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      1.28 Backstage

       Seufzend gesellte

      ich mich zu der leise wimmernden Darstellerin, die sich in der hintersten Ecke des Studios verschanzt hatte. Mit ihrem tränenverschmierten Make-up sah sie echt nicht besonders fotogen aus.

      Unwillkürlich musste ich daran denken, dass die Maskenbildnerin jetzt wieder eine Ewigkeit brauchen würde, um ihre Gesichtsruine zu reparieren. Dabei hinkten wir dem Drehplan ohnehin schon meilenweit hinterher. Vielleicht sollte ich sie, einfach so wie sie ist, abdrehen, mit total verschmierter Visage. Im Grunde genommen wirkte das doch viel authentischer.

      Denn genau so musste es aussehen, dieses personifizierte Opferlamm.

      1.29 Mein Tagebuch / 13

       Was kann ich schon tun?

       Ich bin ja auch nur ein kleines Rädchen im Getriebe.

       So kämpft jeder ganz für sich allein ums Überleben. Glaubt sich auf verlorenem Posten in einem Krieg, dessen donnerndes Mündungsfeuer nur er ganz allein zu hören glaubt.

       Das ist eine Illusion, der auch ich lange erlegen war. Bis ich erkannt habe, dass wir es alle hören. Und uns auch alle fürchten vor der Einsamkeit dieses alltäglichen Kriegszustands.

       Dies und noch viel mehr haben wir gemeinsam, wir erfüllen alle Voraussetzungen für eine starke Gemeinschaft. Und doch wähnen wir uns unter Gegnern in einer feindlich gesinnten Welt. Der tägliche Überlebenskampf fühlt sich für mich an wie Krieg und so bin ich fest davon überzeugt, mich tagtäglich unerlaubt auf fremdem Territorium zu bewegen. Unterwegs in Feindesland, umgeben von lauernden Widersachern, darf ich mir keine Blöße geben. Jeder Moment von Schwäche könnte mein letzter sein.

       Mirrors and rasorblades. Frauen, deren Augen wie leere, glänzende Spiegel sind und die keinen weiteren Anspruch an sich und das Leben haben, als möglichst verführerisch mit dem Arsch zu wackeln. Sie tun alles, was nötig ist, um für die maximale Aufmerksamkeit der Männer zu sorgen und ihre lüsternen Blicke auf sich zu ziehen. Sie glauben auf diese Art, das Interesse und den Beschützerinstinkt der Männer wecken zu können, die sich stur geradeaus durch den erbarmungslosen Dschungel des Alltags bewegen, als ob sie wandelnde Waffen wären. Egoshooter mit Rasierklingen statt Fingern.

       Angesichts dieses archaischen Verhaltens frage ich mich, ob es sich bei dem Zeitgeist dieser Epoche um einen sich endlos hinziehenden Ausläufer der Steinzeit oder den bodenlosen Absturz in eine noch rückständigere Ära handelt.

      1.30 Lebendige Tote

       Als der Wecker

      klingelte, fühlte ich mich wie erschlagen. Albtraumhafte Sequenzen, höllische Abbilder einer Parallelwelt geisterten unter meiner pochenden Schädeldecke. Schemenhafte Blitzlichter, die nicht mal die Unmengen an Koks und Alkohol auslöschen konnten, die ich mir gestern Nacht reingezogen hatte.

      Wenn ich nicht bald genügend Schlaf bekäme, endete ich noch als Zombie. Denn so ging das nun schon seit mehreren Nächten in Folge. Wenn ich endlich erschöpft und breit genug war, mich in das gelobte Land der Träume hinüber gleiten zu lassen, schreckte ich panisch wieder hoch. Und eine große Furcht machte sich in mir breit, Angst vor dem, was mich hinter der Schwelle des Schlafes erwartete. Eine schreckliche Welt, die ich bereits etliche Male durchwandert hatte und deren Abbild über meinem inneren Auge lag wie eine zweite Netzhaut.

