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      Die sind kompakt, man kann sie sich (vielleicht) merken, und sie regeln erst einmal das Nötigste.

      Aber anscheinend haben sie Gott und / oder den Menschen doch nicht gereicht …

      … und es kamen noch ein paar dazu.

      Aber es sieht so aus, als hätten die 613 auch nicht so richtig gereicht, liest man die Evangelien von den Streitigkeiten um die Sabbatheilungen oder auch vom barmherzigen Samariter, bei dem der Priester und Levit dem Verprügelten nicht helfen, aber gebotsmäßig alles richtig machen, oder von der Ehebrecherin, die überlebte, obwohl es nach dem Gesetz völlig in Ordnung gewesen wäre, sie zu steinigen. Klar, Regeln sind wichtig.

      Aber es scheint so, als seien wir manchmal schon ziemliche Gebotsjunkies, als sei das Bedürfnis nach absoluter Sicherheit und Richtigkeit tief in uns verankert.

      Einer dieser Junkies begegnet uns im Markusevangelium (Mk 12,28b–34), als er zu Jesus kommt und ihn nach dem wichtigsten Gebot fragt.

      Hallo?

      Natürlich sind alle Gebote gleich wichtig!

      Vielleicht auch nicht …

      Nicht mal zehn bleiben übrig, sondern nur drei …

      Liebe Gott und den anderen und dich!

      Klingt einfach?

      Ist es aber nicht.

      Ist viel schwerer,

      weil ich hier plötzlich auf all meine Beziehungen und meine Umwelt und meine Innenwelt achten muss. Vorher war alles so schön einfach und so schön einfach richtig oder falsch. Jetzt ist alles so schwammig und unklar …

      … und fordert Mut.

      Mut, mich den anderen, Gott und mir selbst zu stellen.

      Ich mag ja das Wort »Gleichmut«.

      Zu versuchen, immer gleich mutig zu sein.

      Was wäre, wenn ich heute versuchen würde,

      der/dem anderen gegenüber, Gott gegenüber und mir selbst gegenüber gleich mutig und gleich liebend und gleich verzeihend zu sein?

      Nicht um im Endeffekt alles gleich zu machen, sondern um alle gleich ernst zu nehmen.

       Über die Menschwerdung oder die ganz schön vielen Schubladen in meinem Kopf

      Wenn ich auf meinen Freundeskreis schaue …

      … da gibt es Frauen und Männer,

      Akademiker:innen und Handwerker,

      Priester und Nichtpriester:innen,

      Leute, die in und (Gott sei Dank) auch außerhalb der Kirche arbeiten,

      Menschen, die hetero, homo und trans sind,

      Katholik:innen, Orthodoxe, Protestant:innen

      und auch einige ohne Glaubenszuordnung,

      die aber sicherlich nicht weniger glauben, hoffen und lieben,

      Europäer:innen und ein paar von ganz woanders her,

      einen, der sogar gar kein Deutsch spricht – wir uns aber

      trotzdem verstehen –,

      manche, die wunderbar einfach sind,

      und manche, bei denen alles immer gleich schrecklich

      kompliziert ist …

      … und da gibt es noch jemanden,

      der völlig anders war und ist

      und der Mensch geworden ist.

      Es ist, glaube ich, völlig egal,

      ob dieser als Mann auf die Welt gekommen ist

      oder als Akademiker:in oder Handwerker,

      als hetero, homo oder trans,

      als Jude oder einfach als Glaubender und Liebender,

      als aramäisch sprechender Israelit

      bzw. welche Sprache er überhaupt gesprochen hat,

      ob er wunderbar einfach oder auch manchmal schrecklich kompliziert war …

      … entscheidend ist und bleibt,

      dass er (oder sie) Mensch geworden ist!

      Diese eine Schublade reicht doch voll und ganz!

      Wie wäre es, wenn ich … wenn wir, die ganzen restlichen Schubladen in unserem Leben, in unserer Gesellschaft und in der Kirche auch einfach mal lassen könnten und ausprobierten, was dann passieren würde?

       Fasst mich doch an!

      Jesus sagte nach seiner Auferstehung zu den ängstlichen und verblüfften Jüngern:

      »Fasst mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht« (Lk 24,39).

      Auferstehung ist keine vergeistigte Idee!

      Der Glaube an die Auferstehung ist eine handfeste Hoffnung, die etwas von Gottesbeziehung und Menschwerdung, von Leben und Tod, von Körper und Geist erahnt und erzählt.

      Vor ein paar Jahren bei einem Gespräch über Beerdigungsrituale: Ein über achtzigjähriger Mann sagte (in Anwesenheit seiner Frau, die dabei lächelnd neben ihm saß), dass er seine Frau bzw. ihren Körper nach ihrem Tod niemals verbrennen lassen könnte, weil er sie doch in und auch durch diesen Körper ein Leben lang geliebt habe.

      Jenseits von Beerdigungsriten (dieses Diskussionsfass will ich jetzt aber ganz und gar nicht aufmachen) beeindruckt mich diese Aussage bis heute …

      Wir sind nicht nur geistige, sondern auch körperliche Wesen.

      Wir leben und lieben unsere Beziehungen nicht nur geistig, sondern auch körperlich.

      (Gerade Corona lehrte und lehrt uns das durch notwendige Abstandsregeln schmerzhaft.)

      Wir leben und lieben Gott nicht nur geistig, sondern auch körperlich und können sein beständiges Mitgehen in aller Vielfalt auch darin wahrnehmen.

      (Es ist kein Zufall, dass viele Sakramente eine spürbare und nahbare Berührung beinhalten.)

      Was wäre, wenn ich das ernst nehmen würde?

      Wenn jede Umarmung und Berührung, jeder zarte Windhauch auf meiner Haut, jede körperliche Erregung, jeder Duft von frischem Brot, jede wundervolle Farbe, jedes genossene Glas Wein, jede an mein Ohr dringende Stimme und unfassbar viel mehr mich genauso mit Gott und mit dem Auferstandenen in Berührung brächte wie jedes andächtige Gebet?

      Denn genau in und durch das alles lebe und glaube und liebe ich und stehe hoffentlich auch irgendwann einmal wieder auf!

       Über die Zuneigung

      Wir brauchen Zuneigung

      zum Leben und Lieben und Glauben.

      Zuneigung durch Menschen,

      die durch uns und mit uns und in uns

      leben und lieben und glauben.

      Zuneigung durch Gott,

      der durch uns und mit uns und in uns

      lebt und liebt und glaubt.

      Zuneigung gerade dann

      in all den Augenblicken,

      in denen uns diese fehlt.

      Zuneigung in Fleisch und Blut,

      in der uns Gott als Mensch berührt

      und

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