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und Weite führen möchte.

      Dies heißt aber auch, dass ich das selbst immer neu erfahren darf und muss, mich auch selbst immer neu in diese Freiheit und Weite führen lassen darf und muss, dass ich selbst an keiner Stelle am höchsten Level oder am Endpunkt meiner Vorstellung von Kirche oder meines Glaubens und Hoffens und Vertrauens angekommen bin, sondern dass es da immer noch ein »Mehr« gibt.

      Paulus schreibt im ersten Korintherbrief, dass all unser Erkennen Stückwerk ist (1 Kor 13,9). Die folgenden Worte versuchen, keine fertigen Konzepte zu liefern, sondern sie sind Bruchstücke, die versuchen, diesem »Mehr« Raum zu geben und ihm auf den Fersen zu sein.

      Oft setzen sie genau dort an, wo ich ein ums andere Mal versucht habe, Gott aus meinem Leben rauszuhalten, aber im Nachhinein erfahren habe, dass ich ihn (oder sie) genau dort am meisten brauchte und brauche,

      dort, wo ich alles selbst regeln wollte, erst perfekt sein wollte, bevor ich es herzeige, oder einfach gedacht habe, dass er dort nichts verloren hat, weil ich mich dafür schämte.

      Ich bin davon überzeugt: Wer Gott heute noch in der Gemeinschaft der Kirche sucht, hat auch heute noch gute Chancen, ihn zu finden. Wer ihn aber heute noch »nur« in der Gemeinschaft der Kirche sucht und dabei keine sonstigen eigenen Fragen und Suchen anstellt, hat sich selbst Scheuklappen angelegt und läuft Gefahr, sich in einer selbstverschuldeten Unmündigkeit (und einhergehend damit auch oft in Einsamkeit) zu verstricken.

      Ich möchte durch meine Worte und Gedanken nicht belehren, sondern einladen, der eigenen Beziehung zu Gott, zu sich selbst, zum Nächsten und zur Gemeinschaft der Kirche ein Stück mehr auf den Grund zu gehen und darüber ins Nachdenken und ins Gespräch zu kommen.

      Lesen Sie dieses Buch einfach wie ein Gespräch mit einem guten Freund. Hören Sie gemeinsam gute Musik, trinken zusammen ein gutes Glas Wein oder einen tiefschwarzen und glücklich machenden Espresso und denken und reden Sie dabei über Gott und die Welt. Denn in so einem ungezwungenen Gespräch unter Freunden, die bereit sind, anders gelagerte Meinungen anzuerkennen, kann oft ein fruchtbares und freies Nachdenken in Bewegnung kommen.

      Lassen Sie sich inspirieren, anspornen, anfragen, vielleicht auch manchmal ein wenig ärgern. Finden und erfinden Sie ihre eigenen Worte im Nachgehen, Nachfühlen, Nachdenken und Nachbeten dieser gelesenen Worte.

      Es geht um notwendige und heilsame Unruhe, um Kirche, Sexualität und Freiheit und um noch viel mehr, es geht um Sie und um Ihre Mitmenschen und in all dem um Gott.

      Freude und Inspiration und Begegnung und Heiligen Geist in all dem

       Ihr Wolfgang Metz

       Zum Inhalt

      Vieles ist in Bewegung und verändert sich. Nicht nur in der Gesellschaft, sondern dadurch auch notgedrungen in der katholischen Kirche, da diese Teil der Gesellschaft, der Kultur und der gegenwärtigen Welt ist – und das ist gut so. Vielen macht diese Veränderung Angst, weil dies bedeutet, dass sie oft Liebgewonnenes oder etwas, das ihnen Sinn und Stabilität gegeben hat, vielleicht loslassen müssen.

      Vielleicht ist dieses Gefühl der unberechenbaren und unruhigen Zukunft, das sich durch die Veränderung breitmacht und viele Menschen ergriffen hat, aber für viele notwendig. Und vielleicht ist es notwendig, mit diesem Gefühl und mit allem, was damit einhergeht, umzugehen, dafür Worte zu finden und darüber ins Gespräch zu kommen.

      Zeitweilig kann dieses Worte-Finden in der Unruhe manches mildern, manchmal sogar neue Wege schenken, manchmal wenigstens Leidensgenoss:innen bzw. Unruhegenoss:innen finden lassen.

      Aber warum gerade mit Blick auf »Kirche, Sexualität und Freiheit« unruhig sein und darüber nachdenken und reden?

