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Warum unterbrichst du das heilige Ritual? Was hat das zu bedeuten?“, fragte er interessiert angesichts meines ungewöhnlichen Verhaltens.

      Ich kam wieder zu mir.

      „Wo ist sein Herz?“, fragte ich zurück.

      „Wessen Herz?“ Mein Vater verstand nicht.

      „Das Herz des Bullen, den ich getötet habe“, antwortete ich.

      „Ich weiß es nicht“, erwiderte er überrascht.

      „Aber ich!“, warf Ariana aufgeregt ein und deutete auf einen Teller mit einem Büffelherz. „Dieses hier. Ich selbst habe es für dich herausgeschnitten.“

      „Es ist mein Herz“, sagte ich bestimmt, ohne ihre Worte weiter zu beachten, „ich werde es alleine essen!“

      Empört schaute meine Mutter meinen Vater an, doch der nickte wieder nur und so brachte mir Ariana den Teller mit dem Herzen.

      Augenblicklich setzten die Trommeln wieder ein.

      Die Männer schnitten die übrigen Herzen in Scheiben und die Frauen verteilten sie an die Jung-Männer. Die Trommeln verstummten, sobald alle eine Holzschüssel hatten und Alirana stimmte ein neues Lied an.

      Die Jung-Männer bissen in das rohe Fleisch, was nun allen sichtlich Schwierigkeiten bereitete. Ich sah ihre von Widerwillen verzogenen Gesichter und betrachtete das riesige Bullenherz vor mir. Warum wollte ich das ganze Herz? Ich konnte es nicht sagen.

      „Nicht alles ist, wie es scheint!“, klang es noch in meinem Kopf nach. Ich nahm allen Mut zusammen, nahm das Herz in beide Hände und biss ebenfalls hinein.

      Wieder war ich überrascht. Das Herz schmeckte herrlich. Nie zuvor aß ich solch weiches und zartes Fleisch. Ich biss wieder hinein und schluckte es beinahe ohne zu kauen runter. Doch das gierige Schlingen rächte sich. Der Geschmack veränderte sich von einem Augenblick auf den nächsten. Verwundert runzelte ich die Stirn und mich überbekam ein Ekelgefühl. Ich fing an zu würgen und kaute nun langsamer. Erneut veränderte sich der Geschmack. Ich stellte fest, je genussvoller ich aß, desto besser schmeckte das Herz. Also nahm ich mir ausgiebig Zeit und genoss das Herz des Bullen, Bissen für Bissen. Mit dem letzten Bissen verstummte Aliranas Lied.

      „Corrlad!“, erklang die Stimme in meinem Kopf.

      Ich runzelte die Stirn.

      „Du wolltest doch meinen Namen wissen“, sagte er, „Corrlad, so war mein Name. Oder so ist mein Name.“

      Wieder war ich verwirrt und die Fragen brodelten nur so in mir.

      „Nein, frag nicht, nicht jetzt, irgendwann kommt der Zeitpunkt für Fragen und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Wir sind jetzt eins, du und ich. Du hast von meinem Blut getrunken und du hast mein Herz gegessen, mein ganzes Herz. Ich danke dir dafür, für alles. Nun bist du wahrlich ein Jäger und ein Mann und...“ Er schwieg für einen Augenblick feierlich: „Und du bist jetzt ein Krieger des Lichts!“

      Krieger des Lichts! Zum zweiten Mal hörte ich diese Worte.

      Was bedeutet Krieger? Was bedeutet Krieger des Lichts?

      Ich wusste es nicht und Corrlad antwortete mir nicht mehr.

      Ariana

      Ich kann mich noch ganz genau an den Tag meiner Geburt erinnern. Auch wenn die Anderen sagen, dass das nicht möglich sei, so weiß ich es noch ganz genau. Das erste was ich sah, war Suilenroc. Natürlich kannte ich damals noch nicht seinen Namen, aber als mich Eiramsor aus meiner Mutter holte, sah ich zuerst ihn, wie er völlig verängstigt auf den Fellen neben Eiramsor saß und sich an ihrem Kleid festklammerte.

      Eiramsor nahm ihn mit zu meiner Geburt. Seine eigene Mutter Anhoja wollte ihn nicht und da Suilenroc immer anfing zu schreien, sobald er alleine war, nahm ihn Eiramsor stets überall mit hin.

      Die Sonne schien hell in unser Zelt, als ich das Licht der Welt erblickte, und genau wie die Sonne, konnte auch ich nur lachen. Es war üblich, den frisch Geborenen einen Klaps auf den Hintern zu geben, doch als Eiramsor mich Lachen sah, verzichtete sie darauf.

