Скачать книгу

von Kanda’al. Du wirst bald aufbrechen auf eine Reise, die dich zu ihnen bringen soll. Dein Leben und das deiner Freunde wird in großer Gefahr sein, aber ich werde alles tun, dich zu schützen auf deinem Weg. Trotz allem weiß ich nicht, ob deine Aufgabe zur rechten Zeit bestanden sein wird. Das Schicksal der nördlichen Welten liegt nun in deiner Hand. Achte unterwegs auf den weißen Milan. Die Erfüllung der Prophezeiung hat begonnen.“

      Dann lächelte sie ihn noch einmal traurig an und hob die linke Hand zum Gruß, und wie ein hohl klingender Hall dröhnte es durch Fandors Ohren und direkt in sein Herz, als er sie noch einmal die Lippen bewegen sah. „Viel Glück dir, Fandor Ellson, Federträger und Freund der Elfen.“

      Fandor erwachte unter der Weide, als neben ihm eine Fleckendrossel laut und keckernd den Tag begrüßte. Tau bedeckte seine Haare, und er schüttelte ihn mit einer unbewussten Geste ab, während er mit steifen Gliedern aus dem Moos aufstand und sich reckte. Sofort fiel ihm sein Erlebnis mit der Elfenkönigin wieder ein. Er tastete nach der Flöte, aber die hing wie immer um seinen Hals. Er hatte gar nicht gemerkt, wie die Elfenkönigin ihm die Flöte wieder umgehängt hatte.

      Fandor starrte gedankenverloren in den kieseligen, nassen Grund und schöpfte eine Handvoll klaren Wassers aus dem Bach, seine Augen schmal vor Anstrengung bei dem Versuch, sich zu erinnern, was passiert war, nachdem die Elfenkönigin zu ihm gesprochen hatte. Hatte er ihr geantwortet? Hatte sie sich von ihm verabschiedet? Er wusste es nicht. Sollte er das alles nur geträumt haben? Es war etwas Wichtiges geschehen, aber was? Da fiel es ihm plötzlich wieder ein. Das Lied der Ahnen! Er durfte die Melodie nicht vergessen! Voller Aufregung setzte er mit zittrigen Fingern die Flöte an die Lippen, schloss in voller Konzentration die Augen und spielte die Melodie. Erleichtert atmete er aus. Er hatte sie nicht vergessen. Zumindest dessen war er sich gewiss.

      Worüber er völlig im Unklaren war, war die Frage, ob er das alles jemandem erzählen sollte oder nicht. Wenn es stimmte, würde er bald auf eine Reise gehen. Eine lange, gefährliche Reise.

      Fandor stand noch einige Minuten am Bachrand und starrte auf die Flöte, die er mit einer neuen Mischung aus Verzücken und Ehrfurcht betrachtete. Es würde etwas geschehen, er spürte es.

      Malvea von Grünberg, die Tochter des Stadtherrn Olerichs, war so wütend, dass ihr glatter, zu einem einfachen Zopf gebundener Haarschopf fast waagerecht hinter ihr herflatterte, als sie durch den Raum stürmte. Sie musste sich beherrschen, um nicht laut ihren Ärger und Zorn herauszuschreien, so wie sie das als kleines Kind oft getan hatte. Malvea zwang sich, ruhiger zu atmen und erinnerte sich mühsam an eines der kleinen Gebete, das laut Bruder Pak den Geist reinigen sollte und einen Zustand der Ausgeglichenheit herstellen würde. Ihre Finger krampften sich um eine Stuhllehne, als sie sich unter den lautlos gedachten Worten etwas entspannte.

      Ihr Blick fiel auf ihren Vater, der ruhig dasaß und sie keines Blickes würdigte. Erneut stieg ohnmächtige Wut in ihr hoch. Es war so ungerecht! Man ließ sie nicht mit der Stadtgarde in die Berge reiten! Ihr um zwei Minuten jüngerer Zwillingsbruder Malvin durfte natürlich mit, das war ja klar. Aber sie, die Mutigere, Stärkere, sie sollte zu Hause sitzen bleiben und aus dem Ausblick schauen, der Stadtgarde unter der Führung ihres Ersten Wachmanns, Brom von Bordur, und ihrem Bruder, dem Erben der Herren von Grünberg, hinterherwinken.

      Sie wollte nicht hierbleiben. Der Zorn ließ sich nun nicht mehr besänftigen, und ehe sie darüber nachdenken konnte, hatte sie einen halb gefüllten Weinkrug ergriffen, der vor Olerich auf dem Tisch stand, und an die Mauer geworfen, so dass er in unzählige Teile zerbarst.

      „Vater, ich will nicht hier sitzen und zugucken, wie draußen die Stadt verteidigt wird! Lass mich mit ausreiten, bitte!“ Sie schrie es beinahe heraus.

      Ihr Vater, Olerich von Grünberg, saß an seinem Schreibtisch und schaute sie ebenso böse an wie sie ihn. Er war nicht einmal zusammengezuckt, als der Krug mit lautem Knall zerschellte. Er kannte seine Tochter gut. Sein Körper spannte sich drohend unter seinem leuchtend grünen Gewand mit Goldbesatz, den Farben derer von Grünberg.

