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Tod eines Agenten. Lars Gelting
Читать онлайн.Название Tod eines Agenten
Год выпуска 0
isbn 9783753189055
Автор произведения Lars Gelting
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es war genau dreizehn Uhr siebenundvierzig, als er es sich in seinem Ledersitz bequem machte. Etwas träge betrachtete er das Lokal, das jetzt genau in seiner Blickrichtung lag. Ein ebenerdiges Gebäude, gepflegt und noch ziemlich neu; an der rot gestrichenen Wand befanden sich noch keine Graffitis.
Auf der Rückseite des Lokals stand ein heller Lieferwagen, dessen Vorderteil gut einen Meter hinter der Wand vorragte. Die Motorhaube war in kräftigem Rot und Grün beschriftet und trug das Firmenlogo der Pizzeria. Alles war spiegelverkehrt aufgebracht, was ihn herausforderte, einen langen Hals zu machen und so die Schrift möglichst rasch zu entziffern. Kein leichtes Unterfangen auf die Entfernung, weshalb er hochkonzentriert mit Tunnelblick auf diese Schrift fokussiert war.
Unversehens wurde er gestört. Etwas bewegte sich am Rande seines Blickfeldes, und sein Blick glitt hinüber zur Eingangstür. Die Tür war in einer heftigen Bewegung aufgeschwenkt und ebenso heftig wieder zugerissen worden. Einen kurzen Augenblick lang blieb sie das auch. Dann eine leichte Bewegung und plötzlich stand ein kleiner Junge vor der Tür. Vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, war er offensichtlich geschockt, stand mit angewinkelten Armen weinend da. Starrte auf die Tür, hilflos, auf etwas wartend.
Die Tür bewegte sich wieder, hin und her, als würde darum gerungen. Schließlich flog sie auf, geradezu explosiv, und spuckte eine eher kleine, dickliche Frau in einem blau-weiß gemusterten Kittel aus. Aufgeregt, geradezu hysterisch fuchtelte sie mit den Armen dicht vor der Tür herum. Griff endlich nach dem Kind, eilte, das Kind hinter sich herziehend, unerwartet flink von der Tür fort und verschwand hinter dem Gebäude.
Gespannt auf die Fortsetzung beugte Erik sich vor, näher zur Windschutzscheibe, stützte sich mit den Unterarmen oben auf dem Lenkrad ab. Beobachtete das Geschehen, wachsam jetzt. Vielleicht war ja auch alles ganz harmlos. Da hatten sich zwei gestritten. Der Mann war gewalttätig und die Frau war mit dem Kind vor ihm geflohen. Vorstellbar war das.
Mit verengten Augen sah er hinüber zur Tür, wartete auf eine Fortsetzung des Geschehens. Möglicherweise erschien ja der gewalttätige Kerl vor der Tür.
Einen langen Augenblick aber geschah nichts weiter. Er sah die Frau in ihrem Kittel, das Kind immer noch hinter sich herziehend, zwischen den weiter zurückliegenden Häusern verschwinden. Der Parkplatz wirkte jetzt ebenso eintönig, friedlich wie zuvor. Aber diese Ruhe war nicht echt, sie knisterte geradezu. Er fühlte das körperlich und war auf der Hut.
Und dann war es genau vierzehn Uhr. Eigentlich müsste er jetzt den Rover verlassen und zur Pizzeria hinübergehen. Er traute sich nicht. Er traute dem gesamten Vorgang nicht. Vielleicht wurde da drinnen gerade eine Pizza gebacken, die möglicherweise zu heiß für ihn war.
Aufmerksam beobachtete er den Eingang. Ließ den Motor laufen, bereit, sofort zu verschwinden, wenn es sein musste. Und je länger sich nichts tat, der Eingang wie tot wirkte, umso spürbarer verdichtete sich sein ungutes Bauchgefühl. Garantiert lief da drinnen etwas falsch, er fühlte es förmlich, und vielleicht lief die Sache gerade auf ihn zu.
Dieser dunkle Van, er hatte den die ganze Zeit nicht weiter beachtet. Aber der stand einfach nur da, nicht im eigentlichen Parkbereich, sondern nahe bei der Tür, mit laufendem Motor. Der wartete bestimmt nicht darauf, dass seine Pizza fertig wurde. Da wollte jemand möglichst schnell abhauen. Oder es war einfach Sture Bengtson mit einem theatralischen Auftritt.
Aber dafür ließ der ja nicht den Van mit laufendem Motor da warten. Außerdem, die Frau war mit dem Kind nicht ärgerlich aus dem Haus gerannt, weil sie sich mit ihrem Mann gestritten hatte. Die war um ihr Leben gerannt. Falls Sture da drin war, warum sollte er diese Leute bedrohen?
Er war sich jetzt sicher, da war etwas ganz anderes im Gange, und das kam immer näher an ihn heran.
Abbrechen! Sofort abhauen!
