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      LUNATA

Ausgewählte Erzählungen für die Jugend

      Ausgewählte Erzählungen für die Jugend

      © 1922 Lew Tolstoi

      Aus dem Russischen von Alexander Eliasberg

      Umschlagbild: Léonard-Alexis Daligé de Fontenay

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Die Bärenjagd

       Der Gefangene im Kaukasus

       Jermak und die Eroberung Sibiriens

       Die Wallfahrer

       Wovon die Menschen leben

       Meine Hunde

      Die Bärenjagd

      Wir trafen uns im Walde und berieten uns, was nun zu machen sei: sollen wir jetzt gleich auf die Suche nach diesem Bären gehen oder an die drei Tage warten, bis er wieder zur Ruhe kommt und sich irgendwo niederlegt?

      Wir befragten die Bärenjäger unter den Bauern, ob man diesen Bären jetzt wieder einkreisen könne. Ein alter Bärenjäger sagte: »Nein, es geht nicht, man muß ihm Zeit lassen, zur Ruhe zu kommen; nach fünf Tagen wird man ihn einkreisen können, wenn man ihn aber jetzt verfolgt, so macht man ihn nur scheu, und er wird sich nicht niederlegen.«

      Ein junger Bärenjäger widersprach aber dem Alten und sagte, man könne den Bären jetzt wohl einkreisen: »Bei diesem Schnee wird der Bär nicht weit fortkommen können, er ist zu feist. Er wird sich heute noch irgendwo niederlegen. Und wenn er sich nicht niederlegt, so hole ich ihn auf den Schneeschuhen ein.«

      Auch mein Freund wollte den Bären nicht verfolgen und riet zu warten.

      Ich sagte: »Was sollen wir streiten? Tut, was ihr wollt, ich werde aber mit Demjan die Spur verfolgen. Wenn wir ihn einholen, so ist es gut, und wenn wir ihn nicht einholen, so ist es einerlei: heute haben wir sowieso nichts zu tun, es ist aber noch nicht spät.«

      So machten wir es auch.

      Unsere Genossen gingen zu den Schlitten und fuhren ins Dorf, und ich und Demjan versorgten uns mit Brot und blieben im Walde.

      Als die anderen gegangen waren, untersuchten Demjan und ich unsere Gewehre, steckten die Schöße unserer Pelze in die Gürtel und gingen der Bärenspur nach.

      Das Wetter war schön: frostig und windstill. Auf den Schneeschuhen kamen wir aber schwer vorwärts: der Schnee war tief und locker. Im Walde gab es noch keine feste Schneeschicht, außerdem hatte es einen Tag vorher geschneit, und die Schneeschuhe versanken eine Viertelelle und noch tiefer in den Schnee.

      Die Bärenspur war weit sichtbar. Man konnte genau sehen, wie der Bär gegangen und wie er stellenweise bis an den Bauch eingesunken war und den Schnee aufgewühlt hatte. Anfangs verfolgten wir die Spur durch den Hochwald; als die Spur dann durch niederes Tannengehölz ging, blieb Demjan stehen und sagte: »Jetzt müssen wir die Spur aufgeben. Er wird sich wohl hier niederlegen. Er hat angefangen, sich hinzusetzen, man sieht es ja im Schnee. Lassen wir die Spur seitwärts liegen und machen wir einen Bogen. Wir müssen aber ganz still sein, nicht schreien, nicht husten, sonst scheuchen wir ihn auf.«

      Wir bogen nach links ab. Als wir an die fünfhundert Schritt gegangen waren, sahen wir die Bärenspur wieder vor uns. Wir gingen wieder der Spur nach, und diese führte uns auf die Landstraße. Wir blieben auf der Landstraße stehen und untersuchten, nach welcher Richtung der Bär weitergegangen sei. Stellenweise sahen wir auf der Straße Abdrücke der ganzen Bärentatze mit den Zehen, stellenweise Spuren von Bastschuhen, wie sie die Bauern tragen. Der Bär war offenbar in der Richtung auf das Dorf zu gegangen.

