drinnen. »Ich …«, meine Stimme bröckelte, als ich mir der Idiotie der Situation schlagartig bewusst wurde. Ja, was genau wollte ich hier eigentlich? »Ich … Ist alles okay bei dir?« Bevor ich mich versehen konnte, stand ein ziemlich mitgenommen aussehender Alex vor mir. Seine stechend blauen Augen funkelten mich eisig an. »Was geht’s dich denn an? Ich wohne nicht in Berlin, damit sich meine neugierigen Nachbarn in alles einmischen. Da hätte ich auch nach Brandenburg ziehen können.« Er schleuderte mir die Worte mit einer solchen Kälte in der Stimme entgegen, dass mir trotz der warmen Temperaturen eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief. Gleichzeitig wusste ich, dass er recht hatte. Völlig recht. Peinlich berührt von mir selbst, stotterte ich nur ein: »Okay«, und drehte mich um. Seine direkte Art war frontal auf meinen blinden Aktionismus geprallt. Autsch. Ich brauchte einen Moment, um mit zittrigen Fingern den Schlüssel in mein Türschloss zu bekommen. Je länger es dauerte, desto heftiger rasten meine Gedanken. Stand ich noch in seinem Blickfeld? Wieso hörte ich seine Tür nicht? Warum konnte ich mich nicht ein einziges Mal wie ein normaler Mensch benehmen? Reiß dich zusammen, flüsterte meine innere Stimme erbost. Gestern hat das doch auch wunderbar geklappt. Doch meine Finger gehorchten nicht. Statt dem Klacken des Türschlosses, hörte ich nun ein resignierendes Seufzen hinter mir. Er hatte sich also tatsächlich nicht in Luft aufgelöst. »Sorry … Du kannst ja nichts dafür.« Unbeeindruckt von seinem Geständnis, versuchte ich weiter, meine Tür aufzuschließen. Auf keinen Fall würde ich mich umdrehen, viel zu peinlich war mir meine eben dargebotene Fürsorge. Und da war noch etwas: die altbekannte

Скачать книгу