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fühlte sie seine Zungenspitze in ihrem Ohr und vernahm ein Flüstern. „Du bist eine wundervolle Tänzerin.“

      Der Gedanke, mit einem Mann zu schlafen, kam Regina immer öfter in den Sinn. Das entsprach zum Teil einem starken Bedürfnis, das sie manchmal unvermittelt packte und schüttelte wie ein Sturm, geradezu ein physischer Schmerz, den sie nicht los wurde. Dazu kam eine kaum bezähmbare Neugier, der Drang zu wissen, was Liebe eigentlich ist. Natürlich konnte sie nicht mit dem erst besten ins Bett steigen. Es musste jemand Besonderes sein, ein Mann, den sie lieben und achten konnte.

      Sie hatte sich einen Mann ausgesucht, den sie nicht haben durfte. Saschas Bruder! Er stand kurz vor der Priesterweihe. Er würde in den nächsten Jahren als Kaplan, als Hilfspriester einem Pfarrer unterstellt sein und sich einem extraterritorialen Seelsorgebereich für einen bestimmten Personenkreis widmen. So sein Plan.

      Um Mitternacht verließ sie mit Saschas Bruder, der nicht mehr nüchtern war, die Party und gab sich ihm hin.

      Das kurze Abenteuer entpuppte sich als eine Katastrophe. Regina war so nervös und er, so betrunken, dass es eine riesige Enttäuschung wurde. Das Vorspiel erschöpfte sich darin, dass er die Hosen fallen ließ und ins Bett plumpste. Da war Regina bereits kurz davor, die Flucht zu ergreifen, aber sie bezwang sich. Also zog sie sich aus und kroch zu ihm ins Bett. Im nächsten Moment, ohne dass Zärtlichkeiten vorausgingen, drang er in sie ein. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie. Nicht gerade unangenehm, doch sie konnte beim besten Willen auch nicht behaupten, die Erde hätte gebebt. Der Körper des Mannes zuckte ein paarmal schnell hintereinander und Sekunden später war ein lautes Schnarchen zu hören. Da lag sie nun, von tiefer Selbstverachtung ergriffen. Das war es also, wovon die Lieder, Bücher und Geschichten handelten.

      Niemand durfte je davon erfahren. Es blieb allerdings nicht bei der einen Nacht. Regina musste sich im Punkt Verführung etwas anderes einfallen lassen … und so wurde sie Saschas Ehefrau ...

      Chantal kam zu Regina aufs Sofa herüber, nahm sie in die Arme und begann, sie besänftigend, wie ein Kind, zu wiegen. Regina hatte das Gefühl in eine warme Decke gehüllt zu sein. Sie brauchte kein Theater mehr zu spielen.

      „Ach mein Liebling,“ tröstete sie Chantal. Sie begleitete ihre Worte mit sanften Küssen auf Reginas Schläfen und Wangen. „Du bist so verletzt und so allein ...“

      Mit diesem Kurs war sie immer hart am Wind gesegelt, aber noch nie gekentert.

      Die weichen warmen Lippen und die weiche Haut an der ihren lösten in Regina eine köstliche Woge der Lust aus, die sie zu überrollen drohte. Für einen kurzen Augenblick entspannte sie sich in der sinnlichen Umarmung. Als ihr die Sache zu prekär wurde, riss sie sich dann jedoch jäh los. „Das ist mir alles so neu“, flüsterte sie verstockt.

      Chantal schob sie auf dem Sofa sanft von sich weg. „Wir können auch aufhören. Ich will Dir nichts aufdrängen, was Dich vielleicht unglücklich macht“, gab sie genauso leise zurück. Auf ihrer Stirn, direkt über der Nase, entstanden zwei tiefe, steile Falten. Sie lehnte sich zurück, als ob sie plötzlich erschöpft sei.

      Einen Augenblick lang herrschte Stille.

      Dann sprach Regina mit unvermutetem Nachdruck: „Du machst mich bestimmt nicht unglücklich“, hörte sie sich zu ihrem Erstaunen sagen.

      Die Falten auf Chantals Stirn verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Sie näherte sich ihr wieder. Langsam und zärtlich streichelte sie ihr über die Brust.

      Wieder wich Regina zurück. Eine Träne lief ihr über die Wange. „Das habe ich noch nie gemacht, ich weiß nicht ...“

      „Entschuldige“, murmelte Chantal und zog sofort die Hand zurück.

      Es entstand eine kaum wahrnehmbare Pause, dann sagte Regina ruhig: „Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen.“ Ohne Hast öffnete sie ihre Bluse. „Es ist mir so ziemlich egal, was die anderen von mir denken“, erklärte Regina mit mühsamer Beherrschung.

