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      LUNATA

Polikei

      Polikei

      © 1861 Lew Tolstoi

      Originaltitel Polikuschka

      Aus dem Russischen von Karl Nötzel

      Umschlagbild: Charlotte_Nasmyth-Kincardine

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Kapitel 15

       Nachwort des Übersetzers

      1

      Wie Sie zu befehlen geruhen, Herrin! Nur ist es um die Dutloffs leid. Alle ohne Ausnahme sind das prächtige Kerle; wenn man aber schon keinen Hofdiener abgibt, so kommen sie nicht darum, einen Soldaten zu stellen« – sprach der Verwalter – »auch jetzt schon weisen alle auf sie hin. Übrigens – ist das Ihr Wille!«

      Und er legte die rechte Hand auf die linke, und indem er beide vor seinen Bauch hielt, beugte er den Kopf auf die andere Seite, zog, fast schmatzend, seine schmalen Lippen ein, wandte die Augen weg und verstummte in der offenbaren Absicht, lange zu schweigen und ohne Widerspruch den ganzen Unsinn anzuhören, den ihm die Gnädige hierauf entgegnen mußte.

      Das war ein Verwalter aus den Hofleibeigenen, rasiert, in langem Rock (von einem ganz besonderen »Verwalterzuschnitt«), der an einem Herbstabend vor seiner Herrin stand, um Bericht zu erstatten. Dieser Bericht bestand nach den Begriffen der Gnädigen darin, Abrechnungen über erledigte Wirtschaftsangelegenheiten anzuhören und Verfügungen zu treffen über zukünftige. Nach den Begriffen des Verwalters Jegor Michailowitsch war die Berichterstattung eine Zeremonie, die darin bestand, die Fußspitzen nach auswärts, in gerader Haltung in der Ecke zu stehen, mit dem Gesicht zum Diwan gewendet, allerlei nicht zur Sache gehörendes Geschwätz anzuhören und die Gnädige durch verschiedentliche Mittel dahin zu bringen, daß sie endlich auf alle Vorschläge des Jegor Michailowitsch rasch und ungeduldig »Gut, gut!« sage.

      Jetzt war die Rede von der Rekrutenaushebung. Von Pokrowskoje mußte man drei stellen. Zwei waren zweifellos durch das Schicksal selber dazu ausersehen: durch Zusammenfallen von häuslichen, moralischen und wirtschaftlichen Gründen. Hinsichtlich ihrer konnte kein Schwanken und kein Streit sein, weder von Seiten der Bauernversammlung, noch von Seiten der Gnädigen, noch von Seiten der öffentlichen Meinung. Der dritte zu Stellende war dagegen anfechtbar. Der Verwalter wollte den »dreisöhnigen« Dutloff davor bewahren und den verheirateten Hofleibeigenen Polikuschka zur Aushebung schicken, der einen sehr schlechten Ruf besaß und mehrmals ertappt worden war beim Stehlen von Säcken, Zügeln und Heu; die Gnädige aber, die häufig die abgerissenen Kinder Polikuschkas liebkost und vermittelst Ermahnungen nach dem Evangelium seine Sittlichkeit gebessert hatte, wollte ihn nicht abgeben. Dabei wollte sie aber auch den Dutloffs nichts Übles, die sie gar nicht kannte und niemals gesehen hatte. Aus irgendeinem Grunde konnte sie aber durchaus nicht begreifen, und der Verwalter entschloss sich nicht, es ihr geradeheraus zu erklären, daß, wenn nicht Polikuschka, so Dutloff gehen müsse. »Ja, aber ich wünsche doch gar nicht das Unglück der Dutloffs,« sprach sie mit Gefühl. »Wenn Sie das nicht wollen, so zahlen Sie doch dreihundert Rubel für einen Rekruten!« Das ist es, was man ihr hierauf hätte antworten müssen. Die Politik ließ das aber nicht zu.

