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Das unsichtbare Tor. Brigitte Regitz
Читать онлайн.Название Das unsichtbare Tor
Год выпуска 0
isbn 9783742783646
Автор произведения Brigitte Regitz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Also, hinter einem Toilettenspülkasten? Nein. Da konnten die Papiere herausrutschen. Außerdem waren die Unterlagen dann außerhalb ihrer Kontrolle. Solch ein unsicheres Versteck konnte sie nicht brauchen. Bei Lotte selbst im Büroschrank? Da würde sie ja wohl auf keinen Fall suchen. Allerdings konnte sie das Heft dort unter Umständen zufällig finden. Zudem könnte es sich als schwierig erweisen, das Heftchen dort wieder wegzunehmen. Schließlich hatte Ida in Lottes Büro nichts zu suchen. Das ging also genauso wenig, obwohl sie die Vorstellung, dass Lotte Unterlagen suchte, die sich in ihrem eigenen Büroschrank befanden, irgendwie amüsant fand. Bei dem Gedanken grinste Ida breit.
Sie begann wieder zu überlegen, zermarterte sich den Kopf, bis ihr endlich eine Idee kam. Sie stand auf, ging zu ihrem Sideboard, öffnete die rechte Tür und nahm einen der dort lagernden Briefumschläge der Shirt-Parade heraus, ging zu ihrem Schreibtisch zurück, setzte sich dahinter, nahm das Mäppchen, steckte es in den Umschlag, klebte ihn zu und schrieb die Adresse ihrer Mutter darauf. Anschließend stand sie auf, ging zu den auf dem Flur befindlichen Postfächern der Abteilung und warf das Kuvert in den Postausgang. Dann lief sie zurück in ihr Büro, zog ihre Jacke an, hängte sich ihre Handtasche um und begab sich auf den Weg in die Mittags-pause. Lotte stand immer noch an den Aufzügen, schnarrte Ida an: „Bitte öffnen Sie Ihre Tasche!“
„Gern“, lächelte Ida, zog den Reißverschluss ihrer Handtasche auf und fragte: „Ist etwas geschehen, wovon ich nichts weiß?“, dabei dachte sie, dass Lotte diese Frage gestellt haben könnte.
„Ja. Das soll auch so bleiben. Es handelt sich um nichts, was Sie wissen müssten“, lautete die bissige Antwort.
Ida wäre fast in lautes Gelächter ausgebrochen. Es gelang ihr aber, sich zusammenzureißen. Sie ließ die Durchsuchungs-prozedur mit einem ernsten Gesicht über sich ergehen. Als Lotte dann allerdings auch noch in Idas Jackentaschen griff, platzte sie heraus, rettete sich aber aus der Situation, indem sie prustend rief: „Ich bin so kitzelig“, wodurch ihre Abteilungsleiterin immer biestiger wurde und sie zurecht wies: „Nun stellen Sie sich nicht so an. Bei Flugreisen werden Sie doch auch nicht so ein Theater machen!“
Als Ida im Aufzug stand, schüttelte sie den Kopf. Was sich diese Frau doch herausnahm, eine Unverschämtheit war das! Offenbar hatten sich Idas Kollegen tatsächlich in die Jackentaschen greifen lassen, ohne aufzumucken, sonst hätte Lotte sich das bei Ida nicht mehr getraut. Wie viel Angst hatte diese Person doch in gerade einmal zwei Monaten unter den Angestellten mit ihren Drohungen erzeugt, Einträge in die Personalakte zu machen!
Ida stieg aus dem Lift, ging mit schlenderndem Schritt durch das Foyer, dann durch die Tür nach draußen, wo sie stehen blieb. Sie spürte den kühlen Wind im Gesicht, dachte an Tanja, biss sich unentschlossen auf der Unterlippe herum. Wie automatisch führten sie ihre Beine zu der Telefonzelle neben der Shirt-Parade. Sie nahm den Hörer von der Gabel, wählte wie hypnotisiert. Während sie darauf wartete, dass sich die Polizei meldete, starrte sie durch die an ihr vorbeigehenden Menschen hindurch. Endlich meldete sich eine Frauenstimme.
„Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben“, sagte Ida.
Der Kriminalkommissar, ein schlanker, hoch gewachsener etwa dreißigjähriger Mann namens Harald Jung saß Ida am Besprechungstisch der Abteilung gegenüber. Er hatte braunes, leicht gelocktes Haar und drehte mit Daumen und Zeigefinder der linken Hand hinter dem Ohr an einer Strähne. Dabei schaute er Ida durchdringend an: „Wir können Ihre Kollegin nur finden, wenn wir Anhaltspunkte für ihr Verschwinden haben. Wie sollen wir sonst suchen?“
„Sie haben doch Anhaltspunkte: ihren Mantel und ihre Hand-tasche, die Sie in ihrem Büro vorgefunden haben.“
„Gut. Was aber bedeutet das?“
„Dass sie das Haus nicht verlassen hat?“, schlug Ida vor.