      „Kein Wort mehr, Malvea! Du bleibst hier! So weit kommt es noch, dass Frauen unsere Stadt verteidigen müssen. Überlass das den Männern.“ Seine Stimme war ein einziges Donnern, sein massiger Brustkasten hob und senkte sich mit jedem Atemzug.

      „Geh du deine Studien betreiben, und wenn du willst, hilf der Amma dabei, die Vorräte abzuzählen, oder mach dich sonstwie im Haus nützlich.“ Er starrte sie eisig an, ein Blick, der bei jedem anderen als Malvea zu sofortiger Kapitulation geführt hätte. Malvea starrte finster zurück.

      Es klopfte an der Tür, und Sadraigh von Bordur, der Zweite Wachmann der Stadtgarde von Grünberg, steckte den Kopf herein. Er war der jüngere Bruder des Ersten Wachmanns, Brom, und das sah man auch. Die große, breitschultrige Gestalt, die flachsblonden kurzen Haare und die seltsam farblos erscheinenden, hellblauen Augen ließen sofort auf dieselbe Herkunft schließen.

      „Störe ich?“, fragte er mit hörbarem Zögern in der melodischen tiefen Stimme, Olerich mit gesenktem Kopf zunickend. Dabei warf er einen nicht zu übersehenden Seitenblick auf Malvea und den zerbrochenen Krug auf dem Steinboden.

      Olerich stand nun auf, eine imposante Gestalt voller Autorität und Willensstärke, und kam einige Schritte auf den jungen Gardisten zu, wobei er die Hand nach dessen Schulter ausstreckte und Sadraigh weiter in den Raum hineinschob.

      „Nein, natürlich nicht. Kommt herein, Sadraigh.“ Kühl glitt sein Blick kurz über seine Tochter, die mit rotem Gesicht dastand und ihn weiterhin scharf anstarrte.

      „Und du, Malvea, richtest Bruder Pak und dem Abt einen Gruß von mir aus.“ Damit wandte er sich endgültig von ihr ab und ignorierte Malvea, der nichts übrig blieb, als vor Wut schäumend den Raum zu verlassen. Die Tür knallte laut ins Schloss, als sie wenigstens mit dieser kleinen Genugtuung noch einmal ihren Unwillen bekundete.

      Olerich, der Sadraigh in einen Stuhl gedrückt hatte, schloss für einen kurzen, unbemerkten Augenblick die Augen und seufzte innerlich. „Meiner Treu“, dachte er grollend, „das Mädchen wächst mir über den Kopf. Es wird langsam Zeit, sie zu verheiraten, damit sie ihre Flausen verliert.“ Er ging um den großen Schreibtisch herum und setzte sich Sadraigh gegenüber. Wieder schweiften seine Gedanken ab.

      „Wenn nur Malvin ein wenig mehr von Malveas starkem Charakter hätte“, schoss es ihm durch den Kopf, und unweigerlich stieg ein ungutes Gefühl in ihm auf. „Der Junge ist wie seine Mutter, Gott hab sie selig, und das Mädchen hat mehr Mumm in den Knochen als ihr Bruder.“ Sorgenfalten kräuselten seine gewaltige hohe Stirn.

      Olerich reckte sich und streifte die unliebsamen Gedanken ab. Er war der Stadtherr. Er hatte wahrlich andere Sorgen als häuslichen Kram.

      Erstaunt bemerkte er, dass er eine Schreibfeder in der Hand hielt, die in der Mitte zerbrochen war. Seine rechte Hand war schwarz von Tintenflecken. Rasch hob er den Blick. Ihm gegenüber saß der junge Sadraigh und wusste sichtlich nicht, wohin er blicken sollte. Olerich fasste sich schnell. Er musste einen Moment seinen privaten Gedanken nachgehangen haben. Mit festem Blick wandte er sich dem jungen, gut aussehenden Gardisten zu. Die Stadtgeschäfte riefen.

      Das Thing begann pünktlich an Hochsonn. Nach einer langen Nacht des Feierns und der Schwertübergabe an die jungen Männer war am Morgen nur zögerlich Leben in das riesige Lager eingekehrt. Alle waren gut gelaunt, und schon bald saßen überall Menschen beim Frühstück und redeten miteinander über das Sonnwendfeuer, den vergangenen Winter, Familienneuigkeiten, und was sonst noch so alles passiert war in den vergangenen kalten Monden, in denen es keine Clantreffen gegeben hatte.

      Während die Kinder, Frauen, Alteltern und Jäger der Freien Reiter sich in kleinen und größeren Gruppen um die Feuer versammelten, Essen bereiteten, ihre stämmigen sandbraunen Steppenpferde versorgten oder einfach nur durchs Lager schlenderten, um bekannte Gesichter zu erspähen, bereiteten sich die Clanführer mit dem Anlegen ihrer Festkleidung und der Schwerter auf das wichtige Frühsommerthing vor, das für sie fast noch wichtiger war als das Sonnwendfeuer.

      Hochsonn kam, und etwa zwei Dutzend Hornbläser hatten sich vor dem Thingzelt in eine lange Reihe aufgestellt

Скачать книгу