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die Paradiesbewohnerinnen und die exotischen Früchte, die einem dort den Atem verschlagen. Es gibt keinen Dieselgestank und kein Verkehrschaos. Stattdessen gibt es bloß Ausritte auf geflügelten Pferden von einem Festmahl zum nächsten. Es wird nur noch geschmaust und bankettiert. Saftiges Fleisch und Weinflüsse ohne Ende, aus denen man so viel trinkt wie man möchte und dazu noch ohne Kater. Auf Abd-Essaburs Lippen hatte sich ein träumerisches Lächeln geschlichen. Er blieb eine ganze Weile still und seufzte erregt. Stöhnend träumte er von den lieblichsten Obstbäumen, unter deren Ästen er wandelte.

      Das Stirnrunzeln war auf einmal ganz verschwunden und die Lippen bewegten sich stumm, als spreche er sein Gebet. Laura kam erst wieder ganz zu sich als sie erneut das Hupen hörte. Der Taxifahrer hatte nämlich einen nervösen Daumen, der in kurzen Abständen auf die Hupe drückte. Einfach so, als wäre das Hupen in seinen Ohren Musik.

      Laura schaute auf die Datumsanzeige ihrer Uhr. Sie hatte das Gefühl, als sei die Zeit stehengeblieben.

      30. März 2010.

      „Wir müssen uns beeilen, bevor wir in dichten Verkehr geraten“, sagte er besorgt und drückte das Gaspedal bis zum Boden durch, während seine Hände sich fester um das Lenkrad schlossen.

      Der Wagen holperte so stark, dass die Hand der Fatima schnell hin und her schwang - wie ein Pendel - und sie bekam Angst, dass das Taxi von einer der vielen Brücken abkommen könnte. Sie waren nämlich alle in einem schlimmen Zustand. Überall Spalten und Risse, manchmal fehlte gar der Brückenrand. Hier musste ein schwerer Wagen entgegen geknallt sein. Man konnte sehen, dass irgendjemand einen halbherzigen Versuch unternommen hatte, ein paar größere Löcher im Boden dilettantisch zu flicken. Die fehlenden Randstücke wurden jedoch nicht ersetzt und ließen den Blick frei auf das Chaos darunter.

      Verkrampft starrte Laura aus dem Fenster in den ewigen Verkehr. Sie dachte für einen Moment, ihr Herz bliebe stehen. Sie versuchte sich zu beherrschen und suchte vergeblich nach einer Kopfstütze, einer Armlehne oder einem Griff. Von einem Sicherheitsgurt keine Spur. Schließlich empfahl sie sich in die Obhut des Himmels und ergab sich ihrem Schicksal.

      „Der Herr stehe dir bei, Laura!“, sagte sie sich im Stillen und klammerte sich fest an ihren Rucksack. „Der Kairoer Verkehr ist halt nichts für hyperphobische Europäer“, dachte sie für sich.

      Keiner hielt sich an Verkehrsregeln oder Geschwindigkeitsbegrenzungen. Lastwagen, die auf der ganzen Welt rechts fahren, fuhren hier links. Sie wechselten so schnell von rechts nach links und wieder zurück, dass einem schwindlig wird. Jeder machte sein Ding, jeder überholte wie und wann es ihm das gerade passte und jeder quetschte sich in eine noch so kleine Lücke. Aus zwei Spuren machten sie vier. Von allen Seiten wird laut und ärgerlich gehupt. Sie blinkten rechts und fuhren links. Doch hinter dem Chaos müsste ein System oder ein Code stecken, der für Außenstehende nicht leicht zu knacken war, grübelte sie und sie brauchte nicht allzu lange, um festzustellten, dass sämtliche Verkehrsteilnehmer sich einzig und allein, stillschweigend darauf geeinigt haben mussten, nicht miteinander zusammenzustoßen. Alles ist in bester Ordnung, solange alles in seinem natürlichen Chaos ist. Wer für Ordnung sorgen möchte, schafft nur mehr Chaos. Spontaneität und Zuverlässigkeit in der Produktion des Chaos sind Dinge, die hier sehr gefragt werden, hatte sie sich sagen lassen, kurz vor ihrer Abreise. Alles ist eine lebensgefährliche Millimeterarbeit, doch es klappt irgendwie, wenn auch nicht immer. Die Ägypter beherrschen dieses Spielchen perfekt, Laura dagegen machte das schwindelig. Selbst Michael Schumacher würde es Schwindel erregen, dachte sie sich. „Wer die Fahrweise der Ägypter versteht, ist auf gutem Weg ihre Mentalität zu verstehen.“ Ein Tipp, den ihr Abd-Essabur lachend gab.

      Sie verglich die lebhafte Geschäftigkeit Kairos mit der ländlichen idyllischen Atmosphäre Münsters. Seltsamerweise kamen ihr unvermittelt der kleine Ludgeri-Platz, wo die Kaninchen brüteten und hoppelten und die Münsteraner Fahrradfahrer mit ihrer Fahrradweg-Mentalität in den Sinn. Lächerlich! Wie sie sich ärgern, wenn man einen Hauch von den Normen abweicht, etwa wenn das Rücklicht nicht brennt, man keine leuchtenden Streifen an der Kleidung trug, wenn man sich nicht genug rechts hielt oder wenn man nicht rechtzeitig genug die Hand hebt um auf die einzuschlagende Richtung hinzuweisen. Wehe dem Fußgänger, der es wagte aus Versehen, die Fahrradspur ein klein bisschen in Anspruch zu nehmen. „Sind Sie lebensmüde oder von allen guten Geistern verlassen?“, bellten sie einem hinterher und tippten sich zänkisch an die Stirn.