„Vielleicht. Sie könnte die Shirt-Parade aber auch ohne die Sachen verlassen haben. Nur warum?“
Wieder starrte er Ida an, bis sie das Handy aus ihrer Tasche zog: „Das lag auf ihrem Schreibtisch. Es ist angeschaltet.“
Jung streckte die Hand danach aus, sagte vorwurfsvoll: „Das hätten Sie entweder liegen lassen oder mir sofort geben müssen.“
Er schüttelte den Kopf. Ida druckste schuldbewusst ein: „Ja, Sie haben ja Recht“, heraus.
„Wenn das eingeschaltete Handy auf ihrem Schreibtisch lag, vermute ich, dass ihre Kollegin überstürzt das Büro verlassen hat, freiwillig oder unfreiwillig. Das ist die Frage“, er machte eine Pause, sah Ida eindringlich an, schaute dann auf das Handy, drückte nacheinander Tasten, legte es auf seinen Schreibtisch zurück und sagte: „Wir werden im Präsidium versuchen es auszuwerten. Vielleicht findet sich etwas Brauchbares darauf. Haben Sie noch mehr gefunden oder wissen Sie etwas, was Sie mir bisher nicht gesagt haben?“
„Nein. Ich wünschte, ich wüsste mehr.“
Wegen der nachmittäglichen Präsenz der Polizei stand Lottes Laune auf dem Tiefpunkt: „Sie hätten zuerst mit mir sprechen müssen“, hielt sie Ida vor, die wie ein armer Sünder vor Lottes Schreibtisch stand. Sich hinzusetzen hatte ihr ihre Chefin nicht gestattet.
„Das wird ein Nachspiel haben. Dafür mache ich Ihnen einen Eintrag in die Personalakte!“
Ida starrte wortlos auf Lotte herab, die am Vortag nichts anderes zu tun gehabt hatte, als über Tanja herzuziehen. Wie schon häufiger, sah sie nur den schmalen Mund, an dem sie eine wegoperierte Lippenspalte zu entdecken glaubte. Eine Gänsehaut kroch ihr den Rücken hoch. Nie zuvor hatte sie mit einem Menschen zu tun gehabt, bei dem sie nur den Mund wahrnahm, wenn er sprach.
„Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, das Weg-bleiben von Tanja Beck mit der Shirt-Parade in Verbindung zu bringen?“
„Ihre persönlichen Sachen befanden sich alle hier. Ihre Tasche lag in der Schublade in ihrem Schreibtisch, wo sie sie immer aufbewahrt. Die Schublade war unverschlossen ...“
„So ist das also! Sie haben das Büro von Frau Beck durchstöbert. Das ist ja unglaublich. Was fällt Ihnen eigentlich ein?“
Lotte beugte sich vor, wirkte wie eine angriffsbereite Katze, die zum Sprung ansetzt. Ida wich instinktiv einen Schritt zurück, stieß an ein hinter ihr stehendes Sideboard, zuckte erschrocken zusammen.
„Entschuldigung, ja, es tut mir leid, Sie nicht angesprochen zu haben, aber hier ist einer Ihrer Mitarbeiterinnen womöglich etwas zugestoßen, interessiert Sie das denn gar nicht?“, presste sie heraus, Tränen schossen ihr in die Augen, Tränen der Wut über diese eiskalte Person, und Tränen der Angst um Tanja.
„Wenn das in die Presse kommt! Sie müssen doch an das Image des Unternehmens denken!“, lautete Lottes lapidare Antwort.
Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis Wilfried Weiß, der Reporter der Bildberg-Rundschau, erschien, ein schlanker, blonder Mann, um die dreißig Jahre alt. Die offenen Bürotüren machten es ihm leicht, von Büro zu Büro zu laufen. Er klopfte jedes Mal an die offene Tür, bevor er fragte: „Darf ich eintreten? Ich komme von der Bildberg-Rundschau.“
„Kommen Sie herein“, lautete stets die Aufforderung. Die An-gestellten waren nur zu froh, über die Geschehnisse in ihrer Abteilung sprechen zu können. Der Reporter machte Notizen in seinem schmalen Block, den er in der linken Hand hielt, bis Ingeborg Lotte seinem Tun ein Ende setzte. Sie schoss geradezu in den Raum, in dem er bei einer Tasse Kaffee mit zwei Mitarbeitern plauderte, rief: „Herr Weiß weiß alles“, und scheuchte den Mann mit den Worten davon: „Verlassen Sie augenblicklich diese Räumlichkeiten! Sie haben hier nichts zu suchen. Meine Mitarbeiter werden fürs Arbeiten bezahlt, stehlen Sie ihnen nicht die Zeit. Also, raus mit Ihnen!“
Sie hatte die Arme angriffslustig in die Hüften gestemmt und