      Ein Lager, in dem Baracken auf staubigem Lehmboden standen. Ein vergiftetes Quadrat Erde in dem jede Farbe fehlte, es nur Grautöne gab und das von vier Wachtürmen und hohem Stacheldraht umgeben war. Dort hielt sich niemand außer mir und den Toten auf, selbst die Beobachtungsposten waren verlassen. Die Leichen lagen in Reih und Glied, sorgsam sortiert nach Geschlecht, Alter und Hautfarbe. Ich schlich zwischen den zylindrisch geformten Bergen aus Körpern umher und fühlte mich einsam wie nie zuvor.

      Cut, harter Schnitt und Szenenwechsel.

      Weiß gekachelter Horror, ein Schlachthaus mit Blutablaufrinnen im betonierten Boden und menschliche Leiber, die an Fleischerhaken von der Decke baumelten. Und die dort hingen, so still wie Kadaver, sie lebten noch, gaben aber keinen Laut von sich, waren gelähmt durch wahnsinnige Furcht.

      Um die Untoten nicht in ihrem Dämmerzustand zu stören, ging ich auf Zehenspitzen durch diese unnatürliche Stille. Doch die von entsetzlichem Leid erfüllten, bohrenden Blicke der Gehängten, sie folgten mir auf Schritt und Tritt.

      1.31 Mein Tagebuch / 14

      „Ich kann euch nicht helfen.“

       Das ist er wieder dieser seltsam klingende Satz. Sein Echo wabert endlos durch meinen Kopf, will ihn nicht mehr verlassen.

       Beide nächtlichen Ausflugsziele wirken seltsam steril und aufgeräumt. Ich spüre deutlich, dass hier ein penibler, ein grausam perfektionistischer Geist am Werk ist. Er tötet und quält wie aus dem Lehrbuch, gründlich und mit bedächtiger Präzision, vollkommen emotionslos. Dieser Folterknecht hat die Mentalität eines Insekts. Er zerstört besonnen jeden Hoffnungsschimmer und füllt seine Vorratskammern mit der honigsüßen Todesangst seiner Opfer.

       Klar, dauerhafter Schlafentzug kann zu Halluzinationen und starken Bewusstseinsstörungen führen. Das Problem ist nur, dass diese Vorgänge auf der anderen Seite ganz real sind. Das glaubt mir natürlich kein Mensch. Die würden mich für verrückt erklären und sofort wegsperren.

       Deshalb behalte ich das alles für mich, was es allerdings nicht gerade leichter macht. Manchmal weiß ich nicht mehr, ob ich gerade schlafe oder wach bin. Die Ebenen meiner Wahrnehmung verschieben und überlagern sich. Mir ist, als ob ich durch einen nicht enden wollenden, unheimlichen Tagtraum gleiten würde.

       Die Menschen, die mich in meinem alltäglichen Arbeitsumfeld umgeben, kommen mir vor wie Statisten in einem Film, der ganz weit entfernt von mir auf einer Leinwand abläuft. Zweidimensionale, puppenhafte Aufziehfiguren, die jenseits meiner Welt hinter einer Wand aus grauem Rauch leben.

       Ich beobachte sie genau, registriere und bewerte ihre Reaktionen und ihr Mienenspiel, aber meine Fähigkeit mit ihnen zu kommunizieren nimmt stetig ab. Manchmal verstehe ich die einfachsten Sätze nicht mehr oder vermute Andeutungen und Geheimnisse, wo gar keine sind.

       Ich fühle mich wie der strahlende, letzte Stern unter lauter künstlichen Satelliten. Die Menschen um mich herum sind alle längst mumifiziert, perfekt funktionierende Aufziehpuppen, sie wissen es nur nicht. Ich bin eins der letzten lebendigen, fühlenden Wesen auf der Welt.

      

       Aber ich habe euch längst durchschaut. Was um mich herum geschieht, ist in Wirklichkeit eine opulente Inszenierung, bei der es vor allem darum geht, mich in Sicherheit zu wiegen und hinter den Kulissen allmählich meine Seele zu vernichten. Ein schleichendes Gift, das mir bei jedem Kontakt mit den Zombies verabreicht wird und in meinen Körper eindringt, der die Tür ist zu meinem Geist.

       Jeder Händedruck, jede Berührung ist eine gut geplante Injektion einer das Bewusstsein zersetzenden Droge.

      1.32 Einsam unter Vielen

      „Clemens, was meinst du?

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