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       Vae Victis

       Roms Niederlage

       György Kristián Szitás

       Impressum

      Texte: © Copyright by Jörg Ch. Seubert

       Umschlag: © Copyright by Jörg Ch. Seubert

       Verlag: Jörg Christian Seubert

      91207 Lauf an der Pegnitz

       [email protected]

      Pseudonym: György Kristián Szitás ist ein Pseudonym des Rechteinhabers.

      Syntax: Die in „#“ geklammerten Zeilen dienen als Hinweis für den Ort und die Zeit, in der das jeweilige Kapitel startet.

       Die Kundschafter

      # Gallia Transalpina, 351 ab urbe condita, ein Mondzyklus bis Samhain, (Monat des Regens) (=~ 402 v. Chr., 1. Oktober) #

      Jotan erhob sich langsam und schwerfällig von seinem Lager, in ihm brodelte die Wut über die zurückliegenden Monde, aber er fühlte sich im Moment älter, als er eigentlich war. Die Hungersnot, die sich in vielen Teilen des Landes breit gemacht hatte, nachdem im Jahr zuvor der Winter zu lange gedauert hatte, der Sommer verregnet war und keine Ernte eingefahren werden konnte, war auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen.

      Als Lehrling eines Druiden, der den Rang eines Nimrod erreicht hatte, kannte er die Zeichen der Natur, er wusste, dass die Zeit zum Aufbruch nahe war, und wenn sie noch länger warten würden, käme ihnen der Herbst mit seinen Stürmen und schließlich der Winter mit seinen Schneefällen zuvor. Er würde zu Rango, dem derzeitigen Brennos gehen und ihn davon überzeugen, dass sie nicht mehr länger warten konnten, ja durften. Er wusste aber auch, dass Rango, als erfahrener Heerführer, oftmals die Zeit für sich arbeiten ließ und abwartete.

      Jotan blickte aus der Türe und sah die beiden Gräber, so wie er sie vor Jahren in einer Vision wahrgenommen hatte. Er hatte bei der Hochzeit diese Vision gehabt und dabei auf brutalste Weise erfahren, dass all seine Heilkunst dies nicht zu verhindern vermochte. Auch dieser Teil der Hungersnot war an ihm nicht spurlos vorübergegangen.

      Und diese Missernte würde noch mehr Opfer fordern, wenn der Brennos Rango noch länger warten würde. Der Regenmonat war bis zu seiner Mitte vorgerückt, Samhain war also nur noch einen Mondzyklus entfernt. Wenn sie bis zum Schneemonat warten würden, käme es zu einer Katastrophe. Und das nicht nur, weil sich an Samhain die Geister aus ihren Gräbern erheben würden.

      Rango hatte einen Verbund aus Senonen, Cenomanen, Insubrern, Helvetiern, Haeduern, Belger und Boiern um sich versammelt, damit diese mit ihm nach Süden, über die Alpen ziehen, um dort nach neuen Lebensräumen zu suchen. Die Ernten der letzten Jahre waren schlecht gewesen und die Länder konnten nicht mehr so viele Leute ernähren, deshalb hatten sich die Zweit- und Drittgeborenen, die Unzufriedenen und nicht zuletzt die Armen aus diesen Völkern zusammengetan, um im Süden ihr Glück zu suchen. Notfalls würden sie es sich auch mit Gewalt holen.

      Und all diese Leute – Krieger, Handwerker, Bauern, Frauen und Kinder – hatten ihn zu ihrem Brennos, ihrem Anführer, ihrem Kriegshäuptling erhoben.

      Doch im Moment zogen sie nicht in den Krieg – und es gibt nichts schlimmeres als „arbeitslose“ Krieger, die sich langweilen.

      Jotan selbst war einige Winter älter als Rango, zwar ein guter Krieger, aber kein Führer. Er kannte die Möglichkeiten, die sich aus der Natur ergaben. Er las am Flug der Vögel, den Ohren der Rehe und Hirsche und dem Geheul der Wölfe wann Gefahr drohte. Hin und wieder hatte er Träume, die sich dann in der Realität wiederholten. Meist deuteten diese Träume auf ein entscheidendes Ereignis hin, das vieles veränderte.

      So im letzten Frühjahr, als seine Frau im Kindbett starb und kurz darauf auch ihre Tochter. Noch kurz vor der Geburt hatte er, wie bereits bei seiner Hochzeit, im Traum zwei Gräber gesehen und war heilfroh, dass sich dieser Traum nicht bestätigte. Zunächst!

      Aber dann bekam seine Frau Fieber – und kurz darauf ihre Tochter ebenfalls.

