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vergeblich aufgestanden zu sein. Eichenbohlen knarrten und die uralten Eisenscharniere der Holztüren gaben von Zeit zu Zeit jaulende Laute von sich. Der imaginäre Eindringling blieb jedoch im Dunklen.

      Am Ende dieses zweiten Montags im August hätte Mirko Harnisch eigentlich besserer Stimmung sein müssen. Der Besuch eines befreundeten Kommilitonen lag nur wenige Stunden zurück. Silvio war bisher der einzige, der seine Ankündigung einhielt, ihn an seinem abgelegenen Arbeitsplatz zu besuchen. Es war eine enttäuschende Erfahrung, dass kaum einer der Bekannten zu den bierselig abgegebenen Zusicherungen stand. Zugegeben, der Weg war selbst mit dem Auto beschwerlich. Andererseits lag die Universitätsstadt Koblenz nicht weit entfernt. Man musste nur wollen.

      Schöne Freunde, dachte er mit einem Anflug von Bitterkeit. Der Besuch ließ ihn an den verbleibenden Zeitraum von anderthalb Monaten denken, die ihm noch bevorstanden. Sarkastisch redete er sich selbst ein, bis dahin dem Wahnsinn anheimgefallen zu sein. Nachdem sein Freund aufgebrochen war, fühlte er sich unwohl und noch einsamer als vorher. Aufzugeben wäre allerdings eine zu große Blöße gewesen.

      Ich werde durchhalten.

      Kurz überlegte er, zum Auto zu laufen und ins nächste Dorf zu fahren. Er könnte dort wenigstens einkaufen gehen. Es würde ihn ablenken. Nach einem Blick auf seine digitale Armbanduhr verwarf er die Idee wieder. Es war bereits nach neunzehn Uhr. Kein Geschäft in der näheren Umgebung würde noch geöffnet sein. Nicht, dass er dringend an diesem Abend etwas hätte besorgen müssen. Er suchte einfach nach einer Chance, Burg Rothenfels zumindest vorübergehend zu verlassen. Der Ort übte eine eigenartige, tief beklemmende Wirkung auf ihn aus. Manchmal fühlte er sich hinter den dicken Mauern, die einst Angriffen von außen standhalten sollten, als Gefangener. Sobald er die immer gleichen Handgriffe verrichtete, die immer gleichen Türen abschloss, spürte er etwas, das nur als Endgültigkeit zu beschreiben war. Es war ein Gefühl, als müsste er für immer hier verharren.

      Resigniert lief er über den gepflasterten Innenhof, steuerte das Tor an. Eine bleierne Regenwolke hing schwer über ihm am Himmel, der bereits in Dämmerung begriffen war. Sie schien nur auf eine Gelegenheit zu warten, die nächsten Wassermassen gen Erde fallen zu lassen. Er beschleunigte seine Schritte.

      Bloß nicht schon wieder nass werden.

      Hektisch zog er an der mächtigen Holztür, hielt aber plötzlich inne. Im lehmigen, vom dauernden Regen aufgeweichten Erdboden vor dem Portal zeichneten sich vom Wald her deutliche Fußabdrücke ab. Sie waren ihm zugewandt, führten demnach zur Burg.

      Die letzten Besucher hatte er am frühen Nachmittag verabschiedet: Eine holländische Touristin, die mit ihren zwei schlecht erzogenen Söhnen heillos überfordert zu sein schien. Den älteren der beiden schätzte er auf höchstens dreizehn Jahre.

      Skeptisch betrachtete er einen der Abdrücke. Grobes Profil hatte seine Spuren im Boden hinterlassen. Sie konnten unmöglich von den Niederländern stammen. Im Übrigen hätte der Regen sie seitdem längst beseitigt. Beunruhigt ließ er den Blick durch den Wald schweifen. Unter den dichten Zweigen war nur noch wenig zu erkennen. In höchstens einer Stunde würde hier tiefes Dunkel herrschen. »Denk nach!«, zwang er sich zur Ruhe. »Es gibt für alles eine Erklärung, auch hierfür.« Nach einem Moment der Überlegung atmete er erleichtert aus, merkte dabei erst, dass er den Atem angehalten hatte. »Idiot, Silvio ist doch eben erst gegangen«, entfuhr es ihm fast lachend. Der Wald beantwortete sein Eingeständnis mit dem kehligen Schrei einer Eule.

      Bald konnte sie lautlos von ihrem Ast gleiten, um im Schutze nahender Dunkelheit zu jagen. Sie würde nicht zurückkehren, ohne ihren spitzen Schnabel in das Fleisch einer Feldmaus oder einer Ratte geschlagen zu haben. Mit erbarmungsloser Geduld würde der Raubvogel den Körper mit scharfen Krallen am Boden halten, bis die letzten Zuckungen des Opfers erstarben. Unbemerkt wäre es möglich, sich mit der toten Beute zurückzuziehen. Nicht etwa als Flucht, nur als Rückzug. Bis der Instinkt das Tier erneut auf die Jagd schickte.

      Tatsächlich war Silvio erst vor weniger als einer halben Stunden diesen Weg zu seinem Auto gelaufen. Harnisch grübelte weiter, fühlte sich aber schon entspannter, nachdem er der Meinung war, die Spuren annähernd plausibel erklären zu können.

