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macht eine Pause. Sie schaut nach Julius und fährt fort: „Ich fühle mich wie in Trance. Wissen Sie, vorhin, im Supermarkt, wäre ich fast ohnmächtig geworden. Ich habe das Gefühl, komplett neben mir zu stehen. Das ist nicht mein Leben. Das kann doch nicht mein Leben sein ...“ Patrizia blinzelt hektisch mit den Lidern, um ihre Tränen zu unterdrücken. Wenn sie jetzt zu weinen anfangen würde, würde sie nicht mehr aufhören können. Vor Julius will sie nicht zusammenbrechen. Sie schluckt den Kloß in ihrem Hals und konzentriert sich auf die Schneeflocken draußen.

      Birgit blickt sie mitleidig an, mit ihren großen, braunen, sanften Rehaugen. Sie kann nicht nachempfinden, was Patrizia gerade durchmacht. Sie hat so etwas noch nie erlebt. Sie hat kein Kind. Sie lebt sicher in einer gemütlichen Wohnung mit einem lieben Freund. Und wahrscheinlich haben sie einen großen, treuherzigen Hund, liebe Eltern, Geschwister, Tanten, Cousins und Onkel. Liebe Freunde, guten Wein, schöne Geschenke und tolle Urlaube.

      „Patrizia. Patrizia! Hören Sie mir zu?“

      „Entschuldigung, ich bin jetzt mit meinen Gedanken vollkommen abgeschweift“, entschuldigt sich Patrizia.

      „Ja, das habe ich gemerkt.“ Birgit schmunzelt. Sie nimmt es nicht übel. Solche Situationen wird sie kennen. Julius hat inzwischen die Taschentuchbox ausgeräumt und kaut an einem Zipfel. Patrizia lässt ihn. Das schadet nicht und er gibt noch ein wenig Ruhe.

      „Wo waren wir?“

      „Sie sind noch ziemlich verwirrt, was total normal ist in dieser Situation“, sagt Birgit. Die Situation, die Situation, denkt Patrizia und zwingt sich, dem Gespräch zu folgen.

      „Sie wissen, dass Sie hier so lange bleiben können, wie Sie möchten?“

      „Nein, ja. Wirklich?“

      „Ja. Das können Sie.“

      „Wer bezahlt das denn?“

      „Das wird vom Staat finanziert. Dafür gibt es spezielle Geldquellen. Aber halten wir uns nicht damit auf. Kümmern wir uns darum, wie Sie weitermachen können. Welche Schritte Sie setzen können, damit Sie zu ihrem Leben zurück finden.“

      „Ja. Ich weiß im Moment nicht, was ich tun soll, noch wo ich anfangen soll. Ich finde es schon so traurig, dass ich mit meinem Sohn hierher flüchten musste und keine Familie habe, die uns aufgenommen hat.“

      Tränen kullern über Patrizias Wange. Sie kann sie nicht mehr zurückhalten. Julius blickt seine Mama verwundert an.

      „Dadada“, sagt er und versucht, sich an ihr hoch zu ziehen. Patrizia lächelt ihn an, hebt den Kleinen hoch und drückt ihn an sich. „Wir haben nur uns“, schluchzt sie.

      Birgit reicht ihr ein Taschentuch, das sie vom Boden aufhebt, weil Julius die Box leer geräumt hat.

      „Ich kann Ihnen leider kein anderes anbieten“, lächelt sie entschuldigend und Patrizia lächelt zurück. Etwas gefasster widmet sie sich wieder ihrer Beraterin.

      „Ich habe auch so ein schlechtes Gewissen, weil ich Julius aus seiner vertrauten Umgebung reiße. Ich möchte so gerne ein ruhiges, gemütliches Zuhause für ihn und mich aufbauen.“

      „Patrizia, Sie können eine einstweilige Verfügung gegen Ihren Partner erwirken“, sagt Birgit.

      „Ich weiß. Es gab auch schon einmal ein Betretungsverbot, das allerdings nach drei Tagen wieder aufgehoben wurde.“

      „Das ist interessant. Normalerweise werden die nicht so leicht aufgehoben.“

      „Ja, das hat mir die Dame vom Gewaltschutzzentrum auch gesagt. Aber ich habe bei der Polizei auch wirklich insistiert. Das war allerdings, bevor es zur großen Eskalation kam.“

      „Dennoch, Sie können das erwirken. Wir würden Ihnen eine Rechtsberatung zur Verfügung stellen. Jemand von uns würde Sie auch überall hin begleiten. Sie bräuchten keine Angst zu haben.“

      „Wie lange würde das denn dauern?“

      „Sie meinen, wie lange sich Ihr Freund nicht nähern beziehungsweise in die Wohnung kommen dürfte?“

      „Ja.“

      „Ein halbes Jahr, das auf ein ganzes ausgedehnt werden könnte.“

      „Und dann? Was passiert danach?“, will Patrizia wissen.

