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und kam noch einmal ins Wohnzimmer:

      “ Ich geh‘ dann jetzt. Eva wird bald kommen.“

      Sie war gegangen. Zur Mette. Alleine.

      Sie hatte kein Wort zu seinem Vorhaben am Abend gesagt.

      Das war das Parfüm vom Alten, dachte der Junge.

      Jedes Jahr hatte er ihr das gleiche Parfüm geschenkt. Das ganze Jahr über nichts. Nichts zum Geburtstag,

      nichts zum Muttertag. Aber das Parfüm zu Weihnachten, so ein winziges Fläschchen, total vornehm verpackt. Das Parfüm hatte er nie vergessen. Sie hat’s immer ganz sparsam benutzt. Und es hatte gerade so gereicht bis zum nächsten Weihnachten.

      Der Junge sah auf die Uhr. Fünf Uhr. In einer Stunde würden die Geschäfte schließen. In zwei Stunden würde die Mutter zurück sein. Wenn er sich beeilte,

      würde er es gerade noch schaffen.

      Schnell zog er seine Jeansjacke über, steckte den Haustürschlüssel ein und machte sich auf den Weg.

      Vierzig Euro hatte er noch, seinen Beitrag zur Party am Abend. Es machte sich bemerkbar, dass er jeden Abend mit seinen Freunden in der Kneipe saß, und was verdiente man schon als Maler-lehrling im zweiten Jahr?

      Es war kurz vor sechs, als er endlich in der Kosmetikabteilung des Kaufhauses stand. Und es vergingen nochmals einige Minuten, bis er das richtige Parfüm gefunden hatte. Er wollte es gerade aus dem Regal nehmen, als er das Preisschild sah.

      „Verdammt“, fluchte er leise.

      „Hätt‘ nie gedacht, dass der Alte so spendabel war. Dann lassen wir’s eben. War sowieso ne blöde Idee.“

       Unschlüssig stand er vor dem Regal.

      Dann fiel ihm das Gesicht der Mutter ein, wie sie im Bad gestanden hatte.

       Und dann tat er etwas, was er schon öfter getan hatte, allerdings noch nie in der Kosmetikabteilung:

      Er öffnete seine Jacke, sah sich kurz um und schob dann schnell und geschickt die Packung unter seinen Pullover.

      Zwei Minuten später war er draußen und auf dem Weg nach Hause.

      Er wurde nicht erwischt. Sie hatten ihn hier noch nie erwischt.

      Wenn er sich beeilte, überlegte er, könnte er duschen und sich umziehen bevor die Mutter kam. Vielleicht würde er dann später, nach der Bescherung noch zu seinen Kumpels gehen - mal sehen.

      Vor der Haustür wartete die Katze. Gemeinsam betraten sie das Haus.

      Die Mutter kam eine viertel Stunde später nach Hause. Sie hörte den Jungen unter der Dusche.

      Er pfiff ein Weihnachtslied.

      6

      „Du hast gemogelt.“ Anna sah mich vorwurfsvoll an.

      „Wobei habe ich gemogelt?“

      „Na, bei der komischen Geschichte mit dem Haus, das gar kein Haus ist.“

      „Ich habe nicht gemogelt. Du hast nur die Geschichte nicht verstanden.“

      „Doch, du hast gemogelt. Du hast gesagt, das Haus gibt es gar nicht. Das Haus sind die Gedanken des Mannes oder so.“

      „Ja, ich habe gesagt, das Haus ist ein Bild für die Gedanken des Mannes und es gibt das Haus nicht wirklich.“

      „Ja und da hast du gemogelt. Es gibt das Haus nämlich, ich habe es gesehen. Wir haben heute im Kindergarten einen Ausflug gemacht zum Weihnachtsmarkt und da sind wir an dem Haus vorbeigefahren. Zweimal. Es hat genauso ausgesehen, wie du es beschrieben hast; und eben, als es schon dunkel war, hat sogar das Licht in dem einen Fenster gebrannt. Und du hast gesagt, du hättest das Haus erfunden. Du hast gemogelt.“

