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      Verwandlung der Seele

      Der Schnellzug Moskau – Sankt Petersburg beschleunigte sein Tempo lautlos und entfernte sich mit zunehmender Geschwindigkeit vom winterlich-verschneiten Moskau. Ich war auf dem Weg zu meiner langjährigen Freundin Tamara, die mich gemeinsam mit ihrem Mann Pawel zum Ballett „Spartakus“ eingeladen hatte. Nach dem Abitur hatte Tamara Psychologie studiert, drei Jahre später Pawel geheiratet und war dann bei ihm in Sankt Petersburg geblieben. Die Hauptrolle in „Spartakus“ war mit Andris Liepa besetzt, meinem Lieblingstänzer. Ich hoffte, dass es in Petersburg an diesem Wochenende nicht so kalt wäre wie in Moskau, weil ich mit Tamara noch durch die Stadt bummeln wollte. In Gedanken genoss ich bereits diese zwei besonderen Tage des Wochenendes, die ich mir bei meinem ausgefüllten Arbeits- und Familienalltag nur mit großer Mühe leisten konnte. Damit es meinem Mann zu Hause nicht langweilig würde, hatten wir vereinbart, dass er während meiner Abwesenheit seine Verwandten in Moskau besuchte. So fuhr ich leichten Herzens zum Wiedersehen nach Sankt Petersburg.

      Mein Schlafabteil war für zwei Personen ausgelegt, aber obwohl wir seit einigen Minuten unterwegs waren und der Zug immer weiter an Fahrt aufnahm, blieb mein Nachbarplatz leer. In der Hoffnung, dass ich die Fahrt alleine genießen dürfte, machte ich es mir gemütlich. Das Schicksal aber wollte es anders und meinte wohl, dass zu gut nicht immer gut sei – alles nur in Maßen.

      Plötzlich fuhr die Schiebetür laut zur Seite und vor mir erschien ein gut gebauter Herr mit einem kleinen flachen Koffer in der Hand. Genauer gesagt handelte es sich um einen Herrn, der nach einem Ausländer aussah. Meine Vermutung bestätigte sich, als er nach Platz fünf fragte und mir seine Fahrkarte zeigte.

      „Ja, Platz fünf ist hier. Generell werden Fahrkarten in Schlafwagen aber nur an Personen desselben Geschlechts verkauft“, konnte ich auf meinen Sarkasmus nicht verzichten und hoffte, dass der Mann genauso plötzlich verschwinden würde, wie er erschienen war.

      „Ja, ja, Recht haben Sie völlig“, sagte er eilig. „Dieses Ticket gehört Kollegin Birgit, aber sie ist krank plötzlich, deshalb muss ich fahren zu einem Treffen für sie. Entschuldigung bitte.“ Obwohl er alle Worte deutlich aussprach, klangen der starke Akzent und die außergewöhnliche Wortfolge seiner Rede so ausgefallen und lustig, dass ich nur mühsam mein Lachen unterdrücken konnte.

      „Verstehe.“ Ich zuckte mit den Schultern und schaute mit großem Bedauern auf den obersten Liegeplatz, auf den ich mich in der Nacht wohl zum Schlafen würde begeben müssen.

      Der Mann fing meinen Blick auf und beeilte sich, mich sofort zu beruhigen:

      „Wenn Sie gerne möchten, erlaube ich Ihnen, unter mir zu schlafen. Ich bin ein Mann, ich muss oben liegen.“

      „In Ordnung, genauso machen wir es.“ Ich bedankte mich bei meinem Mitreisenden und lächelte über die Doppeldeutigkeit seiner Worte.

      Nach ungefähr zwanzig Minuten, als das Gepäck untergebracht und die Fahrkarten geprüft waren, reichte mir mein Nachbar seine Hand und stellte sich, sichtbar bemüht um ein adäquates Russisch, vor:

      „Ich bin Michael Stein.“

      „Elena Malachova, sagen Sie einfach Lena“, erwiderte ich und gab ihm die Hand. „Sehr angenehm.“

      „Lena, darf ich Sie ins Restaurant einladen? Ich habe Hunger. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.“

      Ich fand meinen Mitreisenden interessant, deshalb sagte ich ihm sofort zu.

      „Was sind Sie von Beruf?“, fragte Michael, während er für mich Salat und sich ein Steak bestellte.

      „Ich bin Übersetzerin und arbeite in einem technischen Verlag. Mein Beruf ist eher langweilig als romantisch.“

      „Und welche Sprachen übersetzen Sie?“, fragte mein Nachbar interessiert.