      „Nun ja, es wäre ein erster Schritt“, weicht Birgit aus.

      „Wissen Sie, wenn Mimmo mir wirklich etwas antun will, findet er eine Möglichkeit. Das ist also keine Lösung für mich. Was ich brauche, was ich mir wünsche, ist Ruhe. Ich will ein friedliches Leben für mich und meinen Sohn. Ich will nicht, dass mein Sohn in dieser gespannten Atmosphäre gepaart mit Angst aufwächst. Ich will nicht, dass seine Schulfreunde ihn bemitleiden oder hänseln. Ich will, dass Julius glücklich ist. Und ich selbst muss ein ruhiges Gewissen haben. Das bedeutet, dass ich eine Entscheidung treffen muss, die für alle Beteiligten, also auch für Mimmo, das Beste ist.“

      „Sie sind sehr gut reflektiert“, bemerkt Birgit anerkennend. „Sie sollen nur wissen, welche Möglichkeiten es gibt, und dass Sie hier alle Unterstützung bekommen werden, die Sie brauchen und annehmen können.“

      „Danke.“

      „Und was die anderen Mitbewohnerinnen betrifft“, beginnt sie zögernd. „Ich weiß nicht, wie ich es am besten ausdrücke. Sollten Sie mit einigen Ausdrücken, Methoden, Umgangsformen – was auch immer – Probleme haben, kommen Sie bitte zu uns.“

      „Ich weiß, was Sie meinen. Ich kann meine Ohren gut verschließen beziehungsweise ziehe mich schlimmstenfalls zurück. Ich möchte auch gleich sagen, dass ich Julius bei keiner der anderen Frauen in Obhut geben werde.“

      „Das kann ich verstehen. Dafür werden wir auch eine Lösung finden. Zu mir in die Beratungsstunde können Sie ihn jederzeit gerne mitnehmen. Es ist ja wirklich unglaublich, wie brav er ist.“ Julius ist inzwischen auf Patrizias Schoß eingeschlafen und schnarcht leise vor sich hin. Draußen fallen noch immer dicke Schneeflocken vom Himmel, hier drin ist es so wohlig warm und Patrizia hätte sich am liebsten auch zum Schlafen in den gemütlichen Couchsessel gekuschelt.

      „Soll ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragt die liebe Birgit-Bullock-Frau.

      „Wenn Sie mir nur die Tür aufhalten, ich trage ihn hoch. Vielleicht kann ich mich noch ein bisschen mit Julius zusammen hinlegen. Ich bin sehr müde.“

      „Das verstehe ich. Ruhen Sie sich aus. Alles Liebe inzwischen. Bis morgen.“

      Patrizia nickt nur, denn wieder schnürt sich ihre Kehle zu und sie will nicht mehr weinen.

      Den Nachmittag verbringen Patrizia und Julius in ihrem Zimmer. Der Kleine spielt auf seiner blauen Spieldecke und Patrizia setzt sich vor ihren Laptop. Voller Freude fällt ihr ein, dass ihr Bruder einmal viele verschiedene Musiktitel darauf kopiert hat – zum Schreiben fehlt ihr die innere Ruhe –, und jetzt lässt sie Abba über den Media Player laufen. Sofort fühlt sie sich etwas besser, schnappt Julius und ausgelassen wirbeln die beiden in ihrem Zimmer im Frauenhaus zum Happysound, während draußen die Schneeflocken tanzen. „You can dance, you can jive, having the time of your life, oh ...

      Kapitel 7

      Am frühen Abend klopft es an der Tür. Zuerst kennt sich Patrizia nicht aus, bis ihr wieder einfällt, wo sie ist. Sie versichert sich, dass Julius gut sitzt, springt auf und öffnet. Vor ihr steht Betreuerin Anita. „Sie wollten doch eine Nachttischlampe. Das war alles, was ich in unserem Lagerraum gefunden habe“, sagt sie trocken. Patrizia findet sie sympathisch.

      „Kommen Sie doch rein. Wir haben es uns schon sehr gemütlich gemacht.“

      „Das sehe ich.“

      „Die Lampe ist großartig. Danke!“ Es handelt sich um eine ein Meter hohe Tischleuchte im alten Stil, sehr wuchtig und aus Email. Patrizia findet sie wunderschön. Ihre große, runde, milchige Glühbirne macht ein perfekt gedämpftes

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