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irgendwo untergekommen, aber gleich wieder emporstiegen, bald nur ein wenig, bald höher, um weiter zu suchen, immer weiter, weil die besten Plätze eben schon besetzt waren.

      Bambi blickte ihnen allen nach. Er hätte so gerne einen von ihnen in der Nähe gesehen, hätte so gerne einen einzelnen genauer ins Auge gefaßt, aber das gelang ihm nicht. Sie glitten unaufhörlich ineinander. Er wurde ganz wirr davon.

      Wie er dann wieder vor sich zu Boden sah, ergötzte ihn all das tausendfache, behende Leben, das da unter seinen Schritten aufstob. Das sprang und sprühte nach allen Seiten, kam als ein Tumult und Gewimmel zum Vorschein und versank in der nächsten Sekunde wieder in den grünen Grund; aus dem es aufgestiegen war.

      »Was ist das, Mutter?« fragte er.

      »Das sind die Kleinen«, antwortete die Mutter.

      »Sieh nur«, rief Bambi, »hier springt ein Stückchen Gras. Nein … wie hoch es springt!«

      »Das ist kein Gras«, erklärte die Mutter, »das ist ein gutes Heupferdchen.«

      »Warum springt es so?« fragte Bambi.

      »Weil wir da gehen«, antwortete die Mutter, »… es fürchtet sich.«

      »Oh!« Bambi wandte sich zu dem Heupferdchen, das mitten auf dem weißen Teller einer Margerite saß.

      »Oh«, sagte Bambi höflich, »Sie brauchen sich nicht zu fürchten, wir tun Ihnen gewiß nichts.«

      »Ich fürchte mich nicht«, erwiderte das Heupferdchen mit einer rasselnden Stimme. »Ich bin nur im ersten Augenblick erschrocken, denn ich sprach gerade mit meiner Frau.«

      »Entschuldigen Sie, bitte«, sagte Bambi bescheiden. »Wir haben Sie gestört.«

      »Das macht nichts«, rasselte das Heupferdchen. »Weil Sie es sind, macht es nichts. Aber man weiß ja nie, wer es ist, der kommt, und man muß sich in acht nehmen.«

      »Ich bin nämlich heute zum ersten Mal in meinem Leben auf der Wiese«, erzählte Bambi. »Die Mutter hat mir …«

      Das Heupferdchen stand mit bockig vorgeducktem Kopf da, machte ein ernstes Gesicht und murrte: »Das interessiert mich nicht. Ich habe gar keine Zeit, mit Ihnen zu schwatzen, ich muß jetzt meine Frau suchen. Hopp!« Und weg war es.

      »Hopp«, sagte Bambi verdutzt und bestaunte den hohen Sprung, mit dem es verschwand.

      Bambi lief zur Mutter: »Du … ich habe mit ihm gesprochen!«

      »Mit wem?« fragte die Mutter.

      »Nun, mit dem Heupferdchen«, erzählte Bambi, »ich habe mit ihm gesprochen. Es war so freundlich mit mir. Und es gefällt mir so gut. Es ist so wunderbar grün, und am Ende ist es so durchsichtig, wie kein Blatt es sein kann, auch das feinste nicht.«

      »Das sind die Flügel.«

      »So?« Bambi sprach weiter. »Und es hat solch ein ernstes Gesicht, voll Nachdenklichkeit. Aber trotzdem ist es freundlich zu mir gewesen. Und wie es springen kann! Das muß fabelhaft schwer sein. Hopp! sagt es und springt so hoch, daß du es nicht mehr sehen kannst.«

      Sie gingen weiter. Die Unterredung mit dem Heupferdchen hatte Bambi erregt und ein wenig ermüdet, denn es war doch das erste Mal, daß er mit jemandem Fremden sprach. Er fühlte Hunger und drängte sich an seine Mutter, um sich zu erfrischen.

      Als er dann wieder ruhig dastand und eine kurze Weile vor sich hin träumte, in der kleinen, süßen Trunkenheit, die ihn jedesmal umfing, nachdem er sich von seiner Mutter gesättigt hatte, gewahrte er in dem Gewirr der Grashalme eine helle Blume, die sich bewegte. Bambi sah schärfer hin. Nein, das war keine Blume, das war ja ein Schmetterling. Bambi schlich näher.

      Der Schmetterling hing träge an einem Halme und bewegte leise seine Flügel.

      »Bitte, bleiben Sie sitzen!« rief ihn Bambi an.

      »Warum soll ich denn sitzen bleiben? Ich bin doch ein Schmetterling«, antwortete der Falter erstaunt.