      Wir gingen die Landstraße entlang. Demjan sagte: »Jetzt brauchen wir gar nicht auf die Straße zu schauen: wir werden schon im Schnee sehen, wo der Bär nach rechts oder nach links abgebogen ist. Irgendwo muß er doch abgebogen sein, der Bär wird doch nicht ins Dorf gehen.«

      So legten wir etwa eine Werst auf der Landstraße zurück. Da sahen wir eine Spur, die von der Straße seitwärts führte. Wir sahen genauer hin: was für ein Wunder! Es war wohl eine Bärenspur, sie führte aber nicht von der Straße in den Wald, sondern aus dem Walde auf die Straße: die Zehen waren zur Straße gerichtet. Ich sagte: »Es ist ein anderer Bär.« Demjan sah hin, dachte nach und sagte: »Nein, es ist wohl derselbe, aber er will uns irreführen. Er ist von der Straße rückwärts abgebogen.« Wir gingen der Spur nach; ja, es stimmte. Der Bär war wohl an die zehn Schritt von der Straße rückwärts gegangen, hatte sich hinter einer Tanne umgedreht und war dann vorwärts gegangen. Demjan blieb stehen und sagte: »Jetzt werden wir ihn sicher umgehen können. Er kann sich nirgends niederlegen als in diesem Sumpfe. Wollen wir einen Bogen machen.«

      Wir machten einen Bogen durch dichtes Tannengehölz. Ich war schon sehr müde, und das Fahren auf den Schneeschuhen wurde sehr beschwerlich. Bald stieß man auf einen Wacholderbusch und blieb an ihm hängen, bald bekam man einen Tannenast zwischen die Füße, bald rutschte ein Schneeschuh auf die Seite, bald fuhr man gegen einen unter dem Schnee verborgenen Baumstumpf oder Klotz. Ich war erschöpft. Ich zog den Pelz aus, ich war in Schweiß gebadet. Demjan schwamm aber wie in einem Boot. Die Schneeschuhe bewegten sich unter ihm ganz von selbst. Nirgends blieb er hängen, nirgends rutschte er aus. Er warf sich auch noch meinen Pelz über die Schultern und trieb mich immer zur Eile an.

      Wir machten einen Umweg von etwa drei Werst und gingen um den Sumpf herum. Ich fing an, zurückzubleiben, – die Schneeschuhe rutschten immer auf die Seite, und die Füße verfingen sich ineinander. Plötzlich blieb Demjan vor mir stehen und winkte mit der Hand: »Hörst du, wie die Elster über dem Windbruch schreit; der Vogel wittert ihn aus der Ferne. Er ist es.«

      Wir bogen ab, gingen noch eine Werst und gerieten wieder auf die alte Spur. So hatten wir einen Kreis um den Bären herum gemacht, und er war innerhalb unseres Kreises geblieben. Wir machten halt. Ich nahm mir die Mütze vom Kopfe und knöpfte alle Kleider auf: es war mir heiß wie in einem Dampfbade, und ich war so naß wie eine Maus. Auch Demjan war ganz rot geworden und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. »Herr,« sagte er, »wir haben unsere Sache gemacht, jetzt müssen wir ausruhen.«

      Durch den Wald leuchtete aber schon das Abendrot. Wir setzten uns auf die Schneeschuhe, um auszuruhen. Wir holten aus dem Sacke Brot und Salz; ich aß zuerst etwas Schnee und machte mich dann an das Brot. Das Brot schmeckte mir so gut wie noch nie im Leben. So saßen wir eine Weile. Indessen fing es zu dunkeln an. Ich fragte Demjan, ob es bis zum Dorfe noch weit wäre. »Ja, so an die zwölf Werst. Wir werden es auf die Nacht erreichen, jetzt müssen wir aber ausruhen. Zieh deinen Pelz an, Herr, sonst erkältest du dich.«

      Demjan brach einige Tannenzweige ab, stampfte den Schnee fest und bereitete ein Lager; wir legten uns nebeneinander hin und verschränkten die Hände im Nacken. Ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ich plötzlich einschlief. Ich erwachte nach etwa zwei Stunden. Etwas hatte gekracht.

      Ich war fest eingeschlafen und hatte ganz vergessen, wo ich mich befand. Ich sah mich um – was für ein Wunder, wo bin ich? Ich sehe um mich her einen weißen Palast mit weißen Säulen, und alles glitzert und strahlt. Ich blicke hinauf – über mir sind weiße Streifen und Bögen, und zwischen den Bögen eine stahlblaue Decke mit vielen bunten Feuern. Ich sah mich um und besann mich, daß wir uns im Walde befanden, und merkte, daß ich die verschneiten und bereiften Bäume für einen Palast gehalten hatte; die Feuer waren aber die Sterne, die am Himmel zwischen den Ästen flimmerten.

      Am Abend war Reif gefallen: auf den Ästen lag Reif, auf meinem Pelz lag Reif, auch Demjan war ganz von Reif bedeckt, und von oben fiel

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