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Lichtsturm. Mark Lanvall
Читать онлайн.Название Lichtsturm
Год выпуска 0
isbn 9783847659112
Автор произведения Mark Lanvall
Жанр Языкознание
Серия Lichtsturm
Издательство Bookwire
„Alles okay“, presste Ben hervor. „Ich habe Schmerzen. Eine Verletzung am Fuß. Ist aber nicht so schlimm.“
Der Polizist nickte langsam, ließ aber darüber hinaus offen, ob er Ben glaubte oder nicht.
„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte er pflichtbewusst, trollte sich dann aber zum Glück wieder, nachdem Ben den Kopf geschüttelt hatte. Ben wollte keine Hilfe. Besonders nicht von einem Polizisten, der womöglich auf die Idee kommen könnte, Fragen zu stellen. Immerhin hatte Liix eine genehmigte Veranstaltung gestört und dabei heimlich Videos aufgenommen. Der Polizist hatte von all dem sicher keine Ahnung, trotzdem hatte Ben keine Lust darauf, mit ihm mehr Worte zu wechseln als unbedingt notwendig.
Den Rest des Wegs legte er überwiegend auf einem Bein zurück. Ben konnte kaum mehr auftreten. Wann immer es ging, stützte er sich ab und nahm die Hände zu Hilfe. Aber es war mühsam und dauerte lange.
Zum Glück kam sein Anschlusszug schnell. Der pochende Schmerz hatte sich im ganzen Bein ausgebreitet, als Ben sich ein weiteres Mal in den S-Bahn-Sitz fallen ließ. Er schloss die Augen und atmete durch. Er würde spät nach Hause kommen. So viel war sicher. Als er die Augen wieder öffnete, war da wieder der schwarzweiße Mann mit der Zeitung. Als hätte er sich, so wie er da saß, aus dem anderen Zug hierher gebeamt. Diesmal war es die andere Abteilseite. Aber er saß wieder genau so da, dass er freien Blick in den Waggon und damit auch auf ihn hatte. Und er blätterte wieder nicht um.
Ben dachte an Zöllner. Hatte er ihn etwa aufgespürt? Aber wie? Sie hatten keine Spuren hinterlassen. Und seine Verfolger hatte er im Park abgehängt. Ben überlegte, ob er den Mann ansprechen sollte. Aber was, wenn er doch nur rein zufällig denselben Weg hatte? Ja, so war es vermutlich. Ben entspannte sich und versuchte sich einen dicken schwitzenden Blues-Sänger in einer rauchigen düsteren Kneipe in New Orleans vorzustellen.
Der schwarzweiße Mann ließ die Zeitung sinken. Die unvermittelte Bewegung ließ Ben zu ihm hinsehen, und ihre Augen trafen sich für die Dauer eines Herzschlags. Zu schnell sah der Mann wieder weg und starrte unsicher auf sein Handy, das er aus der Seitentasche seines Anzugs gekramt hatte. Mit dem Finger aktivierte er auf seinem Bildschirm eine gespeicherte Nummer und hielt sich das Gerät ans Ohr, wobei er zu offensichtlich darauf bedacht war, nicht mehr in Bens Richtung zu blicken. Ihm fiel nichts Besseres ein, als auf das dunkle Schwarz seines Seitenfensters zu schauen, in dem sich der Innenraum und natürlich auch Ben spiegelten. Erschrocken wanderten seine Augen zur Decke und blieben auf der Werbung für eine Zeitarbeitsfirma haften. Dilettant! Wenn alle von Zöllners Zombies so vorgingen, konnte eigentlich nicht viel passieren, dachte Ben. Oder doch! Ben korrigierte sich. Der Mann telefonierte schließlich nicht zum Spaß. Er sagte jemandem Bescheid. Ben konnte die geflüsterten Worte nicht verstehen, aber er war sich sicher, dass nun jemand wusste, dass er, Ben, kurz davor war, am Gautinger Bahnhof aus dem Zug zu steigen. Oder bildetet er sich das doch alles nur ein? Ben beschloss, es darauf ankommen zu lassen. Er war schwach und fußlahm. Noch eine Verfolgungsjagd würde er ohnehin nicht schaffen.
Heiße, messerscharfe Nadeln stachen in seinen Knöchel, als er auftrat, um den Waggon zu verlassen. Bens Schläfe pochte und er begann zu schwitzen. Mühsam arbeitet er sich zu einer Bank auf dem Bahnsteig vor und ließ sich darauf niedersinken. Er schloss einen Moment die Augen und gestattete den Schmerzen wieder ein, zwei Gänge zurückzuschalten. Verdammt. Das wird ein langer Weg, schoss es ihm durch den Kopf. Der Campingplatz, auf dem er gerade lebte, lag am Ortsrand. Bis dahin waren es mehr als zwei Kilometer. Ben lief die Strecke normalerweise gerne. Aber nicht jetzt! Nicht so!
Der fast leere Zug setzte sich wieder in Bewegung und nur wenige Sekunden später verschwand das Rauschen und Kratzen der metallenen Räder auf den Gleisen gemeinsam mit der fahlen Zugbeleuchtung im Dunkeln.
