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Magische Momente - Phantastische Geschichten. Dorothea Möller
Читать онлайн.Название Magische Momente - Phantastische Geschichten
Год выпуска 0
isbn 9783754175897
Автор произведения Dorothea Möller
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Plötzlich tauchte ein weiteres, wesentlich größeres Tier in seiner Flugbahn auf und schubste den Falken mit seinen Flügeln beiseite. Dabei stieß er einen seltsam rauen Laut aus. Der junge Falke geriet ins Trudeln, drohte abzustürzen. Über den Baumwipfeln fing er sich aber wieder. Indes riss der fremde Vogel das dargebotene Stück Fleisch mit seinen großen Klauen aus der glücklicherweise behandschuhten Hand. Er jagte wie ein Raubvogel, doch seine Körperform war gänzlich anders. Theresa war von dem merkwürdig anmutenden Vogel überrumpelt worden. Ihre einzige Sorge galt dem Falken, während der »gefiederte Fleischdieb« sich längst wieder hinauf auf die Klippen geschwungen hatte. Der Falke landete auf ihrer Hand und zupfte am Handschuh. Rasch nahm sie ein weiteres Stück Fleisch, welches sie ihm als Belohnung anbot.
Der fremde Vogel war mittlerweile aus ihrer Sicht verschwunden. Rasch stülpte sie ihrem Falken den ledernen Kopfschutz über. Dann erst untersuchte sie ihn vorsichtig. Geduldig ließ er sie gewähren. Offenbar hatte er keine Verletzungen davongetragen und war glücklicherweise nur von den Schwingen des fremdartigen Greifen berührt worden.
Theresa beobachte noch eine Weile die Klippenformation, doch sie sah das fremdartige Tier kein weiteres Mal.
Daheim angekommen berichtete sie ihrem Vater von dem seltsamen Erlebnis. Als sie geendet hatte, sah der Vater sie einen Augenblick an.
»Auf einigen Höfen in der Umgebung sind Hühner verschwunden, sogar Gänse – ausgewachsene Tiere – das kann kein normaler Greifvogel sein. Es ist eine neue Lebensform, die sich entweder hierher verirrt hat, oder es ist ein mutierter Greifvogel. Eine andere Möglichkeit kann ich mir kaum vorstellen!«
»Ein mutierter Greifvogel?« Theresa schüttelte den Kopf. »Sein Gefieder war farbenprächtig – so etwas habe ich vorher nie gesehen. Das Tier schien im Kopfbereich einem kleinen Drachen zu ähneln – ja, das passt am ehesten zur Körperform, besser zum massiven Kopf«.
Der Vater sah sie erstaunt an. »In meinen Büchern steht, dass ein Phönix kein Fleisch frisst …! Wir sollten uns auf den Weg machen und den mysteriösen Vogel suchen, ehe er weiteres Unheil anrichtet, denn ich glaube, etwas stimmt nicht mit ihm! Vielleicht ist dieses Tier krank und bedarf unserer Hilfe. Der Phönix ist ein heiliges Tier, es wurde seit Anbeginn der Menschheit verehrt.«
Theresas Vater sah grimmig aus dem Fenster in den bewölkten Himmel. Die Sache gefiel ihm so gar nicht. Wenn ein Phönix erschien, war es immer ein gutes Zeichen, doch dieser ... Er wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.
Zur Mittagszeit gingen Vater und Tochter zur Lichtung. Den Falken hatten sie erneut mitgenommen und ließen ihn frei fliegen, damit der ominöse Vogel
vom Morgen erneut aufmerksam wurde. Sie suchten mit den Augen den Himmel, die Baumwipfel und Klippenränder ab. Doch es zeigte sich kein weiterer gefiederter Jäger. Mutlos gingen sie heim.
Am Waldrand, nahe dem Dorf, in dem sie lebten, war das andere Tier gesehen worden. Aufgeregt kam die Frau vom Fischer Wilm zu ihnen. »Wir haben den großen, bunt schillernden Vogel am Morgen gesehen, er ist im Wald, nördlich der Birkenlichtung! Die Männer meinen, wir sollten ihm den Garaus machen, damit er nicht noch die Fische aus dem See holt, nachdem er sich bereits Gänse und Hühner geschnappt hat!«
Ärger schwang in ihrer Stimme mit. »Beruhige dich, Anna. Du sagst zur Mittagszeit?«, fragte er sicherheitshalber nach.
