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Iska - Die Flucht. Jürgen Ruhr
Читать онлайн.Название Iska - Die Flucht
Год выпуска 0
isbn 9783754185339
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Iska dachte kurz nach, dann sah sie Sigmar bittend an: „Nimm mich mit. Ich kann mit dir Schritt halten. Außerdem kenne ich sichere Wege durch den Sumpf, oder zumindest bis zur Hälfte. Ich werde keine Last für dich sein.“
Sigmar blickte Iska ernst an. „Ich hätte dich auf jeden Fall mitgenommen, denn wenn du hierbleibst, ist das dein sicherer Tod. Aber wir müssen uns sputen, denn bis zum Anbruch des neuen Tages dauert es nicht mehr lange. Und wir müssen vorsichtig und leise sein, da hier überall die römischen Soldaten lauern. Ich weiß mich zwar zu wehren,“ dabei klopfte Sigmar auf sein Schwert, „aber gegen eine Überzahl an Soldaten komme ich auch nicht an!“
Auf leisen Sohlen durchquerten sie den Wald. Iska, die hier aufgewachsen war, staunte immer wieder über die guten Ortskenntnisse des Fremden. Einmal siegte ihre Neugier und sie wandte sich an Sigmar: „Du kennst dich gut aus, hier in unseren Wäldern. Erkläre mir, wieso!“
Sigmar schmunzelte. „Mein Volk schickt mich schon lange Jahre als Kundschafter in diesen Teil eures Landes. Ich erkunde hier die Verhältnisse, die Landschaften, wie eure Leute den Römern gegenüberstehen und wie die Römer sich verhalten. Ich bin natürlich nicht der Einzige, der so etwas tut. Jeder von uns hat ein bestimmtes Gebiet, über das er Wissen sammelt. Wir tragen alles zusammen und die Ältesten und unsere Kriegsfürsten schaffen daraus ein Gesamtbild.“
Iska erschrak. Der Gedanke jahrelang ausgespäht worden zu sein, machte ihr Angst. „Wollt ihr uns überfallen, wollt ihr Krieg führen?“
„Nein, Iska, die Zeit der Stammeskämpfe wie es früher einmal war, sollte vorbei sein. Arminius der Cherusker, Sohn von Sigimer hat uns schon vor vielen, vielen Jahren gezeigt, zu welchen Dingen wir fähig sein können, wenn wir uns nicht ständig selbst bekämpfen. Eines Tages werden wir alle gemeinsam die Römer aus unserem Land jagen!“
Iska machte große Augen. Obwohl sie sich auf der Flucht befanden und nur flüsternd miteinander sprachen, faszinierte sie dieses Thema. Das war Wissen, über das offensichtlich nicht einmal Thoralf verfügte. „Arminius? War er ein Krieger?“
Sigmar nickte: „Ein großer Krieger. Es ist bald so lange her, wie zwei Menschenleben lang sind, da schlug Arminius der Cherusker die Römer in einer großen, alles vernichtenden Schlacht; weit jenseits des Rhenus. Aber lass uns weitergehen, sonst erwischen uns die römischen Soldaten doch noch! Sollte sich später die Zeit finden, werde ich dir mehr von ihm erzählen.“
Schweigend stapften sie weiter durch das Gehölz und vermieden dabei möglichst, Geräusche zu machen. Hin und wieder drangen aus der Ferne Stimmen der Römer, die wohl die Wälder durchstreiften, zu ihnen. Aber nie bestand wirkliche Gefahr entdeckt zu werden. Als sie endlich das Sumpfgebiet erreichten, wandte sich Sigmar wieder an Iska: „Du kennst wirklich einen Weg hier hindurch? Wir können viel Zeit sparen und schneller vorankommen, wenn wir das Gebiet durchqueren, anstatt es zu umgehen.“
Iska nickte. „Ich war schon häufig hier. Aber ich kenne die Wege nur bis zu einem bestimmten Punkt, ich bin niemals ganz hindurch gegangen. Lass es uns versuchen.“
Sigmar nahm ihre Hand und sah sie sinnend an. „Ich befürchte, dass wir auch keine andere Wahl haben, wenn wir den Römern entkommen wollen.“
Eigentlich sah das vor ihnen liegende Sumpfgebiet kaum anders aus als der übrige Wald. Die Bäume standen dicht an dicht und manchmal fanden sich freie Flächen dazwischen, auf denen hohes Gras wuchs. Hier und dort verdeckten dichte Büsche die Sicht und an zahlreichen Stellen reckten sich Schilfpflanzen dem Himmel entgegen. Lediglich vor sich hin modernde Pfützen ließen auf den hohen Wassergehalt des Bodens schließen. Die Gefahr im Morast zu versinken wurde um so größer, desto unauffälliger und unscheinbarer der Boden vor ihnen lag. Aber hier kannte Iska sich noch aus. Wie oft schnitten sie hier Schilf oder sammelten vermodertes Holz. „Hier lang.“ Iska übernahm die Führung und hieß Sigmar direkt hinter ihr zu bleiben. „Hier ist es noch ungefährlich, man wird sich nur nasse Füße holen.“ Dabei warf sie bewundernde Blicke auf Sigmars festes Schuhwerk. Ihre Füße waren über und über mit Schmutz und Blut bedeckt. Der untere Saum der Beinkleider strotzte vor Dreck und kleine Risse und Löcher zeugten von ihrer Flucht vor den Soldaten. Als sie an einem klaren Bach vorbeikamen, stieg sie kurzerhand hinein und wusch ihre Füße sauber.
