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Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
Читать онлайн.Название Mythos, Pathos und Ethos
Год выпуска 0
isbn 9783738030754
Автор произведения Thomas Häring
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Mitte August 2005: Er hatte es mal wieder geschafft, Egmont Sträuber war in aller Munde und die Medien überschlugen sich mit Nachrichten und Hintergrundinformationen. Was war passiert? In einigen seiner Wahlkampfreden hatte Meister Ege darauf hingewiesen gehabt, daß man "leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern" habe und daß er es nicht akzeptiere, "daß der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Die Frustrierten dürfen nicht über Deutschlands Zukunft bestimmen." Damit hatte er sich in ganz Deutschland natürlich außerordentlich beliebt gemacht. Alle anderen Politiker widersprachen dem Sträubi, manche zeigten sich schockiert, andere empört, doch im Grunde waren sie dem "Frustrierten aus Bayern" allesamt unheimlich dankbar, denn er mobilisierte auf die Art und Weise seine politischen Gegner stärker als sie selbst das wahrscheinlich geschafft hätten. Die Linkspartei war begeistert, denn einen besseren Wahlhelfer als den Sträuber konnte man sich überhaupt nicht vorstellen. Schon verständlich, daß die Kanzlerkandidatin nicht eben erfreut war.
"Mensch, Egmont, hat das denn wirklich unbedingt sein müssen?" wollte Gerkel etwas angesäuert wissen. "Aber Andrea, ich habe doch nur darauf hinweisen wollen, daß der Fysi und der Afroträne frustrierte Versager sind, denen man dieses Land nicht anvertrauen darf", verteidigte sich Egmont. "Das ist mir schon klar, aber das Medienecho ist verheerend." "Dafür kann ich doch nichts. Im Endeffekt habe ich nur die bayerische und die baden-württembergische Bevölkerung gelobt und motivieren wollen, zur Wahl zu gehen." "Ja, aber in Wirklichkeit hast Du damit alle Ossis, die mich nicht mögen, motiviert zur Wahl zu gehen." "Äh, das wollte ich nicht. Aber Dein Brutto-Netto-Verwechseln und das, was der Bönschohm über die ostdeutsche Mentalität gesagt hat, haben uns auch nicht gerade weitergeholfen." "Genauso wenig wie Deine Forderung, die Union müsse mindestens 42 Prozent der Stimmen bei der Wahl bekommen." "Aber wir brauchen doch ein ambitioniertes Ziel, wir wollen schließlich diese Wahl gewinnen." "Selbstverständlich wollen wir das, Du Dusel, allerdings wird uns das nicht gelingen, wenn Du andauernd die Wähler im Land beschimpfst." "Aber was soll ich denn sonst machen?" "Du bist doch nur sauer, weil Du wegen den Ossis vor drei Jahren nicht Bundeskanzler geworden bist." "Das ist, äh, eine Unterstellung, die ich, äh, nicht auf mir sitzen lassen kann. Denn ich war in Nord- und Westdeutschland genauso unbeliebt wie im Osten." "Das stimmt wiederum. Wie dem auch sei, halte Dich in Zukunft bitte etwas zurück, sonst verlieren wir wegen Dir noch die Wahl." "Aber Andrea, das ist doch überhaupt nicht möglich. Diese Wahl kannst nicht einmal Du verlieren." "Na vielen Dank aber auch. Dank Dir wird diese blöde Linkspartei immer stärker und wenn es ganz dumm läuft, dann können wir nicht mal mit der FDP zusammen regieren, weil dafür unsere Stimmen nicht reichen." "Macht doch nichts, dann koalieren wir halt mit der Linkspartei." "Sehr witzig Egmont, wirklich sehr witzig. Ich habe eh schon den Verdacht, daß Du ein Agent von denen bist." "Also wirklich, äh, das ist doch die, äh, Höhe! Ich habe mit diesen Sozialisten nichts gemein." "Na ja, da wäre ich mir nicht so sicher, Du mit Deiner CSU, Deiner Christlich Sozialistischen Union." "So etwas muß ich mir nicht bieten lassen, Frau Ferkel, äh, Christensen, äh, Gerkel! Ich bin der größte und stärkste Gegner dieser Populisten und Volksverdummer." "Sehr gut, mein lieber Egmont, das höre ich gerne. Also, auf sie mit Gebrüll, aber keine Wähler mehr beleidigen, verstanden?" "Äh, also gut, äh." "Na also, es geht doch." "Aber es macht so viel Spaß, über die Frustrierten herzuziehen." "Das weiß ich doch, Egi, von mir aus kannst Du das auch weiterhin gerne machen. Aber nicht in der Öffentlichkeit, verstanden?" "Na gut." "Sehr schön. Gut, dann sind wir uns ja einig. Und schöne Grüße an Deine Muschi!" "Was haben Sie nur immer mit dieser dämlichen Katze?" "Ich meine doch Deine Frau, Du Dödel." "Ach so, natürlich. Vielen Dank und hoffentlich wird Ihr Jochen nicht sauer." "Der heißt nur so, aber in Wirklichkeit ist der ganz süß." "Also einmal Kanzlerinnengatte Süß-Sauer." Sie lachten Beide gequält und legten genervt auf.
"Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber", hatte der Über-Bayer den Ossis noch hinterhergeworfen gehabt. Entschuldigen wollte er sich für seine Äußerungen auch nicht und das aus gutem Grund. Nicht umsonst wurde darüber spekuliert, Sträuber betreibe die Ossi-Schelte lediglich, um in Bayern ein starkes Ergebnis zu erreichen, damit er nach der Wahl mit seiner CSU auf mehr Stimmen kam wie die FDP. Denn nur in jenem Fall hätte Sträuber die freie Auswahl eines Ministeriums gehabt. Erst einmal verzettelte er sich jedoch in seinem Kampf gegen die Linkspartei: Zunächst erklärte er sich zu einem Fernseh-Duell mit Oswald Afroträne bereit, doch wenig später ruderte er bereits wieder zurück und wollte nur ein Print-Duell haben. Schade, dabei wäre es höchst spannend gewesen zu erleben, was sich Egmont und Oswald so alles an den Kopf werfen; dabei hätten sie doch Beide genüßlich über den Mann, der jeden von ihnen einst besiegt hatte, Bundeskanzler Schräder, herziehen können und sich darob wahrscheinlich bestens verstanden. Im Osten wollte man Sträuber nach seinen Äußerungen nicht mehr sehen, was jenen nicht sonderlich gestört haben dürfte, schließlich hatte er selbst von den Ossis auch schon lange die Schnauze voll. Andrea Gerkel dagegen mußte natürlich schon in Ostdeutschland auftreten und wurde dort, vor allem dank Sträuber, mit lautstarken Pfiffen empfangen. Das würde sie ihm garantiert niemals vergessen.
Ende August 2005: Ganz anders sah es zwei Wochen später auf dem CDU-Jubelkonvent aus, wo alle Ministerpräsidenten die Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin in den höchsten Tönen lobten und sich selbst natürlich auch angemessen rühmten. Jede Menge Klatschvieh hatte man angekarrt gehabt, die Stimmung war bestens, man freute sich auf den Wahltag, da man einen haushohen Sieg der Union erwartete und so wurde auch Egmont Sträuber freundlich begrüßt und fleißig beklatscht. Man war ja schließlich nicht nachtragend und wollte es sich mit dem CSU-Parteivorsitzenden, der durchaus empfindlich sein konnte, nicht verscherzen, in der Hoffnung, er würde sich zukünftig ruhiger verhalten.
Derweil ging es hinter den Kulissen voll zur Sache, denn die Steuerpläne von Raul Kirchdorf, dem designierten Finanzminister der CDU, sorgten für erhebliche Unruhe in den eigenen Reihen. Der "Professor aus Heidelberg" hatte ein radikales Steuerkonzept entwickelt gehabt, das extrem polarisierte, weshalb die Unions-Politiker versuchten, es hinter den eigenen Steuerplänen zu verstecken oder es als "wünschenswert, aber nicht machbar" zu bezeichnen. An den Wahlständen sorgte jedoch die Tatsache, daß die Union auf einmal zwei Steuerkonzepte vorliegen hatte, für jede Menge Konfusion. Nichtsdestotrotz stärkte Andrea Gerkel ihrem neuen Liebling demonstrativ den Rücken, was blieb ihr auch Anderes übrig?
Anfang September 2005: Sträuber dagegen hatte Schwierigkeiten, denn er fand in jenem Wahlkampf seine Rolle einfach nicht. Schräder hatte ihn mit seiner Neuwahl-Entscheidung am meisten von allen überrumpelt und so suchte der weise Mann aus Oberbayern verzweifelt seinen Platz im Wahlkampfteam der Union, ohne fündig zu werden. Am liebsten wäre er natürlich Bundeskanzler geworden und demzufolge als Kanzlerkandidat angetreten, doch das war mit der CDU dieses Mal definitiv nicht zu machen. Von daher mischte er zwar munter mit, hielt sich jedoch an keine Absprachen und wurde so immer mehr zur losen Kanone der Union, bei der man nie wußte, ob sie auf den politischen Gegner oder die eigenen Leute zielte und feuerte. Was für ein Drama! Aber im Grunde war es Sträuber ohnehin egal, wer unter ihm als Kanzlerin oder Kanzler regierte, schließlich hielt er nach wie vor sich selbst für den Allergrößten. Außerdem zweifelten viele in seiner Partei daran, daß er sich in ein Kabinett einfügen könnte,