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da gibt es Leute, die glauben, die Bundeswehr hole die Erzie­hung nach, die von den Eltern versäumt wurde. Übrigens noch eine Bemerkung: Die Frau war nach ihren Angaben nicht angesäuselt, wie Sie es ausgedrückt haben, sondern total betrunken. Wer einen solchen Zustand ausnutzt, macht sich einer schweren Straftat schuldig.“

      Während er den Beschluss, ein Gutachten zu erholen, diktierte, verließen die Kindsmutter und der Soldat einträch­tig den Sitzungssaal.

      Für die nächste „Sache“, wie die Juristen zu sagen pflegen, brauchte Dr. Prell nur eine Minute: Ein junges Mannequin hatte ein Kind zur Welt gebracht und wusste nicht, wer der Vater war. Zwei Männer, die sie als ihre Partner benannt hatte waren durch ein Vaterschaftsgutachten ausgeschlossen worden. Dr. Prell fragte die junge Frau, ob sie nicht doch noch irgendwie Anhaltspunkte für die Suche nach dem wirklichen Vater beisteuern könne. Sie antwortete:

      „Nein, das kann ich nicht. Ich war auf der Mailänder Modemesse. Da sind lauter schöne junge Leute, die nichts zu tun haben. Ist doch klar, was da passiert: Sie glauben es nicht, wie da rumgevögelt wird. Ich kenne die Männer gar nicht... Ich weiß nicht einmal, aus welchem Land die kamen.“

      Dr. Prell dachte bei sich: Ob die Frau weiß, was auf sie zukommt, wenn sie nun ihr Kind allein aufziehen muss? Irgendwie wunderte er sich darüber, dass sie mit ihrer locke­ren Moralauffassung das Kind nicht abgetrieben hatte.

      Zum Abschluss kam noch ein Fall zur Verhandlung, der dem Akteninhalt nach eine Routineangelegenheit war: Ein Ehemann focht die Vaterschaft an mit der Behauptung, dass seine Frau die Ehe gebrochen habe. Die Ehefrau gab dies zu und behauptete, der Mann, mit dem sie Geschlechtsverkehr gehabt habe, sei ihr unbekannt. Natürlich musste auch hier ein Gutachten darüber erholt werden, ob der Ehemann der Vater war oder nicht.

      Dr. Prell legte nun eine kleine Sitzungspause, bevor er die allgemeinen Streitigkeiten behandelte. Vor dem Saal traf er die Vertreterin des Jugendamts und fragte sie:

      „Na, wie geht’s denn so?“

      „Viel Arbeit!“ erwiderte diese und fuhr fort: „Wissen Sie, dass sich hinter dem letzten Fall eine tiefe menschliche Tragik verbirgt?“

      „Ich glaube, dass Vaterschaftsprozesse oft Tragödien zum Hintergrund haben: Wenn ich mir die vielen Mädel so vorstel­le, die sich oft dumm und leichtgläubig auf etwas einlassen, was sie allein kaum durchstehen können.“

      „Um auf den letzten Fall zu kommen: Da habe ich eine tolle Geschichte gehört – unter dem Siegel der Verschwiegen­heit – versteht sich. Aber Ihnen kann ich’s ja erzählen, denn Sie dürfen ja auch keine Dienstgeheimnisse ausplaudern. Sie sollen doch wissen, um was es in Ihrem Prozess geht. Wenn die Gerüchte zutreffen, wissen die beiden Eheleute genau, wer der Ehebrecher ist und wer also auch als Vater in Betracht kommt. Sie schämen sich nur, das zuzugeben.“

      „Sie machen mich ja richtig gespannt. Normalerweise bin ich ja froh, wenn mir der Hintergrund meiner Prozesse erspart bleibt, denn ich bin schon mit dem Vordergrund voll ausge­lastet. Aber ich bin überzeugt, dass es etwas anderes ist, wenn Sie es mir erzählen wollen.“

      „Also, die Ehefrau des letzten Falles stammt aus den Philippinen. Ihr Mann hat sie auf einer Urlaubsreise kennen gelernt und nach Deutschland mitgebracht. Es hat damals eine große Hochzeit gegeben, über die sogar die Zeitungen berichtet haben, denn der Bräutigam war der Sohn des Bürgermeisters von Rockszell. Sie haben ja schon sicher von dem Mann gehört: Er ist der größte Hurenbock, der hier frei herum läuft...“

      „Solche Ausdrücke bin ich ja von Ihnen gar nicht gewohnt, Frau Wahlmann“, meinte Dr. Prell lachend.