Sigmar beobachtete sie dabei. „In unserem Dorf werde ich dafür sorgen, dass auch du festes Schuhwerk bekommst.“
„Solches, wie du es trägst?“ Iska kicherte leise.
„Mal sehen. Aber komm, wir müssen weiter. Es ist keine Zeit für einen längeren Aufenthalt.“ Rasch tranken sie noch von dem klaren Wasser und setzten dann ihre Wanderung fort.
Allmählich wichen die Schatten der Nacht und wie auf ein geheimes Zeichen setzte der Gesang der Vögel ein. Der Wald rings um sie herum füllte sich mit Leben. Kleine Eichhörnchen huschten Bäume herunter und andere wieder hoch und Frösche begannen den Tag mit einem fröhlichen Konzert. Plötzlich merkte Iska wie hungrig sie war. Sie sah Sigmar an: „Hast du etwas zu essen?“
„Ein wenig. Schau hier, das ist alles was ich noch habe.“ Er kramte etwas Brot und getrocknetes Fleisch hervor. „Das muss uns momentan reichen!“ Sie teilten sich das karge Mahl.
Sigmar deutete auf einen Hasen, der in aller Ruhe über eine kleine Lichtung hoppelte. „Leider bleibt uns keine Zeit, etwas zu jagen. Sollten wir Glück haben, so können wir unterwegs Beeren und Wurzeln sammeln. Und kurz bevor wir den Grenzwall der Römer überqueren, kann ich in einem kleinen Dorf vielleicht etwas zu essen erstehen. Schau, Iska, ich habe hier einige römische Münzen.“
Interessiert schaute Iska sich die fremden runden Münzen an. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Was ist das?“
„Das sind römische Sesterzen. Hier siehst du den Kopf auf dieser Seite?“ Iska nahm das kleine Geldstück zwischen die Finger und drehte es hin und her. Als sie nickte, sprach Sigmar weiter: „Das stellt einen römischen Kaiser dar.“
Entfernt jaulten einige Hunde auf. Rasch nahm der junge Mann das Geldstück wieder an sich und steckte es ein. „Wir müssen weiter, Iska. Sie kommen mit den Hunden! Die Tiere werden schnell unsere Fährte aufnehmen.“ Eilig setzten beide ihren Weg fort.
„Bis hier bin ich schon gegangen, aber nicht weiter.“ Die beiden jungen Leute standen am Rand einer kleinen Lichtung. Auf dem letzten Stück waren sie nur schwer vorangekommen, da der Weg durch den Sumpf immer schmaler und unüberschaubarer wurde. Hohe Brennnesseln, dichtes Schilf und andere große Pflanzen erschwerten das Hindurchkommen und so manches Mal musste Sigmar ihren Weg mit dem Schwert frei schlagen. Ein Fehltritt konnte hier schon den Tod bedeuten. Dazu kam erschwerend hinzu, dass sie ein ständiges Ziel gefräßiger Mücken wurden.
„Die Lichtung ist sicher, aber wie es dann weitergeht kann ich nicht sagen.“ Iska blickte verzweifelt um sich. Immer noch verfolgte sie das Jaulen der Hunde. Auch wenn die Geräusche sich eher zu entfernen schienen, als dass sie näherkamen, so blieb doch die ständige Gefahr hinter ihnen.
Sigmar schob Iska sanft zur Seite. „Lass mich vorangehen, ich kann mit meinem Schwert prüfen, wie sicher der Weg vor uns ist. Hier nimm du diesen Stock. Damit kannst du den Boden prüfen, wenn du nicht gerade direkt hinter mir gehst.“ Er reichte Iska einen kräftigen Stock, den er schon eine Weile mit sich herumtrug. Vorsichtig überquerten sie die Lichtung. „Hier scheint eine gute Stelle zu sein!“ Sigmar prüfte die Festigkeit des Bodens, indem er mit seinem Schwert alle paar Schritte hineinstach. Plötzlich steckte das Schwert bis zur Hälfte im Morast. „Hier geht es nicht weiter, der Boden ist zu weich.“ Sigmar versuchte es an einer anderen Stelle. Wieder versank das Schwert. Überall, wo er auch hinstach, war der Boden zu weich und würde sie nicht tragen. Ratlos schaute er Iska an. „Wir müssen zurück. Hier kommen wir nicht weiter. Ich finde einfach keinen Weg durch den Sumpf.“
„Und die Römer? Denen laufen wir dann doch geradewegs in die Arme.“