      Könnte das wirklich sein? Dass es irgendwo ein Haus gibt, das dem in meiner Erzählung ähnelt? Warum eigentlich nicht. Wenn es hier in der Stadt ist, bin ich wahrscheinlich schon daran vorbeigefahren. Ohne es mir wirklich bewusst zu machen, wird sich mir das Haus eingeprägt haben. Und dann, als ich für diese Erzählung die Vorstellung eines Hauses brauchte, hat mir mein Unterbewusstsein das Bild dieses Hauses geliefert. Ich weiß doch, dass wir unbewusst viel mehr wahrnehmen als wir bewusst sehen. Nichts Besonderes also. Da ist die Sache mit der Katze, die plötzlich im Buchladen auftaucht, nachdem ich die Geschichte meiner Höllenkatze ausgerechnet in einem Buchladen beginnen ließ, schon etwas ungewöhnlicher. Aber wahrscheinlich hatte ich Anna doch noch den Beginn der Geschichte vorgelesen und ihre Phantasie hat aus einer gewöhnlichen Katze in einem Buchladen unsere riesige schwarze Höllenkatze gemacht. Solche Zufälle gibt es, wenn man darauf achtet.

      Tom war am Telefon.

      „Ich habe deine Geschichte gelesen. Es wundert mich, dass jemandem, der eigentlich Horrorgeschichten schreibt, so reale banale Alltagsgeschichten gelingen.“

      „Die Geschichte ist nicht banal!“

      „Ich habe es auch nicht abwertend gemeint. Nein, im Ernst: ich rufe eigentlich an, um dir zu erzählen, dass ich gestern Abend deinen Ladendieb in der Parfümerieabteilung beim Klauen beobachtet habe. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, da hat gerade jemand deine Geschichte verfilmt. Das lief genauso ab, wie du es beschrieben hast. Du hast beim Schreiben wirklich ein ausgezeichnetes Gefühl für die Realität. Da hat wirklich alles gestimmt.“

      „Danke. In welchem Kaufhaus war das denn?“

      „Na, das große, bei mir um die Ecke. Aber ich muss weg. Du weißt doch: Heilig Abend werde ich von meinen Eltern immer zum Essen eingeladen. Apropos: Frohe Weihnachten noch! “

      Ich hatte tatsächlich genau an dieses Kaufhaus gedacht, als ich die Szene in der Parfümerieabteilung schrieb. Und ich möchte nicht wissen, wie oft da in der Vorweihnachtszeit Parfüm geklaut wird … aber ausgerechnet an Heiligabend kurz vor Ladenschluss …

      Wir feierten ein gemütliches Weihnachtsfest. Nur Tanja, Anna und ich. Übermorgen, am 2. Weihnachtsfeiertag würde ich Anna zu ihren Großeltern bringen, sie sollte für den Rest der Kindergartenferien dort bleiben.

      Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr ich diese Besuche hasste! Schon 5 Minuten in diesem Haus waren mir zu viel! Schon der Weg dahin war mir zuwider! Aber ich hatte nicht das Recht, Anna von ihren Großeltern fern zu halten und eines musste ich ihnen zugutehalten: sie ließen Anna nie spüren, was sie von mir hielten.

      Die Tage allein zu Hause taten mir gut. Ich bearbeitete ungezählte Manuskripte und führte lange Telefongespräche mit Tom, meinem „unsichtbaren Freund“.

       Den Namen hatte Anna für ihn erfunden, weil er uns nie zu Hause besuchte, obwohl er quasi um die Ecke wohnte. Mir war das lieber so, wie gesagt, ich wollte nicht auffallen und mochte auch nicht, dass Anna ihren Großeltern von einem Freund erzählte, der bei uns ein und aus ging.

      Tom fand meine Vorsicht übertrieben.

      „Meinst du nicht, dass du da ein bisschen überziehst? Es ist doch nicht verboten, dass dich ein Freund besucht.“

      „Sie werden etwas Verbotenes darin finden, verlass dich drauf.“

      „Es wird endlich Zeit, dass du dich von denen frei machst. Du solltest ernsthaft mit Schreiben beginnen. Deine Geschichten sind gut. Und du solltest dich mehr um deine Karriere kümmern. Du hast ein gutes Gefühl für Texte. Du solltest direkt mit den Autoren zusammen arbeiten. Diese ganzen miesen Manuskripte, die du täglich durchackerst, das ist nichts für dich. Das färbt ab mit der Zeit, glaub mir. Wenn du ein bisschen mehr Zeit und Engagement investieren würdest, könntest du in nur einem Jahr im Lektorat mit einigen richtig guten Autoren arbeiten

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