      „In dem Fall treffen Sie aber genau den Kern der Sache, wie noch sehen werden: Auf der Hochzeit waren alle Beteiligten ziemlich betrunken. Irgendwann wurde die Braut entspre­chend dem alten Brauch entführt – vom Vater des Bräutigams und einigen Burschen. Der Vater hat die Braut in einem Zimmer des Hotels, in dem man feierte, versteckt. Dort hat er ihr erzählt, dass nach bayrischer Sitte die erste Nacht dem Vater des Bräutigams gehört. ‚Ius primae noctis‘ hat er das genannt, und die dumme Gans von Frau hat das geglaubt und mitgemacht. Ja, und nun weiß man nicht, von wem das Kind ist. Vater und Sohn sind zerstritten und das junge Paar auch. Eine einzige Katastrophe!“

      Bevor sich Dr. Prell verabschiedete, konnte er sich diese Bemerkung nicht verkneifen:

      „Wenn man hört, was in Bayern so alles unter dem Begriff ‚Brauchtum‘ verstanden wird, muss man direkt Gott danken, als Preuße auf die Welt gekommen zu sein.“

      4. Eheberatung

      Nachdem Dr. Prell das Pensionsalter erreicht hatte, hatte er keine Lust, sich zur Ruhe zu setzen. Da er sich wegen der gesetzlichen Bestimmungen nicht als Rechtsanwalt niederlassen konnte, arbeitete er als Mediator. Er half also scheidungswilligen Paaren, ihre Angelegenheiten so billig wie möglich zu regeln. Wenn nämlich erst die Anwälte solche Sachen ihre Finger bekommen, wird es teuer: Die Aufteilung des ehelichen Vermögens ist für sie insbesondere dann eine ergiebige Geldquelle, wenn es um ein Haus oder um andere größere Werte geht. Da kann ein Anwalt unter Umständen mit einer einzigen Scheidung mehr verdienen als ein normaler Arbeitnehmer in einem ganzen Jahr.

      Kaum hatte Dr. Prell mit seiner neuen Tätigkeit begonnen, tat er etwas, was nur wenigen einfällt. Er dachte über den Sinn seines Handelns nach. Und er fragte sich, was mit diesen Paaren passiert sein musste, die erst total verliebt die Ehe geschlossen hatten und sich dann spinnefeind gegenüber standen. Es musste doch eine Möglichkeit geben, sozusagen das Rad des Lebens zurückzudrehen, um wieder weiter vorne anfangen zu können.

      Da er psychologische Kenntnisse hatte, entwickelte er eine Methode, die als Prell’sche Retrospektiv-Visualisierung allgemeine wissenschaftliche Anerkennung fand. Wer sich für solche Probleme interessiert, kann sich in der Literatur darüber informieren. Hier sei nur kurz auf diese Thesen eingegangen. Dr. Prell hatte ein schlichtes Phänomen beobachtet: In der Wirtschaft halten die verantwortlichen Personen an Fehlentscheidungen fest, auch wenn alles dadurch nur noch schlimmer wird. Man nennt dies heute „Escalation of Commitment“. Dr. Prell stellte sich nun die Frage, warum es bei Eheleuten häufig genau umgekehrt ist: Sie wollen an einer Entscheidung, nämlich der Heirat, nicht mehr festhalten, obwohl sie ursprünglich völlig richtig war. Und so erfand Dr. Prell ein Programm, durch welches die zerstrittenen Eheleute gemeinsam den Schutt wegräumten, der ihre Liebe erstickt hatte.

      Eines Tages kam ein junges Paar in das Büro von Dr. Prell, das ihm zutiefst unsympathisch war, genauer gesagt war es die Frau, die ihm geradezu als Antityp dessen erschien, was ihm normalerweise als weiblich erschien. Nicht, dass sie übel ausgesehen hätte – vom Haarschnitt abgesehen, der eher einer Soldatin angestanden hätte. Auch sonst schien sie die Mentalität einer Kämpferin zu haben. Dr. Prell schaute sie durchdringend an und murmelte etwas von völliger Überlastung: Er wisse nicht, wie er ihren Fall noch in seinem Terminkalender unterbringen könne.

      „Ach bitte, nehmen Sie uns doch dran“, bat der junge Mann. „Wir haben so große Hoffnungen in Sie gesetzt.“

      „Du meinst: Du hast große Hoffnungen...“, verbesserte sie ihn.

      Dr. Prells Ehrgeiz war geweckt. Er dachte an „Der Widerspenstigen Zähmung“ von Shakespeare: Wie war noch gleich diese Geschichte, in der eine „Kratzbürste“ in ein liebendes Wesen verwandelt wurde? Ihm wollte es nicht recht einfallen. Also musste er sich etwas anderes ausdenken. Das kostete Zeit, und so sagte er:

      „Es könnte sein, dass im nächsten Monat ein Platz für Sie frei wird. Lassen Sie Ihre Telefon-Nummer hier, und ich rufe Sie dann zurück.“

      Die beiden gaben ihm einen Zettel mit sechs Nummern, denn jeder hatte seinen privaten und beruflichen Anschluss sowie ein Handy.

      Getrennt leben sie also, dachte Dr. Prell. Ob sie sich getrennt hatten oder niemals zusammen gezogen waren, wie es einem neuen Trend entsprach? Immer mehr Menschen waren ja nicht mehr bereit, die Freiheiten ihres Single-Daseins wegen einer Partnerschaft oder Ehe aufzugeben.

      Eine

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