Im gleichen Augenblick, als er die Bremse löste, tat sich etwas am Eingang und er stoppte sein Vorhaben. Jetzt bloß keine Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Angespannt und immer noch fluchtbereit beobachtete er den Eingang, ließ dabei den Van nicht aus den Augen. Sah die Tür am Haus einen Spalt weit aufgehen. Eine Hand ragte kurz heraus und gab Zeichen hinüber zum Van. Schon einen Augenblick später wurde sie entschlossen ganz aufgestoßen und zwei Männer, kahlköpfig, Jeans, dunkle Blousons, traten dicht hintereinander aus dem Haus. Das sind Russen, dachte er.
Zügig, aber ohne jede Hektik gingen sie hinüber zum Van, stiegen ein, und der Wagen beschleunigte augenblicklich und verschwand zwischen den Häuserblocks am Rand des Parkplatzes.
Erik lehnte sich wieder zurück in seinen Sitz. Er war froh, nicht hineingegangen zu sein. Das waren keine Typen, mit denen man gerne Pizza aß.
Vielleicht brauchte Sture Bengtson jetzt Hilfe. Aber er traute dem Braten immer noch nicht. Er war feige, absolut, und er fühlte sich deswegen schäbig, aber er mochte auf keinen Fall jetzt dort hineingehen. Jedenfalls nicht sofort. Die Ruhe, die ihn umgab, bedrohte ihn eher, war nicht echt. Er musste hier weg.
Reflexartig tauchte er etwas tiefer in den breiten Ledersitz, hielt den Atem an, als könne der ihn verraten: Der dunkle Van kam zurück. Ruhig, geradezu schleichend schob er sich hinter dem letzten Wohnblock hervor. Der musste etwas weiter unten auf die Route 175 aufgefahren sein und kam jetzt zurück. Kriechend langsam rollte er auf den Parkplatz zu.
So kam er nicht mehr hier weg. Verdammter Mist!
Vielleicht hatten die ihn beim Wegfahren entdeckt und überlegten nun, was sie mit ihm anstellen sollten. Ohne sich in seinem Sitz zu bewegen, ohne den Kopf zu wenden, folgte er dem Fahrzeug mit den Augen. Wartete darauf, dass es die 175 an der Abfahrt wieder verlassen und herüberkommen würde.
Und dann, alle Aufmerksamkeit unter höchster Anspannung auf den Van gerichtet, riss ihm der Schreck fast die Brust auf und ließ seine Bewegungen einfrieren.
Mit einem gewaltigen Donnerschlag und ebensolchem Druck flog ein Teil des Hausdaches, zerlegt in unzählige Trümmerteile, in die Luft. Und nur um einen Sekundenbruchteil verzögert brach es mit Gewalt aus der Rückseite des Hauses, warf den Lieferwagen um und begrub ihn unter einem Hagel aus Ziegeln, Mörtel und allen möglichen Teilen aus dem Innenraum.
Es riss ihn im Sitz nach oben, riss ihn nach vorn, trieb ihn weg von diesem Ort, ließ ihn ohne jedes Bewusstsein die Automatik schalten, Gas geben, den Parkplatz verlassen. Er funktionierte einfach nur, fuhr direkt neben dem Parkplatz auf die Route 175 auf und merkte erst nach einigen Minuten, dass er sich in die falsche Richtung bewegte. In die Richtung, in die auch der dunkle Van gefahren war.
Sein Körper schockte, schwitzte, Arme, Hände, Beine, alles zitterte, war außer Kontrolle. Der dunkle VW-Van! Er fuhr ihnen jetzt vielleicht genau in die Arme.
Er wagte nicht, auf den nächsten Parkplatz an der Straße zu fahren, um dort zu wenden. Er fuhr daran vorbei, fuhr einfach weiter, immer weiter, fast zehn Kilometer. Dann fuhr er ab, rollte durch eine Siedlung und blieb auf dem Parkstreifen vor einer Kirche stehen. Immer noch war sein Körper in Aufruhr, sein Kopf vollkommen leer. Da war nichts. Er bekam keinen klaren Gedanken auf die Reihe. Vielleicht sollte er aussteigen, sich bewegen, einige Meter gehen.
Er sah zur Kirche hinüber, einer kleinen, typisch nordischen Kirche mit einem breiten, nicht sehr hohen Glockenturm. Aber dann hatte er Sorge, sich nicht adäquat unter Kontrolle zu haben und deshalb aufzufallen. Er blieb sitzen, holte tief Luft, noch mal und wieder und hatte dabei alle Spiegel am Fahrzeug im Blick.
Fünfzehn Minuten saß er so da, bis er das Gefühl hatte, wieder zuverlässig normal zu funktionieren. Er ließ er den Rover wieder an und rollte los, schlug einen Bogen und fuhr wieder auf die Route 175, diesmal in Richtung Arvika.
Erik sah sie schon von weitem, die mächtige dunkle Rauchwolke, die von der Hitze getrieben senkrecht hinter den Wohnblocks