      „Du bist schon ein verrücktes Ding.“ Chantal küsste ihr die Träne fort. „Du schmeckst ganz salzig.“

      Ihre Lippen trafen sich, und in beiden erwachte die Leidenschaft, die sie verband. Wie eine ertrinkende klammerte sich Regina an Chantal. Für Sekunden gab sie sich der Illusion hin, mit ihr zu verschmelzen, eins zu werden, ihrer Einsamkeit zu entfliehen. Ihre Träumerei kam abrupt zum Stillstand, als zu ihrem Erstaunen ihr Körper unaufhaltsam zurück ins Bewusstsein gezogen wurde. Welle um Welle der sexuellen Erregung brandete in ihr auf. Was geschah bloß mit ihr? Mein Gott, sie hatte ja einen Orgasmus!

      Regina begann ihr eigenes Leben zu leben und es führte kein Weg zu der Vertrautheit vergangener Tage zurück.

      Im Zoo

      Frankys Horoskop: Manchmal ist es gut, fünf gerade sein zu lassen – manchmal aber auch nicht.

      Obwohl Franky nur wenig Zeit in seiner Dreizimmereigentumswohnung mit zwei Badezimmern zubrachte, hatte er nicht an der Einrichtung gespart. Die Küche, ein Traum in weiß gebeizter Eiche, diente meist nur als Kulisse für mitgebrachten Imbiss vom Italiener. Hier stand auch ein Fernsehapparat. Das behagliche Wohnzimmer mit den weißgetünchten Wänden schmückten zwei große schwarze Ledersofas und zwei mit Zeitungen vollgestopfte große Weidenkörbe. In mehreren Regalen stapelten sich Bücher und DVDs, denen sich Franky, wenn er einmal Zeit hätte, widmen wollte. Die Wände hingen voll mit gerahmten Karikaturen, Lithographien und Bildern, die ihm bei seinen Reisen ins Auge gesprungen waren. Auf verschiedenen Tischen, von denen manche mit Keilen aus Zeitungspapier am Kippen gehindert wurden, befanden sich weitere Bücher und gerahmte Fotos, mit gezacktem Rand, unter anderem eines von Chantal.

      Vom Wohnzimmer aus betrat man eine kleine schmucke Essecke, die mangels Benutzung immer ordentlich blieb.

      Franky schlüpfte in seine Sportschuhe, verließ das Haus, trat auf die Straße und lief einfach los. Es war Samstag, irgendein Fußballspiel musste wohl anstehen, denn als Franky am U-Bahnhof eintraf, war es furchtbar voll. Ohne zu wissen, wohin er eigentlich wollte, ließ er sich von der Menschenmenge die Rolltreppe hinabspülen und blieb schließlich an dem Bahnsteig, an dem die Züge in Richtung Innenstadt fuhren, stehen. Es stank nach Schweiß und Ärger. Die Fußballfans waren überall, mit ihrem Bier-Atem und ihren aggressiven Gesängen. Franky wurde von dem Strom der Menschen in eine Bahn gespült. Er stand eingequetscht zwischen zwei Hünen, die Bahn fuhr ruckartig an. Franky hatte den Rucksack eines Mannes vor seinem Gesicht, der Reißverschluss schrammte seine Wange entlang, als die Bahn sich in eine Kurve legte. Die Scheiben waren beschlagen, da waren keine Menschen mehr, da war nur noch eine im selben Rhythmus, dieselbe feuchte, ungesunde Luft atmende Masse. Franky versuchte sich mit Hilfe seines Ellbogens ein wenig Platz zu verschaffen, die Menge um ihn herum wich keinen Millimeter, die Luft war keine Luft mehr, sondern heiß und teigig und fest. Jemand stimmte ein Lied an, die Masse brach in verzücktes Gebrüll aus. Franky biss die Zähne zusammen. Am Hauptbahnhof wurde er dann aus der feuchten Hitze hinausgedrängt. Die Menge spülte ihn in Richtung Ausgang. Franky kämpfte sich durch die Menschenmassen, bestieg die erstbeste Straßenbahn und stieg an der Haltestelle: Zoo, wieder aus.

      Er löste eine Eintrittskarte und machte einen Sparziergang.

      Welch ein herrlicher Tag dachte Sascha. Genau der Tag, an dem man einen Ausflug in den Zoo machen sollte. Als Sascha Arm in Arm mit seiner Frau durch den Tierpark schlenderte und seiner Tochter nachsah, vernahm er auf einmal eine ihm bekannte rauhe, scharfe Stimme: „Hier entlang, Simon.“

      Er hörte sie barsch sagen: „Los doch Simon!“

      Dann drehte er sich um. Julia ging nur ein paar Schritte hinter ihm – und bewegte sich energisch auf ihn zu. Jeden Moment konnten ihr giftige Reißzähne wachsen.

      Zuerst dachte Sascha, es müsse sich um einen Zufall handeln. Doch als er in ihr Gesicht sah, wusste er Bescheid. Julia plante eine Familienzusammenführung.

      Wie ein Wahnsinniger überlegte er scharfsinnig, wie er dem Schicksal entrinnen konnte.

      „Kommt, beeilt

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