      1.Weil die Art und Weise, wie wir Kirche sind, beeinflusst, wie wir miteinander umgehen – und umgekehrt. Es geht nicht nur um eine Institution oder um eine Organisation, sondern darum, wie wir diese Institution und diese Organisation mit Zuwendung erfüllen und wie wir darin miteinander leben, glauben und hoffen. Es geht darum, dass wir sakramentale Kirche sind, d.h. aber auch, dass wir die Zuwendung Gottes, die wir in den Sakramenten erfahren, genauso in der Welt erfahren dürfen und diese Zuwendung für andere durch uns in der Welt erfahrbar sein kann und darf und soll. Kirche ist nicht da und ist auch nie da gewesen, um Menschen und Gedanken und Gott zu horten und an sich zu ketten, sondern um über sich hinauszuweisen und Gottes »Mehr« in der ganzen Welt und im ganzen Leben zu finden. Natürlich immer nur bruchstückhaft, aber deswegen nicht weniger real.

      2.Weil Sexualität zu unserem menschlichen Leben ganz einfach dazugehört. Natürlich gibt es genügend andere Themen, die genauso zu unserem Leben dazugehören, aber im Bereich der kirchlichen Sexualmoral war vieles, wenn nicht sogar fast alles, bis zum II. Vatikanischen Konzil in den Bereich der Todsünde verbannt. Diese rigorose Einordnung beschäftigt und knebelt uns als Kirche bis heute. Vielleicht wird vieles nicht mehr als Todsünde gesehen, aber zu vieles wird auch heute noch in den Bereich der Sünde und der Sprachlosigkeit weggeschoben. Und dabei ist es egal, ob es um Sex vor der Ehe, Homosexualität oder Masturbation geht. Die kirchliche Sexualmoral, die zum einen für die meisten Menschen überhaupt keine Realität mehr ist und zum anderen in vielen Bereichen von den Humanwissenschaften in vielerlei Hinsicht schon lange überholt worden ist, führt uns als Kirche immer weiter in eine pastorale Sackgasse. Genau darum ist es, denke ich, wichtig, in diesem Bereich unruhig zu sein und zu reden und nachzudenken.

      3.Weil über die Freiheit nachzudenken und in Freiheit zu denken, in Beziehung zu leben und letztendlich zu glauben ein Geschenk ist – Freiheit, die natürlich immer verantwortet und verantwortbar sein muss, die aber auch keine pauschalen Scheuklappen kennen sollte und ihre Grenzen immer wieder neu anschauen und definieren muss. Kardinal Martini soll einmal gesagt haben: Ich habe keine Angst vor Menschen, die nicht glauben, sondern vor Menschen, die nicht denken. Weiter meinte er, dass es bei dieser Aussage natürlich nicht um Bildung und Intellekt geht, sondern dass der Unterschied im Herzen liegt. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann liegt der Unterschied darin, wie frei und offen ein Herz ist, Menschen und Gedanken aufzunehmen und zu erwägen. Ich stimme Kardinal Martini voll und ganz zu: Auch ich habe keine Angst vor Menschen, die nicht glauben, sondern vor Menschen, die nicht denken und – hier würde ich gerne ergänzen – nicht lieben (können).

      Viele der folgenden Texte sprechen nicht direkt von Kirche oder Sexualität oder Freiheit, aber sie möchten immer direkt dazu einladen, über vieles in Freiheit und mit freiem und offenem Herzen nachzudenken und darüber ins Gespräch zu kommen.

       Ich habe keine Angst vor Menschen, die nicht glauben, sondern vor Menschen, die nicht denken.

       Kardinal Carlo Maria Martini

       Zur Form mancher Worte

      Schreiben und Sprechen ist in den vergangenen Jahren in unserer Sprache nicht einfacher geworden. Ich glaube aber, Gott sei Dank, ein wenig sensibler.

      Auch ich versuche mich darin zu üben.

      An vielen Stellen werden Sie deshalb einen Gender-Doppelpunkt finden.

      Nur an vielen?

      Ich finde grundsätzlich, dass diese Schreibweise etwas Wichtiges ausdrückt. Nämlich, wie vielfältig Menschen sind. Aber manchmal kann das zugegebenermaßen auch echt ziemlich kompliziert klingen.

      Deswegen habe ich versucht, möglichst oft mit »:« zu arbeiten, aber an der einen oder anderen Stelle einfach mit der männlichen und weiblichen Form abzuwechseln oder ganz bewusst nur das eine oder das andere zu setzen (z.B. bei »Priester« wäre die weibliche Form zwar wünschenswert, ist aber leider noch nicht Gegenwart).

      Ich hoffe, dass die Worte durch Inhalt und Form zeigen, dass jede:r sich angesprochen fühlen darf.

       I. Mensch werden

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