      Doch warum führen die Schuhabdrücke zur Burg, nicht zum Parkplatz?

      Der Zweifel hielt an. In diesem Augenblick öffnete sich die Regenwolke wie eine Schleuse, während gleichzeitig der Wind auffrischte. Nach wenigen Momenten stand Wasser in den Fußspuren, verwischte sie. Innerhalb von Minuten würde nichts mehr auf denjenigen hindeuten, der sie hier hinterlassen hatte. Fröstelnd zog er das Tor zu und drehte den Schlüssel wie jeden Abend zweimal. Mit einem metallischen Geräusch schob sich der Riegel ins Schloss. Er hatte es nicht mehr eilig, war er dank der großen Wassertropfen, die der Wind aus allen Richtungen auf ihn einprasseln ließ, doch inzwischen ohnehin völlig durchnässt. Der Regen schien nur der Anfang zu sein. In einiger Entfernung zuckten bereits kleinere Blitze. Schwacher Donner deutete auf ein nahendes Gewitter hin. Die meisten Fenster der Burg waren noch hell erleuchtet. Der graue Himmel zwang ihn dazu, die überwiegende Zeit des Tages die Beleuchtung eingeschaltet zu lassen. Schon aufgrund der spärlichen Besucher. Da Harnisch bisher keinen Hauptschalter gefunden hatte, musste er nun am Abend überall manuell das Licht ausschalten. Ihm war das eigentlich egal. Auch die Stromkosten interessierten ihn kaum.

      Das ist ja wohl Sache der Eigentümer dieser gottverlassenen Festung. Die müssen bestimmt nicht auf den Cent schauen.

      Ihm wurde bewusst, dass er keine Ahnung davon hatte, wem die Burg eigentlich gehörte. Ein Bevollmächtigter hatte ihn in Empfang genommen, kurz eingewiesen und war sogleich wieder verschwunden.

      Egal, Hauptsache jemand wird mir diese Tortur hier bezahlen.

      Er betrat die Burg durch den Seiteneingang, schloss hinter sich ab und lenkte seine Schritte durch die Eingangshalle der kleinen Wendeltreppe zu. Sie führte zu seinem Zimmer im Turm. Modriger Geruch von feuchten Steinen und alten Teppichen stieg ihm in die Nase. Nachdem er das Schlüsselbund und die schwere Stabtaschenlampe aus seinem Zimmer geholt hatte, begann die Runde wie jeden Abend. Die Lichter waren auszuschalten und die Türen abzuschließen. Während er routiniert die immer gleichen Handgriffe durchführte, dachte er daran, wie lächerlich das alles war.

      Wer sollte schon hier sein? Selbst die paar Touristen verschwinden nach den obligatorischen Erinnerungsfotos schnell wieder.

      Es gab imposantere Bauwerke in dieser an Burgen und Schlössern reichen Region. Zu stehlen gab es kaum etwas. Der größte Teil des Interieurs hatte bestenfalls ideellen Wert. Sein Weg führte ihn durch die beiden Stockwerke der Festung, die vor mehreren Jahrhunderten einem Angehörigen des niederen Adels Unterkunft geboten hatten.

      Dessen Name überdauerte die Zeiten. Der Grund dafür lag weniger in seinem nicht allzu beachtlichen Besitz als vielmehr in der berüchtigten Grausamkeit gegen Feinde als auch Untergebene. Mirko Harnisch hatte das in der großen Halle auf einem hölzernen Ständer ausgelegte Buch inzwischen fast ausgelesen. Die Mixtur aus uralten Chroniken und mündlichen Überlieferungen ließ jeden Leser schaudern. Eindringlich wurden die ausgeklügelten Folterpraktiken beschrieben, die während der Herrschaft des ehemaligen Burgherrn zu einer schrecklichen Kunst erhoben worden waren. Dabei hatte er stets große Mühe darauf verwendet, die Unglücklichen möglichst lange am Leben zu lassen, während einer seiner Folterknechte das Opfer langsam ausweidete. Gliedmaßen und Zunge wurden bei dieser Prozedur bevorzugt. Sie waren am leichtesten zu entfernen, ohne das Opfer unmittelbar zu töten. Das eigene Schicksal ereilte den Tyrannen schließlich im Jahre des Herrn 1456. Wer die Tat letztendlich fertiggebracht hatte, war umstritten geblieben. Lediglich ein dunkler Blutfleck blieb der Legende zufolge nach seiner Enthauptung an der Außenmauer haften. Harnisch hatte tatsächlich eine Verfärbung am fraglichen Stein gefunden, ohne sich über den wahren Ursprung sicher zu sein.

      Nachdem alle Lampen ausgeschaltet und alle Türen geschlossen waren, lag wie jeden Abend eine düstere Verlassenheit über dem Gemäuer. Dieser Zustand war Mirko Harnisch aus der Stadt unbekannt. In den ersten Tagen hatte er die Stille als unerträglich empfunden. Mittlerweile stellte sich eine gewisse Gelassenheit ein. Zusätzlich erhellte ein Gedanke sein Gemüt.

      Ein frisches Bier.

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