      So nahm Jegor Michailowitsch ruhig eine bequeme Stellung ein, unbemerkt lehnte er sich sogar an den Türrahmen an, und den Gesichtsausdruck völliger Ergebenheit bewahrend, begann er zu betrachten, wie sich bei der Gnädigen die Lippen bewegten, und wie die Rüsche an ihrem Häubchen zugleich mit ihrem Schatten an der Wand unter dem Bildchen, das da hing, hin und her hüpfte. Er hielt es aber überhaupt nicht für nötig, auf den Sinn ihrer Reden einzugehen. Die Gnädige sprach lang und viel. Diese Töne waren ihm sogar angenehm, und er bekam einen Gähnkrampf hinter den Ohren; er verwandelte indes geschickt dieses Zucken in einen Husten, indem er mit der Hand seinen Mund bedeckte und sich anstellte, als ob er sich räusperte. Unlängst sah ich, wie Lord Palmerston dasaß, den Hut auf dem Kopfe, während ein Mitglied der Opposition das Ministerium niederdonnerte, und er sich plötzlich erhob und in einer dreistündigen Rede auf alle Punkte des Gegners Antwort gab; ich sah dies und staunte gar nicht, weil ich etwas Ähnliches tausendmal gesehen hatte bei Jegor Michailowitsch und seiner Herrin. Fürchtete er nun einzuschlafen, oder schien es ihm, daß sie sich schon allzu sehr Hinreißen lasse – er verlegte das Schwergewicht seines Körpers vom linken Fuß auf den rechten und begann mit der sakramentalen Anfangsphrase, mit der er stets anfing:

      »Das ist Ihr Wille, Herrin, nur ... nur die Bauernversammlung steht jetzt bei mir vor dem Kontore, und man muß ein Ende machen. In dem Befehle ist gesagt, bis zum Pokrowtage müsse man die Rekruten in die Stadt bringen. Von den Bauern weisen aber alle auf die Dutloffs hin, ja, und sonst auf niemanden. Die Bauernversammlung beobachtet aber nicht Ihr Interesse: ihr ist es gleichgültig, daß wir Dutloffs zugrunde richten. Ich weiß ja aber sehr wohl, wie sie sich durchschlugen. Von der Zeit an, daß ich Verwalter bin, haben sie ja immer in Armut gelebt. Eben, eben erst ist dem Greis sein jüngster Neffe herangewachsen, und jetzt soll man sie wieder ruinieren! Ich aber, Sie geruhen es zu wissen, bin um Ihr Eigentum besorgt wie um das meinige. Schade, Herrin; wie es Ihnen aber gefällig sein wird. Jene sind mir weder verschwägert noch blutsverwandt, und ich habe von ihnen nichts genommen ...«

      »Ja, das habe ich ja gar nicht gedacht, Jegor ...« unterbrach ihn die Herrin und glaubte auch sogleich schon, daß er von den Dutloffs gekauft sei.

      »... Es ist nur ihr Hof im ganzen Pokrowskoje der beste. Gottesfürchtige, arbeitsame Bauern sind das. Der Greis ist schon dreißig Jahre Kirchenältester, er trinkt weder Schnaps, noch nimmt er ein schlechtes Wort in den Mund; in die Kirche geht er immer.« (Es wußte der Verwalter, womit seine Herrin zu bestechen.) »Und die Hauptsache, ich sage es Ihnen, er hat nur zwei Söhne, der dritte ist nur sein Neffe. Die Bauernversammlung weist auf ihn hin; in Wirklichkeit müßte er ein ›Zweisöhnelos‹ werfen. Andere haben auch bei drei Söhnen sich ihr Land austeilen lassen, weil sie unfähig waren, gemeinsam zu wirtschaften; jetzt sind sie aber im Recht, und die sollen leiden wegen ihrer Tugend!«

      Hier verstand die Herrin schon gar nichts mehr – sie verstand nicht, was hier »Zweisöhnelos« und »Tugend« zu bedeuten hätte, sie vernahm nur Töne und betrachtete

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