      Als Heiler hatte er schon manches Fieber gesenkt und auch so manche Art von Fieber kennengelernt – und die Kranken waren wieder gesund geworden, aber bei seiner eigenen Familie war er hilflos. Er hatte alle seine erlernten Heilkünste angewandt, aber kaum dachte er, dass das Fieber langsam sank, stieg es wieder. Es schien fast so, als hätten beide zu wenig Kraft, weil über den Winter einfach zu wenig zu Essen eingelagert war.

      Das Fieber schüttelte seine Frau und er wusste nicht weshalb. Er hatte seiner Frau jeden Bissen abgegeben, war im schlimmsten Schneegestöber auf die Jagd gegangen, damit genug Essen im Haus war, doch sie erbrach sich immer wieder. Jotan packte Schnee in die Wadenwickel, die er seiner Frau machte, ihre Stirn glühte und sie fror. Er kochte Wasser mit getrockneten Lindenblüten und Holunderblüten auf und zwang sie dazu, den Sud zu trinken.

      Aber das Fieber stieg bei beiden unaufhaltsam und dann sah er die Gräber in der Wirklichkeit!

      Er verbarg seine Gefühle tief in sich, aber die Dunkelheit, die sich seither seiner Seele bemächtigt hatte, war nicht mehr zu verbergen.

      Nun, in der letzten Nacht, träumte er von bewaffneten Männern, die versuchten vor senonischen, insubrischen und boierischen Kriegern durch einen Sumpf zu fliehen, was ihnen wegen ihrer eisernen Gewänder nicht gelang. Und er sah schnatternde Gänse, die in einer steinernen Stadt Laut gaben, weil cenomantische und senonische Krieger versuchten, an ihnen vorbei zu schleichen.

      Und er sah Rango als den Anführer dieser Krieger, aber da war noch ein jüngerer Krieger, der zwei lange Schwerter am Rücken trug.

      Jotan streckte sich, wandte sich von der Türe ab, strich sich mit seinen Händen durch den langen schwarzen Bart, band seine langen Haare zu einem Zopf zusammen und verließ seine Hütte. Er musste zu Rango, um ihn zum Abmarsch zu bewegen.

      Als er an den Gräbern vorbeiging erhob sich ein kalter Wind, der einige gefallene Blätter über die Gräber wehte und aus einem Busch heraus heftete sich ein großer, schwarzer Hund, mit hängenden Ohren an die Fersen Jotans.

      +++

      Rango saß auf einer Bank vor seiner Hütte und trank einen Krug frischen Corma, das ihm seine Frau gemacht hatte. Wie die meisten Häuser am Ufer des Lem, des großen Sees nördlich der Alpen, der vom Rottu durchflossen wurde, bestand das Haus aus einem Stockwerk, das aus behauenen Felsbrocken gefügt war. Darüber erhob sich das Dach, aus Balken und Stroh. Die Firstseiten waren mit Brettern verschlossen. Der Dachboden diente entweder als Vorratslager oder als Schlafkammer, je nachdem wie viele Personen in dem Haus lebten.

      Jotan schritt mit seinem auffallend hellen Gewand direkt auf Rango zu. Dieser hatte schon mit ihm gerechnet, für seine über vierzig Winter, die der Krieger, Heiler und Seher schon auf dem Buckel hatte, und den einige von Rangos Leute nicht nur für einen Druiden, sondern einen Zauberer hielten, war er eindeutig zu ungeduldig.

      Aber der Brennos konnte ihn verstehen.

      Mehr als eintausend Krieger, Handwerker, Bauern, Frauen und Kinder waren mittlerweile mit ihren Tieren, Wägen und Karren in seinem Gebiet angekommen und irgendwie musste er diese Leute noch über den Winter bringen, denn der Abmarsch für dieses Jahr war verpasst. Aber Rango wollte sich seiner Sache sicher sein und dass die Götter ihm wohlgesonnen waren, zeigte der Besuch des ungeduldigen Sehers.

      Jotan war als junger Mann bei einem Druiden zur Ausbildung gewesen und hatte einige Jahre von diesem gelernt, sein Vater war der Bruder des Stammesführers, von dessen Stamm auch Rango stammte. Ihre beiden Mütter waren Schwestern gewesen.

      Als Jotan fünf Jahre bei dem Druiden gelernt hatte, wurde jener von Räubern überfallen und starb an den Verletzungen. Jotan packte der Jähzorn und er erschlug den Räuber mitsamt dessen Familie, woraufhin die Verwandten des Räubers eine Entschädigung wollten, die Jotan nicht zahlen konnte und auch nicht wollte. So musste Jotan fliehen, wollte er sein Leben nicht als Sklave in einem

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