      „Galiana, ich habe schon viele Kinder zur Welt gebracht, doch keines hat je so gelächelt wie deins. Ein Geschenk des Himmels wird dir heute gebracht. Halte es, halte es und lass ihr Lachen nicht erlöschen.“ Mit diesen Worten übergab Eiramsor mich an meine Mutter.

      Auch sie strahlte und konnte ihr Glück kaum fassen. Sie nahm mich in ihren Arm und ich wusste, hier werde ich geliebt.

      Mein Vater Hallarat wartete vor dem Zelt und als Eiramsor ihn mit den Worten: „Der Himmel hat dir eine weitere wunderbare gesunde Tochter geschenkt!“, herein bat, trat er zuerst enttäuscht ein. Zu gerne hätte er einen Sohn bekommen. Doch als er mich sah, fing er an zu lachen, er hob mich hoch, strahlte mich an und sagte: „Ariana. Ariana sollst du heißen. Du strahlst und lachst, wie es nur die Sonne kann.“ Er nahm mich und ging aus dem Zelt, hob mich zur Sonne: „Danke. Danke für diese wunderbare Tochter. Danke für Ariana!“, rief er.

      In diesem Augenblick kam das Stammesoberhaupt Flodur vorbei.

      „Ich freue mich mit dir, Hallarat. Der Himmel hat dir schon wieder eine Tochter geschenkt“, sagte er in einem belustigten Ton. Er selbst hatte schon einen Sohn, Suilenroc, der noch immer verängstigt neben Eiramsor im Zelt saß.

      „Ja“, bestätigte mein Vater. „Wieder ein gesundes Mädchen und schau dir an, wie sie strahlt und lacht! Und jetzt habe ich ein ganzes Zelt voll Frauen! Was kann sich ein Mann schöneres vorstellen“, lachte er und hielt mich nochmals hoch in die Luft.

      Stolz ging er wieder in unser Zelt und legte mich an die Brust meiner Mutter.

      Suilenroc riss die Augen noch weiter auf, als er sah, wie ich aus der Brust meiner Mutter Milch trank. Er kannte es nicht, seine Mutter hatte ihm keine Milch gegeben. Meine Mutter hielt mich glücklich im Arm und Vater strahlte immer noch. Meine ältere Schwester legte sich an meine Seite und streichelte meinen Rücken. Alle waren wir glücklich, nur einer fing an zu weinen und Eiramsor ging mit ihm aus dem Zelt. Es war Suilenroc.

      Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Ich genoss jeden Tag meines Lebens. Ich weiß noch, dass ich fast nie weinte. Alle sahen mich immer nur lächelnd und wenn irgendwo im Lager sehr laut gelacht wurde, waren entweder meine Mutter, mein Vater, meine Schwester oder ich dabei. Oder wir waren sogar alle zusammen.

      Ich liebte meine Familie und unser Leben im Lager. Es lag an einem breiten Fluss in einem sehr großen Tal, das sich am Fuße eines hohen Berges befand. Die meisten Zelte befanden sich um einen großen Platz herum. Hier traf sich unser Volk zu besonderen Anlässen. Nahe dem großen Platz, allerdings auf sich gegenüberliegenden Seiten, standen zwei besondere und außergewöhnlich große Zelte, eines nur für die Männer und eines nur für die Frauen.

      Außerdem gab es viele kleine Plateaus am Berg, auf denen weitere Zelte standen. Je älter und wichtiger eine Familie von Stand war, desto höher befanden sich ihre Lagerstätten. Einige Zeltplateaus hatten auch Zugänge zu Höhlen, in denen Fleisch, Waffen und andere wichtige Dinge gelagert wurden. Die Bewohner dieser Plateaus waren für diese Güter verantwortlich. Das ganze Stammesleben unterlag bestimmten Regeln und alle hielten sich daran. Nur einer nicht, und das war Suilenroc. Immer wieder versuchte er alles Mögliche, um in die Höhlen zu gelangen und er wollte dabei erwischt werden. Und das wurde er auch.

      Einmal fragte ich ihn, warum er das machte. Er antwortete nur knapp: „So sehe ich wenigstens kurz mal meinen Vater.“ Denn jedes Mal, wenn er beim Stehlen erwischt wurde, hatte das Oberhaupt zu entscheiden, was zu tun wäre. Anfänglich ließ sein Vater das noch als Jungenstreich durchgehen. Doch irgendwann wiederholten sich die Diebstähle so oft, dass er nicht anders konnte, als ihn hart zu bestrafen. Am Rande unseres Lagers gab es eine tiefe Grube, in der er dann einige Zeit verbringen musste. Als ich das Alter erreicht hatte, alleine im Lager herumlaufen zu dürfen, fing ich an, Suilenroc zu besuchen, wenn

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