»Theresa hat ebenfalls einen Vogel an den Felsen gesehen, als sie mit dem Falken unterwegs war. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass er an zwei Stellen gleichzeitig gewesen sein soll. Es gibt für mich nur eine Erklärung – es sind zwei Vögel der gleichen Gattung!«
»Das ist ja noch schlimmer«, jammerte Anna.
»Was willst du dagegen tun?«, fragte sie ungeduldig.
»Ich weiß es noch nicht, doch wir sollten die Tiere lebend fangen, es sind vermutlich harmlose Tiere, die man auch Benu nennt!«
Anna schüttelte sprachlos den Kopf. Sie wusste nicht, was ein Benu war, doch sie lief schnurstracks vor Aufregung mit den Armen gestikulierend zurück in ihr Haus, um die Neuigkeiten weiterzuerzählen.
»Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Die Leute sind missmutig und übellaunig, da ihnen die Haustiere und Nahrung genommen wurden. Wir werden Netze spannen und versuchen, beide Vögel lebend einzufangen!«, erklärte der Vater.
»Warum hast du Anna nicht gesagt, dass es Phönixe sind, sondern einen anderen Namen genannt?«
»Sie würden sofort alles stehen und liegen lassen, um Jagd auf die Wesen zu machen, damit sie ihre bunten Federn verkaufen können oder hoffen, dass sie ihnen Wünsche erfüllen!«
»Was werden wir mit den beiden machen?«
»Der Phönix besitzt viele magische Eigenschaften, und nur die Wenigsten wissen davon. Eine, so erzählt man sich, ist die, dass er sprechen kann wie ein Mensch. Wenn er ein Geheimnis hütet, wird er versuchen, es zu lüften, denn dafür kehrte er auf die Welt zurück, und wenn wir mutig sind und ein wenig Glück haben, können wir dabei helfen.«
Verstehend nickte Theresa. Am gleichen Abend machten sie sich daran, feinmaschige Netze über das Hühnergehege und die Obstbäume zu legen. Die ganze Nacht knoteten sie aus dünnem Garn weitere Netze. Kurz vor Anbruch des Tages fielen sie in einen leichten Schlaf.
Das Gaggern der Hühner und Schnattern einiger Gänse riss sie aus dem Schlaf. Der Tag dämmerte gerade erst herauf, ein schmaler, heller Streifen zeichnete sich am Horizont ab. Noch war alles still im Dorf. Jedoch irgendetwas oder irgendjemand hatte die Gänse alarmiert.
Theresa nahm die Schrotflinte, die ihr Vater für die Jagd benutzte mit hinaus. Am Hühnergehege blieb sie stehen und lauschte sicherheitshalber. Als sie um die Ecke ging, stand ein großer, prächtiger Vogel an der Türe zum Stall. Theresa war erschrocken und gleichzeitig fasziniert von der Schönheit und Ausstrahlung dieses seltenen Vogels. Er wirkte wie ein kostbares Juwel, schön und schützenswert.
Schnell fing sie sich und erinnerte sich an die Geschehnisse. Der Vogel hatte sie ruhig angesehen und blieb regungslos stehen, als hinge sein Handeln von ihren weiteren Reaktionen ab. So standen sie sich gegenüber, Auge in Auge, und der Vogel senkte den Kopf, ehe er mit seiner kehligen Stimme zu reden begann.
»Wie ich sehe, wisst Ihr, wer oder was ich bin! Doch ich war es nicht, der Euch das Fleisch aus der Hand riss – es war mein Zwilling – der, den es niemals hätte geben dürfen. Ich sah ihn, als ich am Waldrand nach ihm suchte. Doch geschehen ist geschehen, wir können es nicht rückgängig machen. Meine Mission war einfach, doch noch habe ich nicht versagt.«
»Wovon sprecht Ihr? Was müsst Ihr tun? Ich weiß, dass Euer Erscheinen mit einer Aufgabe verbunden ist.«
»Gebt mir bis zum Anbruch der Nacht Unterschlupf in Eurem Stall und geht mit dem Falken zur Klippe. Mein Bruder wird sich dort zeigen. Sprecht mit ihm, dass er Euch helfen muss! Die Klippenspitze wird in wenigen Tagen am Waldrand, wo Euer Dorf beginnt, wegrutschen und alles hinunterziehen. Das Gestein ist mit Lavaresten vermengt. Wenn er damit in Berührung kommt, geht er in Flammen auf. Sagt ihm, dass er es aufhalten soll, indem er am Waldrand die Klippe mit den Krallen aufreißt, versprecht ihm im Gegenzug dafür eine Fleischration, wie der Falke sie normalerweise erhält!«
»Aber wozu soll das gut sein – wir werden alles verlieren,