Es war still. Ein sanfter Luftzug kühlte Bens Stirn und er fragte sich, ob es vielleicht eine gute Idee war, die Nacht auf der Bank zu verbringen. Er sah sich um. Außer ihm war nur ein älteres Ehepaar ausgestiegen und schweigsam und eilig hinter der Ecke des beigen Bahnhofgebäudes verschwunden. Von dem schwarz-weißen Mann war nichts zu sehen - und auch nicht von den Schlägern, die Ben vor wenigen Stunden durch halb München gejagt hatten. Er atmete durch.
„Du siehst scheiße aus, mein Junge.“
Ben erschrak und fiel dabei fast von der Bank. Vergeblich scannte er den leeren Bahnsteig nach der Quelle der Stimme.
„Hinter dir, Benedikt. Und ich hab nicht vor, dir etwas zu tun.“
Der füllige Schatten eines Mannes im dunklen Mantel zeichnete sich dürftig von der Wand des Bahnhofs ab - genau da, wo es weder das Licht des Mondes noch das der beiden bescheidenen Bahnsteiglampen hinschaffte. Ben kannte die Stimme. Es war die seines Vaters. Aber das war unmöglich. Sein Vater war tot.
Die Zuflucht
Kellen fühlte sich sehr merkwürdig. Eigentlich war er sich sicher, tot zu sein. Aber hatten Tote Schmerzen? Kellen hatte Schmerzen. Sie waren bei weitem nicht mehr so stark wie in dem Moment, in dem ihn das Schwert durchbohrt hatte. Aber es tat noch immer weh. Und es war dunkel. Kellen wusste nicht, ob er den wenigen Bildern trauen konnte, die er sah, wenn er es doch hin und wieder schaffte, die Augen zu öffnen. Er sah Fürst Morcant mit wehendem Haar, lächelnd. Die Wolken zogen vorbei mit atemberaubender Geschwindigkeit. Er hörte Domhnalls Husten. Und da war auch wieder die Göttin mit den hellblauen Augen.
„Livan has nerviyen.“ Was diese wunderschönen Worte wohl bedeuteten?
Und wieder Dunkelheit. Ein kühler Wind strich über sein Gesicht - wie bei einem wilden Ritt. Ihm war schwindelig. Und übel. Was geschah mit ihm? Die gezackten weißen Spitzen der Großen Berge zogen an ihm vorbei. Sie waren unter ihm, stachen nach ihm. Unmöglich! Kellen fiel in eine tiefe Ohnmacht.
Als er wieder aufwachte, erschrak er. Aus dem Dunkel war ein fast vollkommenes Weiß geworden - weiß wie frisch gefallener Schnee. Aber wenigstens sah er etwas. Es hatte eine Form. Es war echt. Da war eine Ecke. Kellens Blick folgte einer der Linien bis zu einer runden, großen Vertiefung in der Wand. Ein Erker. Darin befand sich ein nach oben spitz zulaufendes Fenster, eingelassen in das vollkommene, glatte Weiß der Wand.
Kellen setzte sich auf. Er fühlte sich schwach und sein Rücken und seine Brust schmerzten. Aber mehr so, als hätte er sich irgendwo schwer gestoßen. Nicht, als hätte ihm jemand ein Schwert durch den Körper gerammt. Wieder fragte er sich, ob er tot war.
Er lag in einem Bett auf einem weichen Lager, das ebenso weiß war wie die Wände seines Zimmers. Fast kam es ihm vor, als schwebe er inmitten einer warmen Wolke. Kissen und Decke seines Lagers waren dick und flauschig. Feine, fremdartige, kunstvolle Stickereien verzierten den edlen Stoff. So bequem hatte er noch nie geruht. Wo bei Taranis war er? In einem Fürstenhaus? Im Reich der Götter?
Neben seinem Bett stand ein silbernes Tischchen. Dessen Füße sahen aus wie die zarten Beine eines Rehs - nur gewundener waren sie. Darauf standen ein schlichter Wasserkrug und ein Becher. Kellen hatte entsetzlichen Durst. Zweimal schenkte er sich ein und leerte den Becher jeweils in einem Zug. Hatten Tote Durst?
Kellen schlug die Decke zurück. Er trug ein dunkelgrünes, weites Gewand aus einem feinen Stoff. Es reichte ihm bis zu den Waden. Wo waren seine Kleider? Und sein Schwert? Kellen kam sich schutzlos vor. Er stöhnte laut. Es kostete den Häuptling alle Kraft, aufzustehen. Gebückt torkelte er die paar Schritte quer durch den Raum zur Tür. Sie ähnelte dem seltsam geformten Fenster. Die beiden Seiten neigten sich ab Schulterhöhe aufeinander zu, trafen sich und bildeten so eine Spitze, die nur knapp unter der Decke endete. Der neugierige Teil seines Verstandes fragte sich, welchen Sinn eine derartige Konstruktion haben sollte. Vielleicht trugen die Bewohner dieses Hauses hohe spitze Hüte, die sie nicht absetzen wollten, um durch die Tür hindurchzupassen. Aber das war ein alberner Gedanke. Denn die Tür sah wohl nur aus einem einzigen Grund so aus: Sie sollte gefallen, sie sollte schön aussehen. Auf ihre Weise tat sie das, fand Kellen, auch wenn ihm die Vorstellung, allein aus diesem Grund etwas zu gestalten, fremd war.
Ihm wurde wieder schwindelig