      »Ach, bleiben Sie nur ein ganz kleines bißchen sitzen!«, bat Bambi, »ich habe mir schon lange gewünscht, Sie in der Nähe zu sehen. Seien Sie doch so gut.«

      »Meinetwegen«, sagte der Weißling, »aber nicht lange.«

      Bambi stand vor ihm. »Wie schön Sie sind«, rief er entzückt, »wie wunderschön! Wie eine Blume!«

      »Was?« Der Schmetterling klappte mit den Flügeln. »Wie eine Blume? Nun, in meinen Kreisen herrscht allgemein die Ansicht, daß wir schöner sind als die Blumen.«

      Bambi war verwirrt. »Gewiß«, stotterte er, »viel schöner … verzeihen Sie … ich wollte nur sagen …«

      »Es ist mir ziemlich gleichgültig, was Sie sagen wollten«, entgegnete der Schmetterling. Er bog affektiert seinen schmalen Leib und spielte eitel mit den zarten Fühlern.

      Bambi betrachtete ihn hingerissen. »Wie zierlich Sie sind«, sagte er, »wie fein und zierlich! Und was für eine Pracht, diese weißen Schwingen!«

      Der Schmetterling legte die Flügel breit auseinander, dann stellte er sie hoch, daß sie ganz beisammen waren und einem steilen Segel glichen.

      »Oh«, rief Bambi, »ich verstehe jetzt, daß Sie schöner sind als die Blumen. Außerdem können Sie ja fliegen, und das können die Blumen nicht. Weil sie festgewachsen sind; daran liegt es.«

      Der Schmetterling erhob sich. »Genug«, sagte er. »Ich kann fliegen!« So leicht erhob er sich, daß es gar nicht zu merken und nicht zu begreifen war. Seine weißen Flügel bewegten sich sanft, voll Anmut, da schwebte er schon in der sonnigen Luft. »Nur Ihnen zuliebe bin ich so lange sitzen geblieben«, sagte er und gaukelte vor Bambi auf und nieder, »aber jetzt fliege ich fort.«

      Das war die Wiese.

      3

      Tief im Dickicht gab es ein Plätzchen, das Bambis Mutter gehörte. Es lag nur ein paar Schritte abseits von der schmalen Straße der Rehe, die hier den Wald durchlief, aber es war kaum zu finden, wenn man den kleinen Einschlupf im dichten Buschwerk nicht kannte.

      Eine ganze enge Kammer war es, so eng, daß nur die Mutter und Bambi darin ein wenig Raum hatten, und so niedrig, daß Bambis Mutter, wenn sie stand, das Haupt schon mitten in den Zweigen barg. Haselstrauch, Stechginster und Hartriegel wuchsen hier ineinander und fingen das wenige Sonnenlicht, das durch die Baumwipfel kam, so daß es niemals bis zum Boden dringen konnte. Hier in dieser Kammer war Bambi zur Welt gekommen und hier war seine und seiner Mutter Wohnung.

      Die Mutter lag jetzt an die Erde gedrückt und schlief. Auch Bambi hatte ein wenig geschlummert. Nun war er plötzlich ganz munter geworden. Er stand auf und blickte umher.

      Hier innen dämmerten die Schatten, daß es beinahe dunkelte. Man hörte den Wald leise rauschen. Hin und wieder zirpten die Meisen, hier und da klang das helle Auflachen eines Spechtes oder der freudlose Ruf einer Krähe. Sonst war alles still, weit und breit. Nur die Luft kochte in der Hitze des Mittags, und das konnte man vernehmen, wenn man aufmerksam lauschte. Hier innen war es dunstig zum Verschmachten.

      Bambi sah zur Mutter nieder: »Schläfst du?«

      Nein, die Mutter schlief nicht. Sie war sofort erwacht, als Bambi sich erhoben hatte.

      »Was tun wir jetzt?« fragte Bambi.

      »Nichts«, antwortete die Mutter, »wir bleiben, wo wir sind. Leg' dich schön hin und schlafe.«

      Aber Bambi hatte keine Lust zu schlafen. »Komm«, bat er, »komm auf die Wiese.«

      Die Mutter hob das Haupt: »Auf die Wiese? Jetzt … auf die Wiese …?« Sie sprach so erstaunt und so voll Schrecken, daß Bambi ganz ängstlich wurde.

      »Kann man denn jetzt nicht auf die Wiese?« fragte er schüchtern.

      »Nein«, gab die Mutter zur Antwort, und es klang sehr entschieden. »Nein, das ist jetzt nicht möglich.«

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