      Laura schaute gerade mit angehaltenem Atem wie eine vierköpfige Familie -Mann, Frau, Kind und ein Baby- ein Motorrad im Verkehrschaos Kairos als Transportmittel benutzte. Sie wunderte sich, dass so viele Leute auf einmal auf ein Motorrad gequetscht, ohne Helm oder dergleichen fuhren. Sie staunte, wie der Junge vorne auf dem Tank thronte, die Frau lässig hinter ihrem Mann saß, mit übereinandergeschlagenen Beinen und dem Baby auf dem Schoß, während dem Mann eine Zigarette im Mundwinkel klemmte. „So etwas bekommt man sonst im Zirkus zu sehen“, dachte sie sich. „Sie holen sich ganz gewiss den Tod!“

      Laura hoffte inständig, dass das Baby unversehrt nach Hause kommt.

      Das Taxi ruckelte und schaukelte, so dass ihr Magen sich jedes Mal hob und sank, wenn sie über ein tiefes Loch in der Straße hinweg schossen und sie mit dem Kopf gegen die Decke stieß. Der Benzingestank erhitzte die Luft und verursachte einen unangenehmen Ruck in ihrem Magen.

      Der Taxifahrer, träumte immer noch schweigend vor sich hin, schüttelte eine Zigarette aus einer Schachtel und steckte sie sich hungrig an. Er nahm gierig einen Zug und blies den Rauch so grimmig aus, als wollte er damit sein Trübsal wegblasen. Er war ein leidenschaftlicher Raucher. Er rauchte die Zigaretten nicht, er rollte sie im Mund hin und her, nuckelte an ihr, kaute sie buchstäblich, man könnte meinen er möchte sie samt Papier und Tabak verschlingen. Es roch schwer nach Zündholz und Heu. Das gab Laura den Rest. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und war einer Ohnmacht nahe. Davon schien er nichts mitbekommen zu haben. Erst als Laura mit den Händen wedelte, um die beißende Rauchwolke zu zerstreuen, erst dann bat er um ihr Verständnis und blies entschuldigend den Rauch zu dem offenen Fenster hinaus.

      Zum Glück mussten sie halten, denn der Kühler kochte über und ließ das Auto hopsen und schliddern wie ein wild gewordener Ackergaul.

      Sie hatte eine kleine Pause gut gebraucht, um der Übelkeit erregenden Hitze im Taxi zu entkommen, und damit ihre Eingeweide wieder ihren Platz finden können. Von Luftschnappen war jedoch keine Rede. Kairo glich an diesem Tag einem stickigen Ofen. Draußen roch die Luft nach Verbranntem.

      Für den alten Taxifahrer war es wieder eine Gelegenheit ein paar Zigaretten zu verschlingen, in seine Rauchschwaden einzutauchen und unablässig Dampf ablassen.

      In einem lustigen Kauderwelsch aus Arabisch, Deutsch und Englisch mochte er ihr ein paar seiner Geheimnisse verraten, die ihm in der letzten Zeit aufs Gemüt drückten. Sein größter Traum wäre es nämlich, seine Blechkiste gegen einen Mercedes einzutauschen. Es müsse ja nicht unbedingt eine nagelneue Mercedeslimousine sein, Hauptsache vorne sitze der Stern. Mit dem Stern vorne fahre es sich besser und der Fahrkomfort erhöht sich, meinte er felsenfest überzeugt.

      „Meine Blechkarre ist nämlich ein trotziger Esel geworden. Ich habe das Gefühl, dass wenn ich Gas gebe, sie förmlich nach hinten springt, und wenn ich den Rückwärtsgang einlege, hüpft sie nervös nach vorne“, sagte er und brach in Gelächter aus. Er schien sich nicht mehr halten zu können.

      Sein zweiter Traum wäre gewesen, soviel glaubte Laura verstanden zu haben, seine Frauen gegen Mertel auszutauschen.

      Er schwieg ganz kurz, machte ein paar tiefe Züge, sah etwas träumerisch, wie sich die Rauchkringel von seiner Zigarette nach oben ausbreiteten. Er liebte Ankila Mertel (so sprach er den Namen aus), über alles, sagte er während der Zigarettenrauch aus seinen Nasenlöschern strömte. Er habe in seinem Leben vielen Frauen den Kopf verdreht und etliche kämpften um ihn und sind bis heute unglücklich in ihn verliebt, sagte er halb im Ernst, halb im Spaß und zwirbelte mit seinen dicken Fingern seinen buschigen Schnurrbart; ein großer Rosenkavalier und Herzensbrecher, schauspielernd, während ein breites selbstgefälliges Lächeln auf seinem Gesicht erschien.

      Er schwieg eine Weile in Erinnerungen versunken, dann schwor er beim Leben

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