      „Vom Englischen ins Russische. Französisch habe ich fast vergessen, weil ich es kaum benutze.“

      „Wollen wir uns auf Englisch unterhalten? Das kann ich besser als Russisch“, wechselte er sofort zu der mir bekannten Sprache und ergänzte: „Ich habe gemerkt, wie Sie auf mein Russisch reagieren – es zerreißt Ihnen das Ohr.“

      Er ist sehr aufmerksam und gar nicht so einfach, wie es scheint, dachte ich.

      „Wären Sie beleidigt, wenn ich Ihnen vorschlage, mit mir Bruderschaft zu trinken und uns aufs Duzen zu einigen?“

      „Einverstanden!“ Ich erhob mein Glas. „Aber küssen werden wir uns nicht.“

      „Wenn du mir jetzt noch sagst, wie alt du bist, erzähle ich dir gern, warum ich einer Frau eine solch indiskrete Frage überhaupt stelle. Zuerst aber sage ich, dass ich in einem Monat siebenundfünfzig werde.“

      „Ich bin neunundvierzig. Und warum nun fragst du?“

      „Weißt du, ich suche eine russische Frau, die mich heiraten möchte.“

      „Ich bin verheiratet“, reagierte ich blitzschnell.

      „Ach, wie schade!“, sagte Michael sehr enttäuscht. „Dein Englisch ist sehr gut und du kannst ein wenig Französisch, da könntest du ohne große Mühe auch Deutsch lernen … Verzeih, ich bin etwas undiplomatisch. Aber ich habe nicht vor, dich aus der Familie zu entführen. Obwohl du mir auf den ersten Blick sympathisch bist.“

      Nach diesen Worten fiel ihm wahrscheinlich meine Anspannung auf, deshalb drückte er leicht meine Hand und fügte sanft hinzu: „Verzeih, ich hatte nichts Schlechtes im Sinn. Ich kann dir von meinem Leben erzählen, wenn du daran Interesse hast.“

      Natürlich interessierte mich das sehr, und so erklärte ich mich sofort bereit, ihm zuzuhören und seinen Lebensweg zu verfolgen.

      Michael wurde in der Nähe von Frankfurt am Main geboren. Nach dem Studium an der Technischen Universität Berlin arbeitete er als Verkaufsmanager in einer großen Firma. Er liebte seine Arbeit, in der er gut vorankam und erfolgreich war. Als 1989 die Berliner Mauer fiel und sich das Tor zu Osteuropa öffnete, war er als Spezialist für die neuen Märkte sehr gefragt. Da er recht gut die russische Sprache beherrschte, war er in der Lage, im Osten die Politik des Westhandels zu fördern. In dieser Zeit, in der er in der ehemaligen Sowjetunion tätig war, hatte er die außergewöhnliche Schönheit der russischen Frauen kennen und bewundern gelernt, mit denen er dienstlich zu tun hatte.

      Eines Frühlings kam Michael nach Kischinew in Moldawien zur Industriehandelsmesse, über die er einen ausführlichen Bericht schreiben musste. An einem unauffälligen Stand mit dem Buchstaben „i“ an der Seite sah er ein junges sympathisches Mädchen stehen, das den Interessenten Auskünfte gab. Und weil es auf der Messe nicht viele Besucher gab – und die meisten von ihnen sich gut auskannten –, war es offensichtlich, dass das Mädchen Langeweile hatte. Michael ging zu ihr, und Wort für Wort kamen sie ins Gespräch. Das Mädchen hieß Aranka, sie war Studentin des zweiten Kurses an der Universität für Fremdsprachen. Sie arbeitete auf der Messe als Aushilfe, indem sie Prospekte und Messepläne an die Besucher verteilte oder mit den Firmenvertretern telefonierte, um Treffen zu organisieren. Aranka war achtzehn, schlank, hübsch, hatte langes blondes Haar und strahlte einfach vor Jugend und Glück. Diesem Charme konnte Michael nicht widerstehen, deshalb verbrachte er die drei Tage, während die Messe lief, an Arankas Stand. Abends lud er sie ins Café oder Restaurant ein.

      Die Zeit verging recht schnell. Als Michael wieder zu Hause war, erzählte er seiner Mutter und seinem Bruder mit Begeisterung von dem jungen wunderschönen Wesen, dem er seine gesamten Gedanken widmete.

      „Heirate sie doch“, riet ihm sofort die Mutter. „Du bist schon vierundvierzig und immer noch Junggeselle. Es wird Zeit, eine Familie zu gründen.“

      „Mama, ich kenne sie erst drei Tage, wie kann ich sie denn so einfach heiraten?“ Michaels klang verzweifelt. „Man muss sich doch erst näher kennenlernen.“

      „Dann heirate sie und lernt euch, bitte schön, danach besser kennen“, griff der Bruder grinsend in das Gespräch ein. „Beeile dich aber, sonst entführt

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